Kein Bargeld für Flüchtlinge: Ein Syrer ist dagegen, sein Berliner Chef findet die Bezahlkarte richtig

kein bargeld für flüchtlinge: ein syrer ist dagegen, sein berliner chef findet die bezahlkarte richtig

Yousef Aljassem arbeitet inzwischen als Elektriker

Yousef Aljassem ist seit dem frühen Morgen auf den Beinen. Nun kniet er auf einem Boden in einem leeren Zimmer und verlegt orange Kabel in der Grundschule am Eichenwald in Spandau-Hakenfelde. Dort werden Internetanschlüsse gebraucht. Bis zum Nachmittag müssen Aljaseem und seine Kollegen fertig werden.

Der Syrer ist gelernter Elektriker und hat nach beinahe acht Jahren, in denen er in Berlin ist, einen Job gefunden. Ein Elektrobetrieb aus Mitte hat ihn eingestellt, für 15 Euro die Stunde. Dass er arbeiten gehen kann, ist ihm durch die Unterstützung des Jobcenters Berlin-Mitte und eines Sonderprojekts der Bundesagentur für Arbeit ermöglicht worden. Damit sollen Menschen schneller aus dem Bürgergeld und den Sozialleistungen geholt werden. Aljassem ist damit Teil des Berliner Projekts InVork, der Integrierten Vermittlungsoffensive für das Berliner Handwerk. Ein Job-Turbo. Für die Jobcenter sei es ein Erfolgsmodell, heißt es dort.

Am schwersten sei es gewesen, Deutsch zu lernen, sagt Aljassem. Er steht in dem leeren Schulraum neben den Kabeln, in einer Ecke liegen Rucksäcke und Getränke von ihm und seinen Kollegen. Draußen regnet es, der Tag ist grau. Inzwischen versteht der 33-Jährige vieles, kann sich gut unterhalten. Nur manchmal muss er nachfragen.

Im November 2015 reiste der Syrer nach Berlin, er war wegen des Regimes geflüchtet, sagt er, und weil er keine Perspektive mehr in seiner alten Heimat sah. Er lebte erst in einer Gemeinschaftsunterkunft in Spandau, dann in Wohngemeinschaften. Anfangs erhielt er Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), als diese nach etwa einem Jahr abliefen, stellte er einen Antrag auf Bürgergeld.

2015, als er kam, war die Stimmung noch eine andere. Hunderttausende Menschen – vor allem aus dem Kriegsgebiet Syrien – flohen damals nach Deutschland und in andere Länder Europas. Sie wurden in manchen Städten wie in München jubelnd am Bahnhof begrüßt. Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte sich 2015 vor die Kameras und versprach: „Wir schaffen das.“

Doch spätestens zwei Jahre später stöhnten viele über das Ausmaß der Migration. Und auch mit Beginn des Krieges in der Ukraine und den nach Deutschland kommenden Flüchtlingen wuchs die Skepsis, ob das wirklich zu schaffen ist. Vielen Menschen ist es zu viel mit der Zuwanderung, sie fühlen sich davon mehr bedroht als beispielsweise von Wladimir Putin, ergab jüngst eine Umfrage. Länder, Kommunen und Gemeinden können der Lage kaum noch Herr werden. Auch in Berlin fehlen Unterkünfte, die Stadt mietet zusätzlich Hotels und Pensionen an. Das kostet die Stadt mehrere Millionen am Tag. Allein die Unterkunft in Tegel (7000 Plätze) summiert sich auf 1 172 204,53 Euro pro Tag. Und der Wohnraum in der Hauptstadt wird immer knapper.

Denn nach wie vor fliehen viele nach Deutschland, auch Syrer wie Yousef Aljassem. Ende 2022 lebten rund 900.000 Syrer in Deutschland. Insgesamt sind 2023 rund 352.000 Asylanträge in Deutschland gestellt worden.

Aljassem ist inzwischen einige Schritte weiter. Vergangene Woche machte er seinen ersten Einbürgerungstest, hofft auf die Staatsangehörigkeit. Voraussetzung sind unter anderem ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder bestimmte Aufenthaltserlaubnisse und dass man zum Zeitpunkt der Einbürgerung seit acht Jahren in Deutschland gelebt hat.

