Die staatliche Gedenkstätte mit der Insel Utøya, auf der Anders Breivik 79 Menschen tötete, im Hintergrund
Ein Denkmal soll zur Verarbeitung des Geschehens beitragen und bestenfalls Trost spenden, es kann aber auch das Heilen von Wunden verhindern. Mehr als zwölf Jahre sind vergangen, seit der norwegische Rechtsextremist Anders Breivik erst im Regierungsviertel von Oslo eine Bombe zündete und anschließend auf der Insel Utøya im Tyrifjord, dreißig Kilometer nordwestlich der Hauptstadt, ein Massaker verübte, dem vor allem Jugendliche zum Opfer fielen, die dort eine Ferienfreizeit verbrachten.
Inzwischen sind vier Denkmäler entstanden, die an die Ereignisse vom 22. Juli 2011 erinnern. So war 2019 vor dem Osloer Dom ein Werk der Künstler Tobbe Malm und Tone Mørk Karlsrud enthüllt worden. Es besteht aus 1000 eisernen Rosen; sie erinnern an die zahllosen Blumen, die die Norweger als Reaktion auf Breiviks Taten an gleicher Stelle niederlegten. Zuletzt ist in Utvika, gegenüber der Insel Utoya gelegen, nach langer Debatte ein nationales Denkmal für die 77 Todesopfer – acht starben in Oslo, 69 auf Utøya – fertiggestellt worden. Es hatte zuvor zu heftigen Debatten unter Anwohnerschaft, Hinterbliebenen und Besuchern geführt.
Einen geeigneten Ausdruck für kollektives Gedenken an dunkle Momente mit den Mitteln der Architektur zu finden ist eine schwierige Aufgabe für Gestalter. Sie wird nur selten so gelöst, dass der Beifall einhellig ausfällt wie etwa im Fall des Vietnamkriegsdenkmals in Washington. Maya Lins Meisterwerk an der Mall der amerikanischen Hauptstadt markiert einen Wendepunkt in der Gestaltung von Gedenkorten. Es schafft mit einfachen Mitteln Räume und lädt – im wahrsten Sinne des Wortes – zur Reflexion ein. Im Spiegelbild der Namenstafeln der Gefallenen auf poliertem schwarzen Stein erkennen sich die Besucher selbst.
In den Stahlring des Denkmals „Lichtung“ auf der Insel sind die Namen vieler Opfer des Massakers vom 22. Juli 2011 eingelassen.
Suche nach einer kitschunverdächtigen Symbolik
Für den Gedenkort in Utvika hat das Architekturbüro Manthey Kula unter Leitung von Beate Hølmebakk und Per Tamsen eine Symbolik gesucht, die kitschunverdächtig ist und Betrachter berührt, ohne übergriffig zu sein. Herausgekommen ist jedoch ein allzu properes Denkmal. Um es erreichbar zu machen, musste eine lange serpentinenförmige Straße hinab zum Ufer gebaut werden. Der große Busparkplatz vor dem Denkmal, an dessen Entwurf auch Landschaftsarchitekt Bas Smets aus Brüssel beteiligt war, erdrückt selbst im leeren Zustand den Gedenkort.
Die Architekten haben eine Art Anleger in den See gebaut, um an den Einsatz jener Bootsbesitzer auf dem Tyrifjorden zu erinnern, die mit ihren Booten Überlebende des Massakers gerettet haben. Vom Anleger ausgehend schlängelt sich eine Treppe aus Granit in drei Kurven am Seeufer entlang. An ihrem Fuß sind 77 Bronzestelen angeordnet; die jeweils drei Meter hohen und an ihren Spitzen durch ein Band miteinander verbundenen Stelen tragen – in alphabetischer Reihenfolge – Angaben zum Namen der Opfer und zu ihrem Alter. Durch die kurvenförmige Anordnung der Stelen entstehen zwei Räume, von denen sich der kleinere genau zu der Stelle hin öffnet, an der die Sonne stand, als die Regierungsgebäude im Zentrum der Stadt bombardiert wurden; der zweite, größere Raum ist auf den Sonnenstand während des Geschehens auf der Insel ausgerichtet.
Das „Hegnhuset“ auf Utoya umschließt Reste des Cafés, in dem Breivik zahlreiche Jugendliche umbrachte. Der von Blakstad Haffner Architekter entworfene Bau dient auch als Schulungsort.
Die Entwerfer legen Wert darauf, dass ihr Denkmal der „Opfer, Überlebenden und Retter“ gleichermaßen gedenkt. Denn darum drehte sich die Kontroverse in Norwegen ebenso vehement wie um die Gestaltung selbst. Schon die Frage, ob der Besitzer der Insel, die Jugendorganisation der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die Hinterbliebenen oder der Staat für den Bau eines Denkmals verantwortlich sei, wurde leidenschaftlich diskutiert. Die Entscheidung fiel auf ein staatliches Denkmal, das den Horror der Szenen, die sich auf der Insel abgespielt haben, in keiner Weise darstellen möchte.
