Victor Orbán: Wie Manfred Weber und Peter Magyar Ungarns Premier besiegen wollen
In Ungarn ist wie aus dem Nichts eine neue Oppositionspartei aufgetaucht, die Orbán entmachten will. Unterstützt wird der oppositionelle Magyar von einem einstigen Gefährten Orbáns: Manfred Weber.
Victor Orbán: Wie Manfred Weber und Peter Magyar Ungarns Premier besiegen wollen
Ein herzlicher Händeruck, eine Flasche ungarischer Wein, ein breites Grinsen bei Manfred Weber. »Wir sehen uns am Dienstag in Brüssel«, sagt Péter Magyar zum Abschied, als spreche er mit einem alten Freund. Es ist das Hilton Hotel in Budapest, direkt oben an der pompösen Fischerbastei mit fantastischem Blick auf die Donau und über die Stadt.
So freundlich wie am Freitag wurde EVP-Parteichef Weber schon lange nicht mehr in Ungarn empfangen. Magyar ist der neueste Coup von Weber, er hat in Budapest wieder einen Verbündeten. Sieben Abgeordnete schickt die Tisza-Partei von Magyar ins EU-Parlament und aller Voraussicht nach in die EVP-Fraktion.
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Tisza holten aus dem Stand fast 30 Prozent bei der EU-Wahl und schwächte die Fidesz Partei von Ministerpräsident Viktor Orbán empfindlich, die mit 44 Prozent das schlechteste Ergebnis seit dem EU-Beitritt vor 20 Jahren einfuhr.
Weber flog am Freitag nach Ungarn, um den seit Wochen ausgeheckten Plan festzuzurren und die letzten Gespräche mit Tisza für die Aufnahme in die EVP-Fraktion zu führen und sich erstmals im persönlichen Gespräch zu beschnuppern.
»Die Tür ist weit offen für Tisza«, sagte Weber nach der ersten Besprechung mit den neu gewählten Abgeordneten. Die Neuankömmlinge seien fachlich fit, würden viel Erfahrung mitbringen, schwärmt Weber. Der formale Akt soll am Dienstag bei der Fraktionssitzung in Brüssel stattfinden.
Heimliche Gesprächsaufnahmen, Psychoterror und Gewalt
Nach jahrelangem Gezeter hatte die EVP im Frühjahr 2021 die Fidesz des Autokraten Orbán aus der Fraktion herausgeworfen. Die EU geht inzwischen spürbar härter gegen die Machenschaften in Budapest vor. Der Europäische Gerichtshof etwa verhängte gerade erst finanzielle Sanktionen, weil rechtliche Entscheidungen zum Asylsystem nicht umgesetzt wurden. Es droht ein tägliches Zwangsgeld von einer Million Euro.
Schaut man auf das EU-Ergebnis, scheint auch die ungarische Bevölkerung langsam genug zu haben.
Das liegt nicht zuletzt an Webers neuem Kumpanen Magyar. Wer ist der Mann? Tatsächlich war Magyar viele Jahre selbst im System Orbán beheimatet, fungierte als Funktionär im Hintergrund. In den ungarischen Medien sorgte vor allem ein übel ausgetragener Rosenkrieg zwischen ihm und seiner Ex-Frau, der früheren Justizministerin Judit Varga, für Aufsehen. Es geht um heimliche Gesprächsaufnahmen, angeblichen Psychoterror und – so der Vorwurf – sogar um Gewalt. Magyar weist die Vorwürfe zurück.
Er hat sich aus dem System losgelöst und bezeichnet die Fidesz-Regierung heute als »Mafia-Staat«. Orbán wiederum bezeichnet ihm als »linken« Verräter, der jahrelang profitiert habe von Fidesz.
Für welche Inhalte die Tisza steht, ist noch etwas unklar. Stimmung machte sie vor allem gegen die Korruption im Land. Im EU-Parlament wird die neue Delegation von Zoltán Tarr angeführt, der einst Generalsekretär der Reformierten Kirche in Ungarn war, diese aber verließ, als sie sich immer stärker der Regierung andiente.
Nicht alle Abgeordneten sind also Ex-Fidesz-Mitglieder. Die Tisza wurde in kurzer Zeit aus dem Boden gestampft von Tarr und Magyar, die über die sozialen Medien in kurzer Zeit eine eigene Bewegung und Protestwellen starteten. Bis auf Tarr wurden die anderen EU-Abgeordneten in einem Online-Casting ausgewählt, bei dem sich jeder Ungar bewerben konnte. Sie mussten einminütige Kurzvideos schicken und wurden dann per Online-Votum ausgewählt. Sonderlich gut kennt man sich untereinander also auch noch nicht.
