IG Metall, Verdi und DGB : IG Metall, DGB und Verdi schimpfen auf die Europäische Zentralbank

ig metall, verdi und dgb : ig metall, dgb und verdi schimpfen auf die europäische zentralbank

Collage, Gewerkschaften, IG Metall, DBG, Verdi data-portal-copyright=

Deutschlands Gewerkschaften kritisieren im Handelsblatt die Europäische Zentralbank: Die Zinswende komme viel zu zögerlich. Wirtschaftsverbände nehmen jemand anderes in die Pflicht.

In Gewerkschaften herrscht Unmut über die Europäische Zentralbank (EZB). „Mit ihrer Zinspolitik gefährdet die EZB die wirtschaftliche Erholung im Euro-Raum“, sagte Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall, dem Handelsblatt. Auch Verdi und DGB sind unzufrieden mit dem Kurs der Notenbank.

Die EZB hält die Leitzinsen, gemessen am wichtigen Einlagesatz für Banken, seit sieben Monaten auf 4,0 Prozent. Das ist das höchste Niveau der Euro-Geschichte. Vergangene Woche haben die Währungshüter eine Zinssenkung deutlicher als bislang für Juni signalisiert. Ob und wann darauf weitere folgen, lassen sie allerdings komplett offen.

Hohe Leitzinsen bremsen die Wirtschaft. Mit Verweis auf die schwierige konjunkturelle Lage in Europa sei die Zinswende längst überfällig, sagte Stefan Körzell vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) dem Handelsblatt. „Die abwartende Haltung der EZB schadet der Wirtschaftsentwicklung und ist in keiner Weise nachvollziehbar.“

Die Gewerkschafter fachen eine Kontroverse an, die auch die Zinsentscheider im EZB-Rat und Ökonomen umtreibt: Bremsen die zehn Zinserhöhungen der EZB seit Mitte 2022 die Konjunktur inzwischen zu stark? Oder ist weiterhin Geduld gefragt, um dauerhaft Preisstabilität sicherzustellen, wie Bundesbank-Chef Joachim Nagel argumentiert?

Für Dierk Hirschel, Chefökonom der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, ist klar: „Die EZB hätte bei dieser Sitzung bereits eine Zinswende einleiten müssen.“ Mit ihrer abwartenden Haltung schwäche sie die Konjunktur, außerdem wirkten Zinssenkungen erst mit monatelanger Verzögerung. „Eine schnelle Zinswende wäre auch deswegen geboten“, sagte Hirschel dem Handelsblatt.

Kerner von der IG Metall verweist auf die Gemeinschaftsprognose führender Wirtschaftsforschungsinstitute. Sie erwarten die Inflation hierzulande nächstes Jahr mit durchschnittlich 1,8 Prozent unter dem Zwei-Prozent-Stabilitätsziel der EZB. „Zinssenkungen sind angesichts der Konjunkturschwäche einerseits und der sinkenden Inflationsraten andererseits längst überfällig“, sagt Kerner.

Im März sank die Inflationsrate in der Euro-Zone auf 2,4 Prozent. EZB-Chefin Christine Lagarde sieht die Notenbank auf Kurs, ihr Inflationsziel Mitte nächsten Jahres zu erreichen. Die Teuerungsrate werde zwar in den nächsten Monaten nach oben und unten schwanken. Bis Mitte 2025 dürfte sie Lagarde zufolge dann aber auf zwei Prozent sinken.

EZB und Gewerkschaften: Kontroverse über Lohn-Preis-Spirale

Beobachter halten die bisherigen Fortschritte für ermutigend, nachdem die Inflation in der Spitze über zehn Prozent gestiegen war. Allerdings steigen die Verbraucherpreise für Dienstleistungen noch mit Jahresraten von vier Prozent. Dafür sorgen vor allem höhere Löhne. Das lässt die nationalen Notenbanker und EZB-Direktoren im Entscheidungsgremium zögern.

Über weite Strecken der Jahre 2021 bis 2023 hielten die Lohnzuwächse nicht mit der hohen Inflation Schritt. In der Folge konnten Verbraucher sich weniger leisten. Das drückte den Konsum und bremste die Konjunktur. 2023 hätten Beschäftigte abzüglich Inflation erstmals seit drei Jahren „ein mageres Plus“ verdient, sagt IG-Metall-Funktionär Kerner.

Um Kaufkraftverluste zu kompensieren, hätten Unternehmen und Beschäftigte eifrig die Inflationsausgleichsprämie genutzt. Das sind steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen bis 3000 Euro. Anders als reguläre Gehaltserhöhungen wirkten diese Einmalprämien „nicht langfristig“. Er könne das Zögern der EZB deshalb nicht nachvollziehen, sagt Kerner.

