„Es musste schiefgehen. Es ist aber nicht schiefgegangen“

Das TV-Duell zwischen Björn Höcke und Mario Voigt wurde von allen großen deutschen Medien kommentiert. Der „Spiegel“ vermutet, dass das Höcke-Lager höchst zufrieden mit dem Verlauf dieses Experiments sein wird, der „Focus“ sah „einen der spannendsten Fernsehabende seit Langem“.

„es musste schiefgehen. es ist aber nicht schiefgegangen“

„Es musste schiefgehen. Es ist aber nicht schiefgegangen“

Knapp fünf Monate vor der Landtagswahl in Thüringen sind die Spitzenkandidaten Mario Voigt (CDU) und AfD-Rechtsaußen Björn Höcke am Donnerstagabend zum Fernsehduell angetreten. Im Studio von WELT TV lieferten sie sich in Berlin einen heftigen Schlagabtausch. Höcke wird vom Landesverfassungsschutz als Rechtsextremist gewertet. Das Medienecho fiel geteilt aus.

„Spiegel“: „Höcke wird für viele einen Tick normaler und gesellschaftsfähiger wirken als zuvor“

„Voigt hat das gut und anständig und engagiert gemacht, vielleicht gar bestmöglich. Er war erkennbar im Trainingslager, munitioniert mit Blättern, auf denen das braunste Höcke-Geraune der vergangenen Jahre stand. Auch die beiden Moderatoren von WELT TV sind gut vorbereitet, sie greifen vor allem Höcke konsequent und mutig an. Sie bringen ihn sogar ins Stottern, als er sich nicht mehr recht an eine besonders menschenfeindliche Aussage aus seinem eigenen Buch erinnern will. Das hat man auch von Journalisten schon anders erlebt.

Und trotzdem wird man im Höcke-Lager höchst zufrieden mit dem Verlauf dieses Experiments sein. Denn unterm Strich ist Höcke alle zentralen inhaltlichen Punkte losgeworden. Er konnte erzählen, dass er ein besonders großherziger und emphatiefähiger Mensch sei (kein Scherz), hat nach diesem TV-Experiment ein paar Möglichkeiten mehr, sich als vermeintliches Opfer zu inszenieren (Stichwort ‚Drei gegen einen‘). Und sein Social-Media-Team, das während des Duells einen eigenen ‚Faktencheck‘ anbot (kein Scherz), kann aus den 71 Minuten nun ein paar schicke Clips zusammenbasteln, aus denen garantiert der Eindruck entsteht, dass Höcke dem vermeintlich verlogenen System den Spiegel vorgehalten hat. Und natürlich wird Höcke nach diesen 71 Minuten für viele einen Tick normaler und gesellschaftsfähiger wirken als zuvor.“

„Süddeutsche Zeitung“: Moderator Burgard lässt Höcke das nicht durchgehen

„Als WELT-Moderator Jan Philipp Burgard ihn damit konfrontiert, dass er selbst in seinem Buch schreibe, die in Hamburg geborene Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz habe in Deutschland nichts verloren, kann sich Höcke plötzlich nicht mehr erinnern – weder an den Namen der Politikerin noch an das Zitat aus dem eigenen Buch. Gegenwärtig ist ihm dagegen sehr wohl, dass sein Werk angeblich ‚einen gewissen philosophischen Tiefgang hat‘.

Genauso wenig will er gewusst haben, dass es sich bei der Losung ‚Alles für Deutschland‘, die er 2021 in Sachsen-Anhalt auf einer Wahlkampfveranstaltung rief, um eine verbotene NS-Parole handelte: ‚Es ist ein Allerweltsspruch‘. Moderator Burgard lässt ihm das nicht durchgehen, hakt mehrfach nach, verweist auf den Gerichtsprozess in der kommenden Woche und auf die Tatsache, dass Höcke den Spruch nicht nur einmal verwendet hat. Der beharrt: ‚Nein, ich wusste es nicht.‘

Einen ausgesprochen bizarren Moment hat das Duell, als sich Voigt und Höcke beharken, ob es in Thüringen Gehacktes-Brötchen oder Mettbrötchen heißt. Höcke nennt beide Begriffe, Voigt attackiert ihn: ‚In Thüringen heißt das Gehacktes, wenn Sie sich in Ihrer Heimat auskennen würden.‘ Höcke verliert kurz die Fassung und schreit fast: ‚Ich habe gerade gesagt: Gehacktes-Brötchen!‘ Mett sei nur die zusätzliche Übersetzung für alle gewesen, die diesen Begriff nicht kennen.“

„Zeit“: Vielleicht ist Höcke gar nicht der rhetorisch brillante Superhetzer

„Es war ja absolut klar, dass es schiefgehen musste, auch dem Autor dieses Textes ist es immer klar gewesen: Björn Höcke im Rededuell gegen Mario Voigt. Deutschlands radikalster AfD-Politiker gegen einen praktisch unbekannten CDU-Mann aus Thüringen, um 20.15 Uhr im deutschen Fernsehen, live auf WELT TV. Der Versuch, einen Demagogen, gegen dessen gedanklichen Wahnsinn kein Kraut gewachsen ist, ‚inhaltlich zu stellen‘, wie Voigt vorher angekündigt hatte. ‚DAS TVDUELL‘, wie die WELT geworben hatte, auf eine bemerkenswerte Weise entertainmentmäßig, als wäre das ein Spaßboxkampf der Sorte ‚Raab gegen Halmich‘. Es musste, es musste, es musste schiefgehen.

Es ist aber nicht schiefgegangen. Und man sollte, in dieser Nacht des 11. auf den 12. April 2024, dann doch ganz klar sagen: Das ist wirklich eine Nachricht.

