Wirtschaftspolitik: Scholz’ Treffen mit den Wirtschaftsverbänden legt Zerwürfnis offen

wirtschaftspolitik: scholz’ treffen mit den wirtschaftsverbänden legt zerwürfnis offen

Olaf Scholz data-portal-copyright=

Der Kanzler hat sich mit den vier Spitzenverbänden der Wirtschaft getroffen. Die hatten sich bereits bitterlich über Scholz beschwert – und legten nach dem Treffen in ungewöhnlicher Weise nach.

Bloß 20 Minuten ließen die vier Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft vergehen, bis sie nach ihrer ersten Pressemitteilung die zweite verschickten. In der ersten ging es um das Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), in der zweiten um das anschließende mit Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU). Die Verbände hatten beide Politiker für Mittwochnachmittag zu sich eingeladen. Und der Ton in den anschließenden Mitteilungen hätte nicht unterschiedlicher ausfallen können.

Zu Scholz erklärten sie lediglich, der Dialog mit dem Kanzler zur Stärkung des Standorts Deutschland sei „sehr wichtig“. Man stehe für weitere Gespräche zur Verfügung. Nicht einmal eine Andeutung von Einvernehmen fand sich in den neun Sätzen.

Ganz anders liest sich die Mitteilung zu Merz: Von „großer Übereinstimmung in der Einschätzung der Handlungsnotwendigkeit und Handlungsfelder“ ist da die Rede. Die CDU habe „richtige Impulse in wichtigen Bereichen gesetzt“.

Die Kommunikation der Verbände ist ein beispielloser Vorgang. In den vergangenen Tagen war bereits durchgesickert, wie sehr die Wirtschaft sich vom Kanzler im Stich gelassen fühlt. Das Zerwürfnis nach dem Treffen nun in öffentlichen Statements so offensichtlich nach draußen zu tragen verdeutlicht die Entfremdung zwischen Kanzler und Wirtschaft. Und hinterher wurde auch gar nicht erst versucht, das zu vertuschen. Man habe „miteinander gesprochen, aber näher gekommen ist man sich nicht”, hieß es.

„Es prallt weiter alles am Kanzler ab“

Die vier Spitzenorganisationen der deutschen Wirtschaft – der Industrieverband BDI, die Arbeitgeberorganisation BDA, der Handwerksverband ZDH sowie die Industrie- und Handelskammer DIHK – hatten Scholz und Merz im Rahmen ihrer Klausurtagung eingeladen.

Mitgebracht hatte Scholz seinen Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt und seinen obersten wirtschaftspolitischen Berater Jörg Kukies. 90 Minuten, ab 12:30 Uhr, diskutierte der Kanzler mit den Verbänden. Eine halbe Stunde länger als geplant.

Für Entspannung sorgte das aber nicht. „Es prallt weiter alles am Kanzler ab“, echauffierte sich einer der Wirtschaftsvertreter im Anschluss. Er erkenne die wirtschaftliche Schieflage in Deutschland weiterhin nicht an.

Die Botschaft, wirtschaftspolitisches Nichthandeln sei keine Option mehr, sei zwar endlich beim Kanzler angekommen, sagte ein anderer Teilnehmer. Aber aufgeschlossen sei er gegenüber den Wirtschaftsvertretern nicht aufgetreten. Konkrete Zusagen: Fehlanzeige, hieß es einhellig. Auch habe Scholz wieder fast nur darüber gesprochen, was er alles bereits für die Wirtschaft getan habe.

Merz folgte kurz nach Scholz um 14:15 Uhr. Das Gespräch mit ihm dauerte 70 Minuten. Der CDU-Vorsitzende sei, anders als der Kanzler, professionell aufgetreten, hieß es hinterher aus Wirtschaftskreisen. Natürlich gebe es auch mit Merz schwierige Themen. So hätten sich die Verbände beschwert, dass die Union das „Wachstumschancengesetz“ lange im Bundesrat blockiert habe, das Steuererleichterungen für Unternehmen vorsieht. Aber Merz sei viel besser in der Lage, mit solcher Kritik umzugehen.

Zerwürfnis hat sich über Monate aufgebaut

Das zerrüttete Verhältnis zwischen Kanzler und Wirtschaft hat eine Vorgeschichte. Bereits Ende Januar hatten die Wirtschaftsverbände dem Kanzler in einem Brief von ihrer „großen Sorge“ über „die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung“ in Deutschland berichtet und den Kanzler zu Reformen gemahnt: „Wir appellieren dringend an Sie, jetzt Maßnahmen zu ergreifen, die einen wirtschaftlichen Aufbruch in unserem Land fördern”, schrieben die Verbände und legten eine Zehn-Punkte-Reformliste bei, die konkurrenzfähige Strompreise, schnellere Genehmigungsverfahren und eine Steuerreform vorsah.

Über diese Themen, so die Erwartung der Wirtschaftsverbände, würde man mit Scholz bei einem Treffen Anfang März in München sprechen. Der Termin sollte jedoch den Bruch zwischen Kanzler und Wirtschaft markieren.

Scholz ging in dem Gespräch vom März, so war nachher zu hören, nicht auf die Sorgen der Wirtschaft ein – sondern zum Gegenangriff über. Er wisse noch aus seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister, dass „die Klage das Lied des Kaufmanns“ sei. Er habe allein mit der Abschaffung der EEG-Umlage für Entlastungen in Höhe von 20 Milliarden Euro gesorgt, aber bis heute habe sich niemand bei ihm dafür bedankt. Die Wirtschaftsvertreter könnten das aber gern nachholen.

„Er behandelt uns wie Untertanen“

Die Wirtschaftsvertreter hätten sich ungläubig angeguckt. „Er hat uns behandelt wie Untertanen“, hieß es hinterher. Offenbar glaube der Kanzler, wenn er „die Leute kleinmacht, kann er sie besser steuern“.

Vorige Woche machte BDI-Chef Sigfried Russwurm seinem Ärger in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ öffentlich Luft und griff Scholz persönlich an. „Wir sprechen mit dem Wirtschafts- und dem Finanzminister regelmäßig. Vom Kanzler hören wir zuletzt häufig das Zitat: ,Die Klage ist das Lied des Kaufmanns’“, sagte Russwurm. „So kann man unsere Analysen auch abkanzeln, zeigt aber, dass im Kanzleramt der Ernst der Lage offenbar unterschätzt wird.“

Auch am Mittwoch sei Scholz wieder nicht auf die Zehn-Punkte-Liste der Verbände eingegangen. Er habe deutlich gemacht, die Einschätzung der Lage nicht zu teilen, und auf den absehbaren Aufschwung verwiesen. 2025 soll die Wirtschaft um ein Prozent wachsen.

Allerdings nimmt das wirtschaftliche Potenzial Deutschlands ab, darauf verweisen auch die Verbände. Das zeigen selbst die Prognosen der Bundesregierung: jährlich nicht mehr als 0,5 Prozent Wachstum seien in Zukunft noch möglich. Ein bisschen Hoffnung schöpfen die Wirtschaftsvertreter daraus, dass man mit Scholz vereinbart habe, den Dialog fortzusetzen. Wann und in welcher Form, ist allerdings offen.

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World