Für eine mitunter befürchtete Lohn-Preis-Spirale, bei der sich Löhne und Preise gegenseitig hochschaukeln, sehen DGB-Vorstand Körzell und Verdi-Funktionär Hirschel ebenfalls keine Anhaltspunkte. „Die Befürchtung der EZB, die Löhne könnten die Preise treiben, war von Anfang an unbegründet und ist es nach wie vor“, meint DGB-Vorstand Körzell.

Die Befürchtung der EZB, die Löhne könnten die Preise treiben, war von Anfang an unbegründet.

Vertreter von Unternehmensverbänden geben sich nicht so entspannt und nehmen in diesem Punkt die EZB in Schutz. „Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale ist real“, entgegnet Dirk Jandura, Präsident des Groß- und Außenhandelsverbands BGA, den Beschwichtigungen der Gewerkschafter. Die Tarifpartner müssten „wieder zu angemessenen Abschlüssen kommen“.

Wirtschaftsverbände beschwichtigen

Jandura sieht die Verantwortung für die Konjunkturschwäche nicht in erster Linie bei der EZB. Nötig seien vielmehr politische Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit. „Eine Zinssenkung könnte leichte Impulse in Richtung eines stärkeren wirtschaftlichen Wachstums setzen“, sagte der BGA-Chef dem Handelsblatt. „Aber das reicht bei Weitem nicht aus.“

Durch geopolitische Risiken und Lohnwachstum könne die Inflation wieder anziehen, heißt es bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). „Klar ist aber auch, wir brauchen die dringend benötigte Wirtschaftswende“, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. Damit sendet er ein Signal an die Bundesregierung. „Die Geldpolitik der EZB kann das nicht richten.“

Klagen über Kaufkraftverluste prallen auf Rufe nach Mäßigung: Die aktuelle Gemengelage lädt Lohn- und Tarifverhandlungen emotional auf. Das hat sich nicht nur bei der Deutschen Bahn gezeigt. Notenbanker und Ökonomen sind angesichts der Brisanz bemüht, die Lage nüchtern zu bewerten.

Kräftige Lohnzuwächse in Deutschland absehbar

Jens Eisenschmidt von der US-Investmentbank Morgan Stanley prognostiziert: Die Löhne in Deutschland werden dieses Jahr zwischen 5,5 und 6,5 Prozent steigen. Für seine Einschätzung zieht er amtliche Statistiken und Forderungen der Gewerkschaften heran. In anderen Euro-Ländern wird sich das Lohnwachstum laut Eisenschmidt voraussichtlich abschwächen. Dies gleiche die ungewohnt kräftigen Zuwächse in Deutschland wahrscheinlich aus.

Angesichts der Unterschiede zwischen den 20 Euro-Ländern kann es kaum überraschen, dass Experten zu uneinheitlichen Schlüssen kommen, wenn es um den Kurs der EZB geht. Die einen halten deren Zögern für geboten. Andere erklären die Notenbanker für übervorsichtig.

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer hält kräftige Zinssenkungen für verfrüht. Er widerspricht EZB-Chefin Lagardes Einschätzung, dass sich das Wachstum der Tariflöhne entscheidend abschwäche. Laut Holger Schmieding von der Privatbank Berenberg stärkt die niedrige Arbeitslosenquote die Verhandlungsmacht der Beschäftigten. „Die nutzen sie, um kräftigere Lohnerhöhungen durchzusetzen und den schmerzhaften Anstieg ihrer Lebenshaltungskosten auszugleichen.“

Dagegen betonen die Ökonomen der italienischen Großbank Unicredit um Chefvolkswirt Marco Valli, die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale existiere nicht. Für Christian Schulz von der US-Investmentbank Citi zögert die EZB Zinssenkungen ebenfalls zu lange hinaus. Die Gesamtlöhne wüchsen nicht mehr so kräftig. Hier fließen auch Mindestlöhne ein, die aktuell nur noch ungefähr halb so stark steigen wie voriges Jahr.

Den Währungshütern der EZB ist das Gesamtbild noch zu vage. Sie warten auf amtliche Daten zu den Tariflöhnen. Die gibt es allerdings nur alle drei Monate. Die eher ernüchternde Aussicht für Gewerkschafter: Es gibt keine Gewähr für eine Serie von Zinssenkungen – selbst wenn die EZB die Zinswende wie erwartet im Juni beginnt.

Erstpublikation: 16.04.2024, 11:31 Uhr.

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World