Der SPIEGEL hat mit einigen Abgeordneten und Anhängern von Tisza in Budapest gesprochen und es ergibt sich ein buntes Bild eines konservativen Bündnisses, das sich stark von Orbán absetzt.
So wird das Wort »liberal« als Eigenbeschreibung genutzt. Auch die LGBTQ-Minderheit etwa müsse nach ihren eigenen Vorstellungen leben können, sagt etwa einer. »Sie sollten sich anderen nur nicht aufdrängen.« Das klingt nicht unbedingt queerfreundlich, aber ist weit entfernt von Fidesz, die seit Jahren den sexuellen Minderheiten in Ungarn das Leben schwer macht.
Klar ist Tisza beim Rechtsstaat, der freien Meinungsäußerung und der Bekämpfung der Korruption. Heikel wird es beim Thema Migration, bei dem sich Tisza zurückhaltend äußert, aber versichert, dort ebenfalls anders zu stehen als Orbán.
Der wohl wichtigste Punkt für die EU ist das Thema Russland. Auch hier hält sich Tisza zurück. Einer der neuen Abgeordneten sagt, man unterstütze die Sanktionen gegen das russische Regime, das klar der Aggressor sei. Es sei richtig, dass sich die Ukraine militärisch verteidige und Russland müsse aus jedem Quadratmeter abziehen. Mit Waffen wolle man die Ukraine aber nicht unterstützen, weil man fürchte, in den Krieg hineingezogen zu werden.
Weber und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatten drei Kriterien für eine Zusammenarbeit mit der EVP genannt: pro Ukraine, pro Europa und pro Rechtsstaat. Den Aussagen zufolge kann man sagen, dass Tisza die drei Kriterien erfüllt – mit einigen Abstrichen bei der Ukraine. Weber betont in Budapest dann noch, man müsse sich nicht in allen Punkten einig sein, die Europäische Volkspartei vereine ein breites Spektrum.
Aus der EVP wird folgende Erzählung gestreut: Insbesondere bei der Ukrainefrage müsse sich Tisza auch strategisch aufstellen und die Stimmung in Ungarn im Blick haben. Orbán und die russische Propaganda hätten die gesellschaftlichen Debatten jahrzehntelang vergiftet. Um das Land wieder für Europa zurückzugewinnen, benötige Tisza Beinfreiheit. Die Hoffnung ist, dass Ungarn eine Entwicklung wie Polen nimmt, wo im Dezember die antieuropäische Pis-Partei abgewählt wurde und wieder der liberal-konservative Donald Tusk regiert.
Bei der politischen Konkurrenz wird skeptisch auf die Entwicklung geschaut. »Die EVP sollte Vorsicht walten lassen, statt eine vorschnelle Allianz einzugehen. Péter Magyar und seine Partei müssen ihren proeuropäischen und demokratischen Kurs realpolitisch beweisen«, sagt etwa SPD-Europapolitikerin Katarina Barley.
Ähnlich sieht es der Abgeordnete Moritz Körner (FDP): »Magyar verspricht Orbán-Politik ohne Korruption.« Dies sei die richtige Strategie, um gegen die ungarische Staatspropaganda bestehen zu können und langfristig eine Mehrheit in Ungarn zu gewinnen. »Wofür Magyar tatsächlich steht, wird sich erst zeigen, wenn es ihm gelingt, Viktor Orbán zu besiegen.«
Eine Blackbox
Daniel Freund (Grüne) sagt: »Tisza ist inhaltlich noch eine Blackbox, die Partei wurde in aller Kürze aus dem Boden gestampft und hat viele Kämpfer in Brüssel gegen den Autokraten bei der Wahl aus dem Parlament gedrängt.« Man sollte genau beobachten, wie die neue Partei sich im Parlament verhält, so Freund.
Für Weber ist es erst mal ein Erfolg, Orbáns neuen Erzfeind eingesammelt zu haben. Die EVP-Parteien haben die Wahl gesamteuropäisch betrachtet klar gewonnen und sind mit Abstand stärkste Fraktion. Jetzt können sie ihre Größe noch weiter ausbauen.
Erster Test, ob sie ihren Einfluss nutzen können, wird sein, ob sie es schaffen, Ursula von der Leyen erneut als Kommissionspräsidentin durchzusetzen. Am Montag sollen die Regierungschefs sie nominieren, dann braucht es eine Mehrheit im Parlament.
Magyar sicherte in Budapest nicht gleich eine Unterstützung zu. »Von der Leyen und ich haben eine besondere Beziehung«, sagte er. Beide seien sich zwar noch nie begegnet, aber Orbán habe ihn als »Von der Leyens Marionette« bezeichnet.
Die neuen sieben Abgeordneten wollen entscheiden, ob sie die EVP-Spitzenkandidatin unterstützen, wenn sie ihre inhaltlichen Vorstellungen für die nächste Periode vorgebracht hat.