AfD stärkste Partei bei der Jugend: „Spaltend ist nicht nur das Thema Flüchtlinge“

afd stärkste partei bei der jugend: „spaltend ist nicht nur das thema flüchtlinge“

„Die Jugend ist so pessimistisch wie nie“, sagt einer der Studienautoren.

Junge Menschen stehen politisch links, hieß es lange, sie wählen die Grünen und demonstrieren fürs Klima. Umso größer war das Erstaunen über die neue Trendstudie „Jugend in Deutschland“.

Vor allem ein Ergebnis der Erhebung widerspricht bisherigen Gewissheiten: Unter den 14- bis 29-Jährigen ist die AfD erstmals beliebteste Partei, sie springt auf 22 Prozent. Die Rede ist von einem „Rechtsruck“.

Doch lässt sich das auch aus grundsätzlichen Einstellungen junger Menschen ableiten – zu der Aufnahme von Flüchtlingen etwa? Oder liegt die Zuwendung hin zur AfD vielmehr an der Enttäuschung über die anderen Parteien, an Missständen, die seit Jahren bestehen?

Darüber sprach die Berliner Zeitung mit dem Jugendforscher Simon Schnetzer, einem der Autoren der Studie.

Ihre Studie hat für einigen Wirbel gesorgt, Herr Schnetzer.

Sie schlägt hohe Wellen. Leider mit einer Botschaft, die nach meinem Geschmack positiver hätte ausfallen dürfen.

Was genau besorgt Sie?

Die Jugend ist so pessimistisch wie nie. Wir sehen einen deutlichen Rechtsruck. Es ist natürlich nicht toll, dass wir das konstatieren müssen.

Sind positive Ergebnisse in der Berichterstattung untergegangen?

Mit der Berichterstattung bin ich zufrieden. Tatsächlich wollen wir in Interviews wie diesem hier konstruktive Punkte ergänzen. Zum Beispiel, was junge Menschen brauchen, um mit Krisen besser umgehen zu können. Damit sie Verantwortung übernehmen. Dazu gehören Möglichkeiten für gesellschaftliche Beteiligung. Aber auch die grundsätzliche Bereitschaft der Älteren, zuzuhören und sich auf diese Bedürfnisse einzulassen. Ein gewisses Sympathisantentum für die AfD lässt sich nicht einfach wegdiskutieren. Das ist ganz tief in den Sorgen verankert. Um die muss man sich kümmern.

Woran machen Sie den Rechtsruck in der Jugend fest?

Er zeigt sich konkret in den Zustimmungswerten für die AfD. Sie haben sich seit unserer letzten Erhebung vor einem Jahr fast verdoppelt, von 10 auf 22 Prozent. Damit ist die AfD die beliebteste Partei in der Jugend. Das ist ein sehr klares Signal für einen Rechtsruck. Darüber hinaus haben wir aus der Shell Jugendstudie von 2019 Aussagen für rechtspopulistische Einstellungen übernommen. „Der Staat kümmert sich mehr um Flüchtlinge als um hilfsbedürftige Deutsche“ ist eine davon. Dem stimmen aktuell über 50 Prozent ganz oder eher zu.

Welche Bedeutung hat das Gefühl von Zugehörigkeit für junge Menschen?

Es ist entscheidend für die Identität, ein Teil der Persönlichkeitsentwicklung. Junge Menschen wollen herausfinden, wer sie sind und sein wollen. Mit wem sie sich umgeben wollen. Früher sind viele junge Leute nach Berlin gegangen, weil sie meinten, in ihrem Dorf könnten sie nicht so sein, wie sie gerne wären. Das hat sich etwas abgeschwächt, auch dank Smartphones und Social Media. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl kann bis zu einem gewissen Punkt digital entstehen. Frühere Befragungen zeigten aber, dass für Identität vor allem ein Gefühl von Heimat wichtig ist.

Die AfD scheint genau dieses Zugehörigkeitsgefühl erzeugen zu wollen; zu einer sprachlichen, kulturellen, aber auch historischen Gemeinschaft. Verfängt das bei der Jugend?

Das ist so leicht nicht zu beantworten. Der Wunsch, sich zugehörig fühlen zu wollen oder abzugrenzen, wird jedenfalls stärker, wenn man sich bedroht fühlt. Durch Flüchtlingsströme etwa. Das können auch Menschen verspüren, die vor Jahren nach Deutschland eingewandert sind. Bedrohungen oder geschürte Ängste wirken mitunter identitätsstiftend.

