FOCUS-online-Interview - Anton Hofreiter nach Grünen-Fiasko: „Unser Ansehen in der Bevölkerung hat gelitten“

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Michael Kappeler/dpa

Der grüne Spitzenpolitiker Anton Hofreiter, Vorsitzender des Europaausschusses des Bundestags, spricht im FOCUS-online-Interview über das Debakel seiner Partei bei der Europawahl, die Randständigkeit des Genderns und die roten Linien des Kanzlers.

FOCUS online: Herr Hofreiter, die grüne Klimaschutzpolitik nutzt vielleicht der Natur, aber nicht Ihrer Partei, wie die Europawahl gezeigt hat. Wird es Zeit, dass Sie die Akzente da anders setzen – auch wenn das einige Stammwähler vergraulen mag?

Anton Hofreiter: Dies ist keine Frage des parteipolitischen Kalküls. In Umfragen sehen viele Leute den Klimaschutz zu Recht immer noch als eines der wichtigsten Themen an, neben der Verteidigung unserer Freiheit und unserer Demokratie. Was aber gelitten hat, ist das Vertrauen, dass die Grünen den Klimaschutz kompetent und sozial gerecht umsetzen. Daran ist auch unser ungeschickter Umgang mit dem Heizungsgesetz schuld.

Was haben Sie da falsch gemacht?

Am Ende ist das Gesetz gut geworden. Aber in ersten Entwürfen hat man die Belastungsgrenzen der Menschen nicht hinreichend beachtet. Fehler und Ungeschicklichkeiten ließen den Eindruck entstehen, als ob uns das nicht wichtig wäre.

Aber Ihr Absturz in der Wählergunst kann doch nicht nur an einem Gesetz gelegen haben?

Es war natürlich nicht nur das Heizungsgesetz. Die Atomdebatte kam dazu, die Gasumlage. Am Ende kommt es auf den Gesamteindruck einer Partei an, nicht auf einzelne Gesetze oder Ideen, die mal besser und mal schlechter ausfallen. Unser Ansehen in der Bevölkerung hat gelitten.

„Gendern ist ein eher randständiges Thema“

Die Grünen werden vielfach als eine Verbotspartei wahrgenommen, die den Leuten für alles und jedes Vorschriften machen will, bis hin zur Art und Weise, wie sie reden…

Es ist total bizarr, uns zu unterstellen, dass die Frage des Genderns unser Hauptanliegen wäre. Für Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder scheint das anders zu sein. Er beschäftigt sich so intensiv mit dem Gendern und unserem angeblichen Anteil daran wie keine anderen Politiker oder Politikerinnen, die ich kenne. Noch nicht einmal bei der Grünen Jugend gibt es irgendjemanden, der diesem Thema so viel Aufmerksamkeit widmet. Für uns als Grüne ist das Gendern angesichts der Weltlage ein eher randständiges Thema.

Sie beklagen sich über Stimmungsmache gegen die Grünen mit an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen?

Ich halte fest, dass Herr Söder häufig Unsinn redet. Im Bierzelt behauptet er, die Grünen würden die Leute zum Insektenessen zwingen wollen. Das ist schlicht die Unwahrheit, und er weiß auch, dass es nicht stimmt. In der Vergangenheit, vor zehn, 15 Jahren, haben wird unseren Teil zu solchen Legendenbildungen beigetragen, mit der Forderung nach einem „Veggie-Day“ zum Beispiel. Ich habe das damals für Quatsch gehalten und tue es auch heute. Aber so etwas macht bei uns inzwischen keiner mehr. Die Fabel von der angeblichen Verbotspartei ist ein Klischee.

Thema Migration: „Unsere Sprache ist klarer geworden“

Aber haben Sie die Lebenswirklichkeit der Wähler nicht vielleicht doch ein wenig aus den Augen verloren, zum Beispiel bei Migration und Asyl?

Die Art und Weise, wie wir mit dem Thema Migration umgehen, schadet nicht nur den Grünen, sondern allen demokratischen Parteien. Das nutzt der AfD, in meinen Augen eine eindeutig demokratiefeindliche Partei.

Welchen Umgang meinen Sie? Was wird von allen falsch gemacht und treibt der AfD Wähler zu?

Ich meine damit, dass bei diesem komplexen Problem immer wieder suggeriert wird, dass relativ einfache Maßnahmen zu schnellen Lösungen führen würden. Daran glaube ich nicht. Es war sicher auch nicht geschickt, in der Vergangenheit so zu tun, als ob das Problem gar nicht so groß wäre – das gab es auch bei uns Grünen.

Und welche Position nimmt Ihre Partei inzwischen ein?

Unsere Co-Vorsitzende Ricarda Lang und der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann haben das deutlich umrissen: Wenn jemand ein faires Verfahren bekam und kein Recht auf Asyl hat, auch als Arbeitskraft nicht benötigt wird und keine weiteren Abschiebehindernisse vorliegen, dann darf man so jemanden eben abschieben. Unsere Sprache ist da klarer geworden.

„Unter Merkel ist da jahrelang nichts passiert“

Aber diese Diktion beherzigt man doch wohl nicht überall in Ihrer Partei?

Die neue gemeinsame europäische Asylrechtsregelung ist unter den jetzigen deutschen Regierungsparteien zustande gekommen, also unter Mitwirkung der Grünen. Unter Merkel ist da jahrelang nichts passiert.