Das nun gebaute Denkmal war nur die zweite Wahl
Der Denkmalsentwurf des schwedischen Künstlers Jonas Dahlberg, der zuerst gebaut werden sollte, wurde nach massiven Protesten verworfen. Dahlberg hatte einen tiefen Schnitt in das Gestein der Insel vorgesehen. Die Anwohner sahen in dem Entwurf eine „Verletzung der Natur“, die das Verbrechen verewigt. Dahlbergs „Memory Wound“ wurde dafür kritisiert, „nur den Schmerz zu symbolisieren“, eine Geste des Kittens lag dem Künstler tatsächlich fern.
Die Anwohner, die Sorge vor einer Retraumatisierung hatten und nicht ständig an die Gräueltat erinnert werden wollten, setzten sich schließlich durch. Ein Retter gab zu Protokoll, „die Gesichter der Opfer noch immer klar vor seinem inneren Auge zu sehen“, er musste einen Verletzten auf der Insel zurücklassen. Als alle entweder tot oder geflohen waren, fuhr er ein letztes Mal um die Insel herum und hörte nur noch das Piepsen der zurückgelassenen Mobiltelefone. Derartige Szenen kann kein Denkmalsentwurf artikulieren.
Luftaufnahme der Insel Utoya aus dem Mai 2017. Auf der Inselkuppe sind die Neubauten zu erkennen.
Ein gestalterisch stärkeres Denkmal findet sich schon seit 2016 auf der Insel selbst: Dort wurde auf Initiative der Angehörigen hin ein stählerner Ring mit den Namen der Opfer darauf von den umgebenden Bäumen abgehängt. Das Architekturbüro 3RW aus Bergen, das den von der Arbeiterpartei-Jugendorganisation ausgelobten Wettbewerb für dieses Denkmal gewonnen hatte, wählte als Standort eine Lichtung in einem Kiefernwäldchen aus. Der Stahlring scheint auf Augenhöhe der Besucher zu schweben. Bei Nebel kann Kondenswasser wie Tränen von den Stahltafeln fallen. Nur 60 Namen sind in den Ring eingetragen, einige Angehörige wollten ihr Andenken privat halten und die Namen der Getöteten nicht auf dem Denkmal sehen.
Vor dem Dom in Oslo erinnert das Kunstwerk „Jernrosene“ (Eiserne Rosen) an die vielen Blumen, mit denen die Norweger ihre Trauer um die Opfer der Anschläge vom 22. Juli 2011 bekundeten.
Das Leben auf der Insel soll weitergehen
Für ein weiteres Denkmal hat der Architekt Erlend Blakstad Haffner das Café auf der Kuppe der Insel, in dem 13 Jugendliche getötet wurden, zu einer Art Gedenkschrein umgestaltet, in dem er es zugleich erhält und durch einen Neubau einhaust. Dessen verglaste Fassade hat 69 Stützen, je eine pro Opfer. Im Obergeschoss des Cafés wurden die Einschusslöcher erhalten und die Fluchtfenster offen stehen gelassen. Nur der Eingang, durch den der Massenmörder eintrat, wurde verschlossen. Als „forensische Evidenz“, die wie eine Vitrine ausgestellt wird, erzählt das einfache Holzhaus die Geschichte des Anschlags. Das Klavier beispielsweise, hinter dem einige Teilnehmer des Jugendcamps erfolglos versuchten, sich zu verschanzen, steht noch an Ort und Stelle. Die „Kraft der Rührung“, von der der Architekt spricht, ist hier stärker zu spüren als beim verkopften Bronzedenkmal an Land.
Um dem Ort einen „Neustart“ zu ermöglichen, wie Haffner es nennt, hat er um das neue Hegnhuset herum eine zusätzliche Außenhaut aus 495 Lamellen aus Kiefernholz errichtet, je eine für jeden Überlebenden. Das Leben auf der Insel soll weitergehen: Eine Gruppe von Neubauten mit Speisesaal, Auditorium und Bibliothek hat der Architekt neben den baulichen Relikten des Anschlags um einen Hof herum arrangiert. Junge Leute verbringen schon seit einiger Zeit wieder ihre Freizeiten auf der Insel.
Die einzige angemessene Reaktion auf die Gewalt sei es, „mehr Demokratie und Offenheit zu leben, aber ohne Naivität“, hatte Premierminister Jens Stoltenberg als Losung nach dem Anschlag ausgegeben. Auch diesen Anspruch lösen die Denkmäler auf der Insel mit mehr Erfolg ein als der Stelenpark am anderen Ufer.
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