Zweitstärkste Partei bei jungen Menschen ist die Union. In ihrem Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm nennt sie unter dem Begriff der Leitkultur gleich auf der ersten Seite „das Bewusstsein von Heimat und Zugehörigkeit“. CDU-Chef Friedrich Merz sagt: „Wir brauchen etwas, das uns zusammenhält, und zwar über den reinen Text unseres Grundgesetzes hinaus.“ Sehnt die Jugend sich nach diesem „etwas“?

Wir kommen zu dem Schluss, dass junge Menschen eine Vision brauchen. Ein Ziel, wofür sie leben und wonach sie streben. Das Grundgesetz gibt Stabilität und Verlässlichkeit, es erzeugt aber keine Emotionen. Es motiviert und inspiriert nicht. Das kann es nur dann, wenn Grundrechte infrage gestellt werden. So war es während der Corona-Pandemie. Freiheit emotionalisiert nicht, solange sie nicht gefährdet ist. Und Heimat ist geografisch nicht begrenzt. Wo fühlt man sich geborgen? Wo ist man aufgewachsen? Wo sind meine Freunde? Das sind positive Eigenschaften dieses Begriffs. Wer Heimat verspricht, dockt an dieses gute Gefühl an. Junge Menschen sehnen sich nach einer Urgeborgenheit.

Ist diese Sehnsucht stärker geworden?

Ja, denn vor allem durch die Pandemie sind Gelegenheiten für ein Miteinander verloren gegangen. Und sie kommen nicht einfach zurück, weil sie wieder erlaubt sind. Straßenfeste oder Vereinsaktivitäten waren vorher Routinen. Das durfte plötzlich nicht mehr stattfinden. Jugendtrainer haben gemerkt, was sie außerdem mit ihrer Freizeit anfangen können. Sie und die jungen Menschen müssen sich ihre Zeit erst wieder freischaufeln. Die Verschiebung ins Digitale hat die Verbindlichkeit geschwächt. Vereine wissen nicht, wie sie junge Leute erreichen sollen. Wir erleben eine Verarmung des Miteinanders.

Eine der größten Sorgen der Jugend ist die Spaltung der Gesellschaft. Können Sie das ausführen?

Spaltend ist nicht nur das Thema Flüchtlinge. Eine krasse Spaltung gab es während der Corona-Krise. Als es hieß, dass Ungeimpfte nicht auf Partys kommen dürfen. Als bei Familienfesten einzelne Angehörige ausgeladen wurden, weil sie sich als Querdenker geoutet hatten. Das hat Gräben in die Gesellschaft gerissen. Das betrifft auch das Thema AfD. Da gibt es Verwerfungen in Familien. Und zu den Gräben kommen neue hinzu. Weil immer mehr junge Leute registrieren, dass sie sich deutlich weniger leisten können als ihre Freunde. Friedrich Merz trifft mit seiner Aussage womöglich einen richtigen Punkt. Das Gefühl fehlt, dass man gemeinsam an einem Strang zieht.

Anhand von mehreren Aussagen haben Sie rechtspopulistische Einstellungen untersucht. Sie schreiben, dass die Werte im Vergleich zu Daten von 2019 recht stabil geblieben sind. Stark abgenommen hat lediglich die Zustimmung zu dem Satz: „Ich finde es gut, dass Deutschland viele Flüchtlinge aufnimmt.“ Warum ist das rechtspopulistisch?

Diese Aussage wurde, gemeinsam mit fünf weiteren, unter dem Begriff rechtspopulistisch geklammert. Sie wurden für die Shell Jugendstudie entwickelt.

Zahlreiche Kommunen in Deutschland sind überfordert bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Der Wohnraum wird dadurch knapper, es gibt zu wenig Schul- und Kita-Plätze. Der Grünen-Vordenker Ralf Fücks, der nun nicht im Verdacht steht, rechts zu sein, sagte der Zeit, man müsse „die sozialen und kulturellen Konflikte ernst nehmen, die mit ungesteuerter Zuwanderung verbunden sind“. Die „Aufnahmekapazität“ sei begrenzt.