Gerade ist das auf fünf Jahre verkürzt worden. Bei „besonderen Integrationsleistungen“ soll in Zukunft sogar eine Einbürgerung schon nach drei Jahren möglich sein, etwa wenn sich jemand ehrenamtlich engagiert oder besonders gute schulische, berufsqualifizierende oder berufliche Leistungen vorweisen kann. Aljassem erfüllt alle Bedingungen, sagt er, und er sei zuversichtlich, den deutschen Pass zu erhalten. „Hier kann man alles schaffen“, sagt er. Für ihn und viele andere sei Deutschland ein Sehnsuchtsland.

kein bargeld für flüchtlinge: ein syrer ist dagegen, sein berliner chef findet die bezahlkarte richtig

Neuer Job als Elektriker: Yousef Aljassem (r.) und Handwerksmeister Thomas Weber verlegen Kabel in der Grundschule in Spandau.

„Aber ich wollte wieder zurück in meinen alten Beruf“, sagt er. Aljassem ist gelernter Elektriker, in seiner Heimat war er bis 2015 selbstständig. Hier ist seine Ausbildung zunächst nicht anerkannt worden. In einer Beratung beim Jobcenter bekam er das Angebot, das nachzuholen. Für ihn sei das eine gute Motivation gewesen, sagt er. Er besuchte Integrationskurse und Coachings, drückte erneut die Schulbank, vor allem, was die Sprache anbelangt.

Er hat da seine eigene Formel: „Man muss sich integrieren wollen und alle Chancen nutzen. Das geht nur, wenn man sich nicht abschottet und wirklich arbeiten möchte.“ Darin findet er Sinn.

Wenn er in 18 Monaten anerkannter Elektriker ist, ist er raus aus dem Sozialsystem. Doch bis dahin ist es eine weiter und langer Weg. Erst nach dem Asylverfahren wird klarer, welche Migranten in Deutschland eine Zukunft haben. Je nachdem, woher sie kommen und in welchem Bundesland der Antrag bearbeitet wird, kann es sieben Monate oder auch bis zu 51 Monaten dauern. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung vom März vorigen Jahres hervor.

Doch die Vermittlung gelingt nicht immer. Es liegt einmal an den Arbeitgebern, die vor allem Sprachkenntnisse voraussetzen. Oft fehlt aber auch die Bereitschaft bei den Migranten, sich in den Markt eingliedern zu lassen, wenn der Job nicht ihren Vorstellungen entspricht. Ärzte, die kommen, müssen plötzlich umdenken und von vorne anfangen, weil ihre Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt werden. Oder Ingenieure und Elektriker wie Aljaseem. Dann sind da noch bürokratische Hürden. Nachweise müssen beschafft und eingereicht werden. Nicht jeder kommt dem nach.

Yousef Aljassem hat inzwischen seine Frau nach Deutschland geholt. Erst lebten sie in einer Flüchtlingsunterkunft. Seit mehreren Monaten sind sie in einer Wohnung nahe des Rosenthaler Platzes in Mitte. „Im sechsten Stock, ohne Aufzug“, sagt er schmunzelnd. Die Wohnung sei hoch gelegen, aber dadurch bezahlbar. Die Miete kostet etwa 700 Euro. Das Paar hat drei Kinder (zwei, fünf und acht Jahre alt). Die zwei Älteren gehen in eine Berliner Kita und Schule. Die Ehefrau ist noch in Elternzeit und beginnt jetzt im Juni mit einem Integrationskurs. „Wir wollen für unsere Kinder ein Vorbild sein“, sagt der 33-Jährige.

In der Schule, in der er an diesem Tag Kabel verlegt, ist es zugig. Draußen regnet es noch immer, es wird sich an diesem Tag nicht mehr aufhellen. Thomas Weber steht unten im Foyer, er ist technischer Betriebsleiter der Firma Pro Eltek aus Mitte. Yousef Aljassem ist nicht der erste, den die Firma aus dem „Bürgergeld holt“, wie Weber sagt.

Der Elektriker sagt zur Berliner Zeitung: „Wir haben sehr gute Erfahrungen gesammelt. Es geht darum, die Menschen raus aus den Sozialleistungen zu bekommen. Das ist für beide Seiten gut. Für uns allein wegen des Fachkräftemangels. Und der Bedarf bei uns in der Branche ist hoch“, sagt er. Flüchtlinge einzustellen, sieht er positiv: „Nur so gelingt Integration.“ Er räumt ein: „Es geht natürlich nur, wenn die Menschen wollen.“ Da hat er mitunter auch andere Erfahrungen gesammelt. Nicht jeder sei motiviert, das betreffe aber nicht nur Menschen aus anderen Ländern.

