Nato-Ostflanke: Eine historische Unterschrift in Vilnius

nato-ostflanke: eine historische unterschrift in vilnius

Verteidigungsminister Pistorius (re.) mit seinem litauischen Kollegen Anušauskas. Pistorius ist bereits zum vierten Mal in diesem Jahr in das Land im Baltikum gereist.

Erstmals wird eine Bundeswehrbrigade mit 5000 Männern und Frauen dauerhaft im Ausland stationiert. In Litauen bringt Verteidigungsminister Pistorius das Milliardenvorhaben auf den Weg. Aber es gibt noch eine große Unbekannte.

Eine historische Unterschrift in Vilnius

Boris Pistorius meint, wenn das so weitergehe, dann könne er bald die litauische Staatsbürgerschaft beantragen. Zum vierten Mal in diesem Jahr ist der Verteidigungsminister in das Land gereist – und künftig wird er noch öfter kommen. An diesem Tag ist Pistorius da, um mit seinem litauischen Amtskollegen Arvydas Anušauskas die vierseitige “Roadmap Brigade Lithuania” zu unterzeichnen – damit wird in Vilnius auch ein neues Kapitel in der Geschichte der Bundeswehr aufgeschlagen, man übernimmt mehr Verantwortung.

Ein halbes Jahr nach der überraschenden Ankündigung des Verteidigungsministers, dauerhaft eine Brigade in Litauen zu stationieren, wird nun der genaue Fahrplan und der Rahmen zur Umsetzung beschlossen. Für die 4800 Soldaten und 200 Zivilisten werden Rukla und Rūdninkai die Stationierungsstandorte sein, wohnen sollen sie und ihre Familien vor allem in Vilnius und Kaunas. Es wird bereits kräftig gebaut. “Schule, Kitas, Wohnraum, das ist alles auf einem guten Weg”, sagt Pistorius. Den Sinn der Mission umschreibt der Minister so: “Wir sind bereit, Nato-Territorium zu verteidigen und abzuschrecken.” In Richtung Kreml betont der SPD-Politiker: “Wir senden ein klares Signal an alle, die Frieden und Sicherheit in Europa bedrohen könnten.”

Der Verteidigungsminister spricht von einem “Leuchtturmprojekt der Zeitenwende”

Bei der Unterzeichnung steht an Pistorius’ Platz zunächst eine litauische Fahne, die wird rasch getauscht gegen eine deutsche. Als er und Anušauskas nach der Unterschrift unter das Dokument im Verteidigungsministerium die goldverzierten schwarzen Kugelschreiber zurücklegen, brandet Applaus auf. Von einem historischen Ereignis spricht Anušauskas, Pistorius sagt, erstmals in der Geschichte der Bundeswehr werde eine komplette, kriegstüchtige Brigade dauerhaft in einem anderen Staat stationiert, das sei ein “Leuchtturmprojekt der Zeitenwende”.

Die Kampfbrigade an der Nato-Ostflanke soll im Jahr 2025 formell in Dienst gestellt werden und von 2027 an in voller Stärke einsatzfähig sein. Dazu soll im zweiten Quartal 2024 ein Vorkommando mit 20 Dienstposten nach Litauen verlegt werden. Zum Jahresende soll der Aufstellungsstab im Land sein. 2025 und 2026 soll die Brigade durch Verlegungen anwachsen, Pistorius sieht großes Interesse in der Bundeswehr, zudem locken attraktive Zulagen. Den Kern bilden das Panzergrenadierbataillon 122 aus Oberviechtach in Bayern und das Panzerbataillon 203 aus Augustdorf in Nordrhein-Westfalen. Als drittes Bataillon kommt der multinationale Nato-Gefechtsverband in Litauen hinzu, der schon unter Führung Deutschlands im Land ist, aber bisher rotierendes Personal in Rukla im Einsatz hat. Die Soldaten besucht Pistorius anschließend, zur gemeinsamen Weihnachtsfeier.

In Litauen gibt es eine enorme Wertschätzung für die Deutschen. Pistorius wird dort auch vom Präsidenten und vom Außenminister empfangen. Im Grunde sei die Bundeswehrbrigade eine Art zweite Armee für das Land, betonen sie in Vilnius. Die litauische Armee verfügt bisher nur über etwa 15 000 Soldaten. In dem baltischen Staat weiß man genau, wie wichtig die Verteidigung der Ukraine gegen Russland ist, man fürchtet, sonst das nächste Opfer sein zu können. Am Eingang des Verteidigungsministeriums hängt daher gleich neben der litauischen Fahne eine riesige ukrainische. Zur Unterzeichnung der sogenannten Roadmap begleiten Pistorius auch Verteidigungs- und Haushaltspolitiker von SPD, Union, den Grünen und der FDP.

