Überfahrt nach Großbritannien: Mehrere Tote im Ärmelkanal

Der Ruanda-Deal ist beschlossen, die Flucht über den Ärmelkanal geht weiter. Am Dienstagmorgen wagten Dutzende Migranten die Überfahrt. Rund hundert wurden gerettet, mindestens fünf verloren ihr Leben.

überfahrt nach großbritannien: mehrere tote im ärmelkanal

Mehrere Schutzsuchende sind am Dienstag bei dem Versuch gestorben, über den Ärmelkanal nach Großbritannien zu fahren. Die französischen Behörden sprachen von mindestens fünf Toten, darunter auch ein Kind. Die Küstenwache bestätigte am Vormittag, mehrere leblose Körper gefunden zu haben. Man sei noch immer im Einsatz.

Am Vormittag hatten offenbar mehrere Gruppen versucht, an der französischen Küste in See zu stechen. Laut der Zeitung »La Voix du Nord« wurden etwa hundert Migranten gerettet, drei Hubschrauber und mehrere Rettungsboote waren demnach an dem Einsatz beteiligt.

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Der Ärmelkanal ist in den vergangenen Jahren zu einer geschäftigen Migrationsroute geworden. Jedes Jahr legen Zehntausende Geflüchtete mithilfe von Schleppern in wackeligen und oft überfüllten Schlauchbooten von der französischen Küste ab, um später im Vereinigten Königreich Asyl zu beantragen. Viele von ihnen haben Freunde oder Familie dort, manch einer erhofft sich bessere Chancen auf dem britischen Arbeitsmarkt, andere fühlen sich in Frankreich schlecht behandelt.

Seit Januar haben mehr als 6000 Migrantinnen und Migranten die Überfahrt geschafft, darunter laut dem britischen Innenministerium viele Menschen aus Vietnam und Afghanistan. Die Zahlen sind um rund ein Viertel höher als im Vorjahr – die Bootsflüchtlinge stellen allerdings nur ein Bruchteil der Migration ins Königreich dar.

Aggressive Manöver im »Channel«

Die Debatte fokussiert sich trotzdem seit Jahren auf »small boats«. Die britische Regierung hat versprochen, die Überfahrten zu stoppen. Premier Rishi Sunak setzt dabei unter anderem auf die französischen Behörden. London zahlt Hunderte Millionen Euro an Paris. Der SPIEGEL hatte zuletzt gemeinsam mit Lighthouse Reports, dem »Observer« und »Le Monde« enthüllt, wozu der britische Druck führt: Französische Sicherheitskräfte gehen nun auch auf dem Wasser aggressiv gegen Schutzsuchende vor, fahren gefährliche Manöver, um sie zu stoppen. Selbst einige französische Küstenwächter sind entsetzt.

Sunak brachte zudem Montagnacht ein umstrittenes Gesetz durchs Parlament, das die Überfahrten beenden soll: Großbritannien will irregulär eingereiste Asylbewerber künftig ohne Verfahren nach Ruanda abschieben – dort soll ihr Gesuch zwar geprüft werden. Eine Rückkehr nach Großbritannien ist aber nicht vorgesehen.

Der Entwurf, dem das Oberhaus in der Nacht zum Dienstag nach langem Widerstand zustimmte, erklärt Ruanda per Gesetz zum sicheren Drittstaat. Britische Richter hatten das zuletzt anders gesehen und den ersten Abschiebeflug noch gestoppt. Das Gesetz soll nun verhindern, dass Gerichte die Flüge aufgrund von Menschenrechtsbedenken stoppen.

»Gefährlicher Präzedenzfall«

Der Deal mit Ruanda ist Sunaks wichtigstes Wahlversprechen. Zumindest offiziell gehen die Tories davon aus, dass schon ein paar Flüge ausreichen, um weitere Migrantinnen und Migranten von der Überfahrt abzuschrecken. Viele Expertinnen und Experten sehen das anders. Sie kritisieren die enormen Kosten des »unmenschlichen und ineffektiven« Plans. Der Uno-Menschenrechtsbeauftragte Volker Türk sprach am Dienstag von einem »gefährlichen Präzedenzfall«. Laut Sunak sind die ersten Flüge in zehn bis zwölf Wochen geplant.

Spätestens im kommenden Januar stehen in Großbritannien Unterhauswahlen an, derzeit führt die oppositionelle Labourpartei mit großem Vorsprung in den Umfragen. Über den genauen Wahltermin wird seit Monaten spekuliert. Als wahrscheinlichster Zeitpunkt galt stets der Herbst. Zuletzt gab es laut britischen Medien aber auch in Sunaks Partei Überlegungen, ob es nicht besser wäre, die Wahl schon kurz nach den ersten Ruanda-Flügen abzuhalten – so könnte man einem möglichen Anstieg der Überfahrten in den Sommermonaten zuvorzukommen.

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