Atomkraft: Tschechien will noch mehr Reaktoren bauen

atomkraft: tschechien will noch mehr reaktoren bauen

Das Atomkraftwerk in Temelín. Es kann gut sein, dass hier noch zwei weitere Reaktoren gebaut werden.

Noch immer ist Braunkohle die wichtigste Energiequelle im Land, erneuerbare Energien lässt die Regierung quasi links liegen. Stattdessen setzt sie verstärkt auf Atomkraft. Die Reaktion der Bevölkerung ist bemerkenswert.

Tschechien will noch mehr Reaktoren bauen

Petr Fiala will Unabhängigkeit in der Energieversorgung. In Tschechien soll genug Strom für die Bevölkerung und die Industrie produziert werden können. Ohne dass irgendwelche Schurkenstaaten sich einmischen. Unabhängigkeit erreichen und gleichzeitig das Klimaziel einhalten, das kann Tschechien laut seines Premiers nur mit Atomenergie.

“Die Tschechische Republik setzt schon immer auf Atomenergie”, sagte der konservative Politiker Ende März auf einem Gipfeltreffen zur Kernenergie in Brüssel. Fiala ist stolz darauf, dass Tschechien mit daran beteiligt war, Atomkraft als, wie er sagt, “saubere und unterstützenswerte Energiequelle” in Brüssel durchzusetzen. “Wir sind überzeugt, dass Atomkraft eine der Möglichkeiten ist, die Klimaziele zu erfüllen.”

Vier Reaktoren zum Preis von dreien?

Im Januar hatte Fiala bekannt gegeben, statt einem schon sehr lange geplanten neuen Reaktor im Atomkraftwerk Dukovany in Mähren könnten gleich vier neue Blöcke entstehen – zwei in Dukovany und zwei in Temelín in Südböhmen. Dann gebe es nämlich Rabatt, erklärte Fiala damals, und letztlich bekäme das Land dann vier Reaktoren zum Preis von dreien. Ob es wirklich so kommt, soll sich im weiteren Verlauf der Ausschreibung zeigen. Bis Mitte April sollen der französische Konzern EDF und die südkoreanische KHNP detailliertere Angebote vorlegen.

Mit vier neuen Reaktoren würde sich der Anteil der Kernenergie im tschechischen Strommix deutlich erhöhen. Er liegt derzeit bereits bei bis zu 40 Prozent. Mindestens 50 Prozent sollen es im Jahr 2050 sein, so stellt es sich Fialas Regierung in Prag vor.

Außerdem investiert das Land in die Erforschung von sogenannten modularen Reaktoren. Der erste könnte ebenfalls in Temelín errichtet werden. Der Ort ist weiterhin in der engen Wahl, wie die halbstaatliche Energiegesellschaft ČEZ im März bekannt gab. Andere mögliche Orte sind Tušimice nahe der sächsischen und Dětmarovice nahe der polnischen Grenze. Hier seien die geologischen Bedingungen günstig.

Den Hauptmann des Bezirks Südböhmen, Martin Kuba, freut das; er hat schon vor längerer Zeit ein Memorandum über enge Zusammenarbeit mit der ČEZ unterzeichnet, berichtet der tschechische Rundfunk. Der Bürgermeister des Örtchens Temelín, Josef Váca, sagte dort, seine einzige Sorge sei, dass es dann noch mehr Überlandstromleitungen gebe. “Davon haben wir schon genug.” “Wir wären froh, wenn die Kabel in die Erde verlegt werden könnten.”

Fast die Hälfte des Stroms kommt aus Kohlekraftwerken

Premier Fiala und die beiden Lokalpolitiker sind mit ihrer Atom-Begeisterung nicht allein. In Umfragen des Meinungsforschungsinstituts IBRS unterstützen etwa 70 Prozent der Befragten die Nutzung von Atomenergie. Auch, weil sie darin wie ihr Premier, eine zuverlässige Energiequelle in unsicheren Zeiten sehen.

Das angesehene Kernenergie-Forschungszentrum ÚJV in Řež bei Prag oder Institute der Akademie der Wissenschaften tun ihr übriges für diese Art der Technikbegeisterung. So sagte ein Physiker von der Akademie dem tschechischen Radio im Februar, 50 Prozent Atomenergie seien nicht schlecht, aber zwei Drittel wären noch viel besser für eine stabile Energieversorgung. Erneuerbare Quellen seien viel zu unzuverlässig.

In Nordböhmen will ČEZ 2025 allerdings mit dem Bau zweier Photovoltaik-Kraftwerke beginnen. Jedes soll eine Leistung von 100 Megawatt haben – ein Zehntel dessen, was ein Kernkraftreaktor in Temelín generiert. Bisher spielen erneuerbare Energiequellen auf dem tschechischen Strommarkt kaum eine Rolle: im Jahr 2022 erzeugten Sonne, Wind und Biomasse gerade mal 5,4 Prozent des tschechischen Stroms. So geht es aus einer Statistik der Energiemarketing-Firma OTE hervor.

Noch ist Braunkohle die Hauptenergiequelle des Landes, fast die Hälfte des Stroms kommt aus Kohlekraftwerken – immerhin eine wirklich einheimische Quelle. Die Brennstäbe für die tschechischen AKW kamen bis zum russischen Angriff auf die Ukraine noch aus Russland. Der Vorrat soll nun aufgebraucht sein, der US-Konzern Westinghouse füllt die Lücke. Dafür flogen die US-Amerikaner aus dem Rennen um den Bau der neuen Kernreaktoren.

Die Gegner warnen vor Staatsschulden und fehlenden Endlagerstätten

Auch in Tschechien wären einige Menschen erleichtert, wenn die vier Blöcke nicht entstünden. Hauptargument der Gegner ist der Preis. Die ČEZ selbst macht darauf aufmerksam, dass die Kosten nur mit großzügiger Hilfe des Staates zu stemmen sind. Das tschechische Finanzministerium rechnet mit einem Preis von 1,75 Billionen tschechischen Kronen für vier Reaktoren – umgerechnet etwa 70 Milliarden Euro.

Der Staat müsste sich erheblich verschulden, aber auch die Verbraucher käme die Atomenergie am Ende teuer zu stehen, sagen Kritiker wie etwa Edvard Sequens von der Umweltbewegung Calla. Nicht zuletzt, so schreibt Sequens in einem seiner Beiträge auf calla.cz, erforderten mehr AKW am Ende nur immer tiefere Endlager – und die Orte dafür sind bislang nicht einmal gefunden.

Auch die Wirtschaftszeitung Hospodářské Noviny weist darauf hin, dass das sture Festhalten an der Atomenergie die Diskussion über andere Quellen unterdrücke. Zudem gehe der Staat seit Jahren von einem viel zu hohen Energiebedarf aus. Schon jetzt ist Tschechien der viertgrößte Stromexporteur in Europa.

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