Aus Vilnius sendet Pistorius einen kleinen Gruß an den Kanzler und den Finanzminister

Die deutschen Soldaten und ihre Familien sollen Zugang zu Schulen, Kitas und Ärzten möglichst in deutscher Sprache bekommen, auch die Angehörigen sollen hier gute Arbeitsmöglichkeiten vorfinden, betont Anušauskas. “Wir haben uns verpflichtet, die notwendige militärische und zivile Infrastruktur bereitzustellen.” Dann schaut er zu Pistorius hinüber und sagt: “Wenn Sie nicht dahintergestanden hätten, ständen wir nicht hier.”

Warum müsse es gleich eine dauerhafte Stationierung sein, statt einer Brigade in Alarmbereitschaft in Deutschland, werden die Minister gefragt. Anušauskas verweist auf das Jahr 2022 und Russlands Überfall auf die Ukraine. “Kein Zentimeter des Nato-Territoriums soll an den Aggressor abgegeben werden.” Und Pistorius blickt zurück in die Geschichte des Kalten Krieges. “Die Elbe war damals quasi die Grenze zwischen Warschauer Pakt und Nato.” Damals sei Deutschland die Ostflanke gewesen, damals waren es die Alliierten, die durch ihre dauerhafte Präsenz Deutschland geschützt hätten.

Das Vorhaben fügt sich ein in die Nato-Strategie einer “Abschreckung ohne Konfrontation” gegenüber Russland. Aber die große Unbekannte ist bisher die Kostenfrage. Inklusive Materialverlegungen, darunter neueste Leopard-2-Kampfpanzer und Hunderte Fahrzeuge, sowie der Umzüge Tausender Familien könnten sich die Aufstellungskosten nach internen Schätzungen auf mehrere Milliarden Euro belaufen. Laut Pistorius kostet eine Brigade zudem im Unterhalt in Deutschland 25 bis 30 Millionen pro Monat – in Litauen kommen dann Auslandszulagen hinzu. “Wir werden es bewältigen, weil wir es bewältigen müssen”, sagt Pistorius zur Kostenfrage. Ein kleiner Gruß auch an den Kanzler und den Finanzminister.

Pistorius verweist besorgt auf die russische Rüstungsindustrie

Dass das Material, das bisher der Ukraine geliefert wurde, nicht ausreichen könnte, erfährt der Minister indirekt bei einem Besuch von Lithuania Defense Services (LDS), einer Gemeinschaftsfirma der Rüstungskonzerne Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall. In dem Wartungszentrum werden im Krieg in der Ukraine beschädigte Leopard 2- A6-Kampfpanzer repariert, von denen Deutschland 18 Stück geliefert hat. Details, auch zur Zahl der Panzer, die hier stehen, sind geheim. Aber es gibt durch russischen Beschuss Schäden, die es bis jetzt an diesen Panzern so noch nicht gegeben hat. Die Hersteller der Panzer lernen hier einiges – nach der Reparatur kommen sie zurück an die Front in der Ukraine.

Wie beunruhigt Pistorius ist, zeigen seine jüngsten Aussagen, er verweist darauf, dass Russlands Präsident Wladimir Putin die Rüstungsproduktion um mehr als 60 Prozent steigern lässt und in fünf bis acht Jahren zu einem noch viel größeren Schlag ausholen könnte. In der Bundeswehr wird damit gerechnet, dass das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für Neubeschaffungen 2027/2028 aufgebraucht sein könnte.

Bisher wird es angerechnet auf das Zwei-Prozent-Ziel der Nato, das besagt, dass zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgegeben werden müssen. Ist das Sondervermögen aufgebraucht, müsste jedoch der reguläre Verteidigungsetat um etwa 25 bis 30 Milliarden Euro im Jahr steigen. Daher wird im Bundestag inzwischen über ein Bundeswehr-Sondervermögen II in ähnlicher Höhe diskutiert, doch dafür bräuchte es die Unterstützung der Union. In wackligen Haushaltszeiten würde es aber deutlich mehr Planungssicherheit bieten, indirekt auch für das Prestigeprojekt der Brigade Litauen.

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