Dass es nicht schiefgegangen ist, lag, in dieser Reihenfolge, an einem gut vorbereiteten CDU-Politiker, an einer mehr als soliden Moderation, es lag aber auch an Björn Höcke, von dem man vermuten muss: Vielleicht ist er gar nicht der rhetorisch brillante Superhetzer. Vielleicht ist er einfach ein schnöder, natürlich dennoch gefährlicher, aber nicht übermäßig sprachbegabter Rechtsextremist, dessen Kompetenz vor allem: Larmoyanz ist. Womöglich hat Mario Voigt, der gerne Ministerpräsident seines Bundeslandes werden will, mal eben gezeigt, dass der angebliche Führer nackt ist. Und dass es kein Skandal sein muss, mit AfD-Politikern zu diskutieren, wenn man anständig vorbereitet ist.“

„Focus“: „Einer der spannendsten Fernsehabende seit Langem“

„Vor zehn Tagen ist Höcke 51 Jahre alt geworden. Es wird kein Geburtstagsgeschenk, das ihm ‚WELT TV‘ an diesem Abend nachreicht. Das ist vor allem das Verdienst von Chefredakteur Jan Philipp Burgard. Als Moderator zeigt er sich bestens vorbereitet, hartnäckig – und entschieden. Gleich zu Beginn macht er die Spielregeln transparent. Am Freitag vor einer Woche haben Höcke und Voigt die Themenblöcke der Sendung benannt bekommen. Auf die konkreten Fragen konnten sie sich nicht vorbereiten. Das wird im Verlauf der Diskussion vor allem Björn Höcke ins Schlingern bringen.“ (…)

Immer wieder bringt Chefredakteur Burgard den AfD-Mann mit sehr klaren Fragen ins Schwurbeln. Beispiel: ‚Sollte Deutschland mehr oder weniger Waffen in die Ukraine liefern, Herr Höcke?‘ Er kenne Putin ja nicht persönlich, sagt da Höcke und schimpft über das Schwarzweiß-Malen ‚der deutschen Medien‘. Eigentlich sei Russland ja ein bedrängtes Land, sagt er. Und er findet zu einer bemerkenswerten These: ‚Russland will den Frieden.‘

‚Sie haben deutlich mehr geredet als Herr Voigt‘, stellt gegen Ende der Diskussion der Moderator mit Blick auf die Zeitkonten fest. Einen Gefallen hat sich der Politiker Björn Höcke, der doch so gerne Wahlsieger in Thüringen werden will, damit oft nicht getan. Profitiert hat der Zuschauer, der einen der spannendsten Fernsehabende seit Langem erlebt hat.“

„Berliner Zeitung“: „Womöglich hat dem Land eine solche Portion Fox News gutgetan“

„Den einen oder anderen Zuschauer könnte dieses Duell an amerikanische Talk-Formate erinnert haben, etwa die des konservativen Senders Fox News. Immer wieder wurde in Deutschland vor amerikanischen Zuständen gewarnt, in denen Politiker mit fragwürdigen Thesen regelmäßig ein Millionenpublikum erreichen, wo Unwahrheiten und billige Polemik unwidersprochen bleiben.

Doch womöglich hat dem Land diesmal eine solche Portion Fox News gutgetan: Zum ersten Mal trafen im Rahmen eines Streitgesprächs Positionen aufeinander, die einander kategorisch ausschließen, aber in der Bevölkerung tagtäglich in Kneipen, Sport- und Schützenvereinen, am Arbeitsplatz diskutiert werden. Es war ein holpriges Duell, in dem sich die Diskutanten diffamierten, einander ins Wort fielen und monologisierten. Es war aber auch der nötige Anfang des Gesprächs darüber, warum so viele Menschen im Land AfD wählen – mit einem der radikalsten Politiker dieser Partei.“

„Corriere della Sera“: „Im Studio fiel das letzte Tabu“

„Und der ‚Reichskanzler‘ war endlich im Fernsehen. Im allerersten Duell des deutschen Fernsehens im Studio des TV-Senders WELT betitelte der Thüringer CDU-Vorsitzende Mario Voigt seinen Gegner Björn Höcke von der AfD als ‚Reichskanzler‘. Und er bekam als Antwort: ‚Jetzt werden Sie aber radikal-populistisch.‘ So fiel im Studio von Axel Springer das letzte Tabu. Eine Konfrontation zwischen einem traditionellen Politiker und einem AfD-Extremisten. Mehr noch, mit einem Vertreter seines radikalsten, offen neonazistischen Flügels. Höcke, der sich für die sogenannte Remigration einsetzt (…), steht unter Beobachtung des Verfassungsschutzes wegen verfassungsfeindlicher Ideen, so rassistisch sind sie.

Doch Höcke ist kein Politiker, den man auf die leichte Schulter nehmen sollte. In Thüringen, wo die Wahl am 1. September stattfindet, liegt er in den Umfragen weit vorn. (…) Gegen alle Ratschläge und nach zwei Monaten landesweiter Debatte nahm Voigt das fatale Duell an. Die Umfragen werden zeigen, ob sich das Wagnis gelohnt hat. Politische Gegner kritisierten die Initiative mit dem Argument, dass rassistischem Gedankengut jede Plattform verweigert werden sollte. Die SPD riet den Deutschen, Netflix zu schauen. Auch die CDU argumentierte einst in diesem Sinne. Angela Merkels Maxime lautete: Niemals mit der rechten AfD reden. Wie so viele Vermächtnisse der Kanzlerin ist auch dieses missachtet worden.“

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