Die Grünen im Europäischen Parlament konnten sich dieser Regelung freilich nicht vorbehaltlos anschließen.

Das stimmt. Aber in Deutschland hat unsere Außenministerin Annalena Baerbock massiv mit dafür gesorgt, dass es zu diesem Asyl- und Migrationspaket der EU kam. Es gibt darin immer noch große Probleme, aber mehr war in den Verhandlungen im Europäischen Rat nicht drin. Die Grünen im Europaparlament wollten eine bessere Situation für Migrantenfamilien erreichen. Das finde ich, da es hier um Kinder geht, alles andere als verwerflich.

Nach der Europawahl-Klatsche stehen Ihnen nun die drei ostdeutschen Landtagswahlen dieses Jahres bevor. Alle Prognosen deuten darauf hin, dass es wieder eine erhebliche Abfuhr für die Ampel-Parteien geben wird. Wie wollen Sie sich als Grüne noch gegen diesen Trend stemmen?

Man muss als Partei deutlich machen, dass man für konkrete Probleme handwerklich vernünftige Lösungen hat. Wir hatten eine schwere Energiekrise, in der wir pragmatisch gehandelt haben. Wir sind ja eigentlich gegen Flüssiggas und Kohleverstromung. Aber wir haben dafür gesorgt, dass auch diese Energiequellen übergangsweise genutzt werden können, damit die Versorgungssicherheit gewährleistet blieb. Gleichzeitig haben wir konsequent erneuerbare Energieformen ausgebaut. Wir sind durchsetzungsstark auf Augenhöhe mit den Problemen geblieben.

Botschaft vermitteln: „Wir haben die Sache im Griff“

Wie wollen Sie davon Menschen überzeugen, die den etablierten Parteien nicht mehr trauen und sich immer häufiger der AfD zuwenden, gerade im Osten?

Die AfD bedient sich eines Teils der Wählerschaft, der sich von der Politik der demokratischen Parteien abgewendet hat. Man kann trefflich darüber streiten, wie hoch der Anteil der Menschen mit gefestigt rechtsradikalem Weltbild unter den AfD-Wählern ist. Ich sage mal: Er ist erheblich, das schwankt je nach Region. Man darf offenbar von mindestens 15 bis 20 Prozent in der Gesamtbevölkerung ausgehen.

Schreiben Sie diese Wähler auf Dauer für die Parteien jenseits der AfD ab?

Man muss auf die zugehen, die mit rationalen Argumenten noch erreichbar sind. Ich sehe das als wichtige Aufgabe für CDU und CSU. Leute, die aus Protest die AfD gewählt haben, sind wahrscheinlich für die Union leichter zu erreichen als für die Grünen. Unsere Partei muss beweisen, dass sie konkrete, vernünftige Politik machen kann. Dass sie dafür sorgt, dass der Staat gut funktioniert, Schulen in Ordnung gehalten werden, der Bus verlässlich kommt, die Eisenbahn endlich auch mal wieder pünktlicher fährt.

Wenn der ICE pünktlich kommt, sinkt der Zuspruch für die AfD? So einfach soll das sein?

Natürlich nicht. Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass es ein weitverbreitetes Gefühl von Verunsicherung und Kontrollverlust gibt. Wenn eine Bundesregierung dann auch noch einen zerstrittenen Eindruck hinterlässt, ist es höchste Zeit, diese Wahrnehmung abzustellen und den Leuten die Botschaft zu vermitteln: dieser Staat funktioniert, wir haben die Sache im Griff. Man muss Sicherheit vermitteln.

„Teile die Sorge, dass Putin weitere Länder angreifen könnte“

Gerade das Vorgehen Russlands in der Ukraine lässt die Bevölkerung aber aus verschiedenen Gründen um ihre Sicherheit bangen. Die einen glauben, wir lassen uns viel zu sehr in Putins Krieg hineinziehen. Die anderen betrachten zu große Zögerlichkeit bei der Waffenhilfe für Kiew als Bedrohung für unsere Freiheit…

In meinem Kontakt mit den Bürgern habe ich in den vergangenen Monaten im Straßenwahlkampf, bei Veranstaltungen so viel Zustimmung für meine Position einer entschlossenen Unterstützung der Ukraine, auch militärisch, erlebt wie noch nie. Die Umfragen bestätigen meinen Eindruck.

Dann müssen Sie jetzt ja nur noch den Bundeskanzler davon überzeugen, dass mehr Entschlossenheit nötig wäre. Wird er einer Lieferung der deutschen „Taurus“-Marschflugkörper an Kiew doch noch zustimmen?

Ich teile die Sorge vieler Menschen, dass Putin weitere Länder angreifen könnte. Eine zu schwache Unterstützung der Ukraine könnte ihn zu neuen Überfällen ermutigen. Wer also den Stopp der Waffenlieferungen fordert, ist meiner Meinung nach wahrer Treiber der Eskalation. Die Frage der „Taurus“-Lieferung halte ich für offen. Sie ist die einzige vom Kanzler gezogene rote Linie, die er bisher noch nicht einkassiert hat. Ich verstehe nicht, dass er mit der Definition solcher Linien, die er dann doch immer wieder überschreitet, zusätzliche Verunsicherung erzeugt. Er entscheidet am Ende zwar immer richtig – aber erst nach langem öffentlichen Streit und unnötigem Verlust von Menschenleben.

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