Ich verstehe Ihren Einwand. Die Zustimmung oder Ablehnung bei einzelnen Fragen bedeutet nicht, dass man rechtspopulistisch tickt. Ein tatsächlicher Rechtsruck lässt sich in der Parteipräferenz beobachten und weniger in den Einstellungen. Es gibt aber eine Empfänglichkeit für diese Aussagen, die gesteigert wird durch gesellschaftliche Veränderungen und die Sorgen der Jugend. Die Sorge vor Flüchtlingsströmen hat sich seit 2022 verdoppelt.

Was vermutlich auch daran liegt, dass reale Missstände, die politisch verschuldet und nicht behoben wurden, durch die Aufnahme vieler Flüchtlinge verstärkt werden. Geht es also um mangelndes Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der anderen Parteien?

Genauso ist es, das ist wohl die zentrale Erkenntnis.

afd stärkste partei bei der jugend: „spaltend ist nicht nur das thema flüchtlinge“

Ein Deutschlandfahnen-Anstecker am Jackett von AfD-Chef Tino Chrupalla. „Bei vielen jungen Leuten stoßen die AfD-Positionen auch auf Zustimmung.“

Während die AfD ihr Umfragehoch feiert, wird auch der Druck auf sie größer. Da wäre die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, aber auch die Berichterstattung über die Radikalisierung der Partei. Warum verfängt das bei der Jugend offensichtlich nicht?

Wir haben für unsere Studie auch danach gefragt, warum man die AfD wählen würde. Da spielt Frust eine große Rolle. Er zielt auf die Regierung und die anderen Parteien. Ihnen soll ein Denkzettel verpasst werden. Bei vielen jungen Leuten stoßen die AfD-Positionen aber auch auf Zustimmung, die kompakten, einfachen Botschaften. Da kommt der Partei zugute, dass sie sich noch nicht in einer Regierung beweisen musste.

Neigt die Jugend grundsätzlich zu einer gewissen Radikalität?

Junge Menschen sind noch nicht so gefestigt in ihrer Meinung. Damit sind wir wieder bei der Suche nach der eigenen Identität. Sie müssen stärker in die Extreme gehen, um herauszufinden, wohin sie gehören.

Und sich nicht nur gegen die Eltern auflehnen, sondern auch gegen politische Eliten? Die Regierung steht ja gerade eher links als rechts.

Vielmehr Auflehnung beobachten wir bei Menschen, denen etwas weggenommen wurde. Junge Leute haben in ihrem Leben aber vom Staat noch nicht viel bekommen, das sie verlieren könnten. Bauernproteste haben eine ganz andere Dimension als Proteste gegen Lehrermangel.

Anders war das bei den Demonstrationen von Fridays for Future. Da hieß es, die Jugend erhebe sich gegen die Klimapolitik.

Nun sehen wir, dass sie so grün gar nicht ist. Sie steht mehrheitlich auch nicht hinter den Aktionen der Letzten Generation. Klimapolitik ist zwar weiterhin vielen wichtig, aber finanzielle Sorgen werden zum Hauptproblem.

afd stärkste partei bei der jugend: „spaltend ist nicht nur das thema flüchtlinge“

Demonstranten protestieren im November 202 vor dem Brandenburger Tor gegen die Pandemie-Maßnahmen.

Haben Sie Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland festgestellt?

Ja, aber wir haben Sie noch nicht veröffentlicht. Zieht man Berlin ab, kommt die AfD im Osten auf 31 Prozent, im Westen sind es 21 Prozent. In Berlin liegt sie bei 19 Prozent. Der Aussage „Ich finde es gut, dass Deutschland viele Flüchtlinge aufnimmt“ stimmen in Ostdeutschland rund 19 Prozent zu, in Westdeutschland sind es rund 27 Prozent. In Berlin liegt der Wert bei 37 Prozent.

In Ihrer Studie verlassen Sie an einigen Stellen die nüchterne Forschung, geben Empfehlungen. Weil die AfD in sozialen Medien dominiert, schreiben Sie: „Den anderen Parteien ist dringend anzuraten, hier nachzuziehen und insbesondere auch ihre Akteure dazu zu ermutigen, sich (mit professioneller Unterstützung) auf diese Kanäle zu trauen.“ Finden Sie nicht, dass Sie das als Forscher angreifbar macht?

Der Grund dafür ist, dass junge Menschen einige Informationen gar nicht wahrnehmen, wenn sie nicht in ihrem Informationskosmos kursieren, bei TikTok oder Instagram. Parteien müssen dort präsent sein, sonst existieren sie nicht. Darum geht es uns. Weniger um die Inhalte.

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