Doch auch in dem Elektrobetrieb laufen die Debatten über die Flüchtlingskrise. Der Umgang mit illegaler Migration und ob es bald eine Bezahlkarte statt Cash für Migranten geben soll und was das bringen kann. Die Hauptkritik am Bargeld ist, dass viele es ins Ausland an die Familien überweisen. Und allein aus diesem Grund Deutschland besonders begehrt sei.

kein bargeld für flüchtlinge: ein syrer ist dagegen, sein berliner chef findet die bezahlkarte richtig

Yousef Aljassem, syrischer Geflüchteter, arbeitet nun bei Elektriker  Thomas Weber (r.) in Vollzeit.

Yousef Aljassem hält nichts von einer Karte statt Cash. Auch aus eigener Erfahrung. Als er damals kam, habe er ein Jahr lang vom Staat neben der Komplett-Versorgung etwa 150 Euro erhalten. Das Geld konnte er sich monatlich in bar abholen. Was er damit angefangen hat, ob er es nach Hause zu seiner Familie geschickt hat, will er nicht erzählen. Ein heikles Thema.

Die Bargeld-Auszahlung nun abzuschaffen, sei keine „gute Idee“, sagt er. Viele würden das in seinem Bekanntenkreis so sehen. Warum? Er überlegt kurz und sagt dann, dass es Flüchtlingen viele Freiheiten nehme, dass es unselbstständig mache und stigmatisierend sei. Er nennt ein Beispiel: „In vielen arabischen Supermärkten kann man nur mit Barzahlung einkaufen. Da kommt man mit einer Geldkarte nicht weiter.“ Das Argument nennen derzeit viele, ein Beweis dafür steht aus.

Thomas Weber, der technische Chef in seinem Elektrobetrieb, hält dagegen, er findet es richtig, dass eine Bezahlkarte kommen soll. Denn er vermutet: „Mit einer Geldkarte können wir vielleicht endlich die Schleuserkriminalität in den Griff bekommen. Ich wüsste sonst kaum ein anderes Mittel.“

Er sagt aber auch: „Wenn Menschen aus Krisengebieten flüchten, sollen sie kommen.“ Dennoch sei es wichtig, dass es ein kontrollierter Zuzug und eine bessere Verteilung von Flüchtlingen sei.

Daher solle man in Berlin ernsthaft darüber nachdenken. „Wir müssen vor allem endlich sachlich über solche Themen diskutieren“, so der Elektriker. Von Polarisieren halte er nichts. Auch in seinem Bekanntenkreis laufe so manche Debatte über den Umgang mit der Flüchtlingskrise aus dem Ruder. Er zuckt mit den Schultern.

Die Bezahlkarte – gerade in Berlin ist sie Streitthema in der schwarz-roten Koalition gewesen. SPD-Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe sperrte sich lange dagegen, die CDU wollte sie. Und dann führte kein Weg mehr daran vorbei, weil der Druck der anderen Bundesländer wuchs, diese Geldkarte einzuführen.

kein bargeld für flüchtlinge: ein syrer ist dagegen, sein berliner chef findet die bezahlkarte richtig

Yousef Aljassem auf dem Flur der Grundschule in Spandau

Die aufladbare Karte kommt, Stand Januar, erst Anfang 2025, also in einem Jahr. In manchen Teilen der Republik ist aber auch von Sommer die Rede, in Berlin wohl eher nicht. Zwei Bundesländern geht das alles obendrein zu langsam (Bayern und Mecklenburg-Vorpommern), sie nehmen deshalb nicht am länderübergreifenden Vergabeverfahren teil und starten ihr eigenes Bezahlkarten-System. Berlin will außerdem weiterhin einen Teil als Bargeld auszahlen, andere dagegen nicht.

Yousef Aljassem hat seine Meinung dazu schon gesagt. Er ist wieder dabei, Datenkabel in der Schule zu legen. Er wird jetzt jeden Tag arbeiten, im Fachjargon hat er einen so gennanten Helferjob. Zweimal die Woche besucht er Weiterbildungskurse, den Rest der Zeit im Betrieb. Die zwei Tage, die er ausfällt, übernimmt die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen des Förderprogramms.

Der 33-Jährige ist nicht der einzige, der einen Job gefunden hat. Laut dem Jobcenter Berlin sind derzeit 54.700 Flüchtlinge (inklusive der ukrainischen) in Berlin beschäftigt – und sei es nur geringfügig (Stand November 2023).  Für Yousef Aljassem ist klar, dass er nicht zurück ins Sozialsystem möchte, sagt er. Er habe eine andere Perspektive für sich gefunden.

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