Merkel, Schröder, Fallschirmspringer und ein lockerer Dresscode : Diese Szenen bleiben vom Staatsakt im Gedächtnis
Ein Staatsakt zu 75 Jahren Grundgesetz: Das ist nicht nur protokollarisch und politisch hoch anspruchsvoll. Welche Bilder bleiben von der prominent besuchten Feier am Donnerstag?
Entspannte Begrüßung: die ehemaligen Kanzler Angela Merkel und Gerhard Schröder beim Staatsakt zu „75 Jahre Grundgesetz“ auf dem Forum zwischen Bundestag und Bundeskanzleramt.
Spannend sind bei einem Staatsakt nicht nur Reden und Beiträge, sondern natürlich auch das Schaulaufen zu Beginn. Die fünf Momente, die im Gedächtnis bleiben werden, beginnen daher mit dem Eintreffen der Gäste.
1. Gemurmel im Regierungsviertel: Merkel, Schröder und Habeck
Die Kanzlerin a.D. war an diesem Donnerstag der heimliche Star der Veranstaltung. Das Festgelände betrat sie ausgerechnet zusammen mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). In ihrer Mitte begleiteten die beiden die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer. Nach dem Auftritt Merkels bei der Verabschiedung von Jürgen Trittin war das der nächste öffentlichkeitswirksame Grünen-Kontakt.
Was außerdem zu beobachten war: Schon am Vorabend hatte sich so mancher in der Hauptstadt beim Blick auf die Sitzordnung bei Gottesdienst und Staatsakt gefragt, wie wohl die Begegnung Merkels mit Ex-Kanzler Gerhard Schröder ausfallen würde. Beide ehemalige Kanzler saßen sowohl in der Kirche als auch vor dem Kanzleramt nicht direkt neben-, aber doch nah beieinander in derselben Reihe. Das entspricht dem Protokoll. Ein großes Wagnis war das offenbar nicht: Die Bilder zeigen zwei entspannte ehemalige Regierungschefs lachend im Gespräch miteinander.
2. Zu Unrecht verkannt: der Gottesdienst
Bei ARD und ZDF liefen am Donnerstagmorgen ein Quiz und eine Morgensendung. Dabei hätte es sich gelohnt, den Gottesdienst vor dem eigentlichen Staatsakt zu übertragen und zu zeigen, was die beiden großen Kirchen und Vertreter weiterer Religionen zum Thema 75 Jahre Grundgesetz beizutragen haben.
Am Gottesdienst in der Berliner St. Marienkirche nahmen nicht nur hochrangige Politiker teil. Die Kirchen schafften es, in einem kurzweiligen, emotionalen Programm mit starken Stimmen Stolz auf die deutsche Verfassung, Herausforderungen und Humor zu vermitteln.
Und wie bestenfalls in einer evangelischen Kirche zu erwarten, reichte die intellektuelle Bandbreite bis zum Böckenförde-Diktum, das der dortige Pfarrer, Alexander Arno Heck, zu Beginn thematisiert; dabei geht es um nichts weniger als Fragen nach dem Fundament der Verfassung, danach, worauf sich ein säkularer Staat heute gründet.
In Zeiten von Populismus und Demokratiefeindlichkeit eine nicht gerade triviale Frage, auf die mehrere junge Menschen überzeugende Antworten fanden. Sie berichteten von ihrem gesellschaftlichen Engagement und darüber, welche Rolle das Grundgesetz in ihrem Leben spielt.
3. Dresscode: Was ist beim Staatsakt erlaubt, was nicht?
Die Veranstaltung mag Staatsakt heißen, das Styling der Gäste lässt sich jedoch mindestens als vielfältig beschreiben. Von Jeans (auch bei Abgeordneten) und Basecap bis zum klassischen feinen Zwirn: Rein outfittechnisch kann niemand behaupten, dass die Veranstaltung (ungewöhnlich: unter freiem Himmel) allzu abgehoben war. Ist das ok für einen Anlass, der der deutschen Sprache immerhin eine Metapher geschenkt hat, die auf Übertriebenheit hinweist?
Wer darüber nachsann, wurde durch Olivia Jones, Deutschlands bekannteste Dragqueen, rasch eines Besseren belehrt: In einem Einspieler zitierte sie nachdrücklich Artikel Zwei der Grundrechte: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“. Jones selbst trat im dramatischen schwarz-rot-goldenen Kleid auf, mit Kopfschmuck, der an die Freiheitsstatue erinnerte, und verlieh der seriösen Veranstaltung den nötigen Glamour. Bemerkenswert: Jones wagte, was die wenigsten an diesem Tag wagten – und legte fürs Foto den Arm um Angela Merkel, die ihrerseits immerhin nur anfänglich irritiert wirkte.
4. Der Bundespräsident
Wer Staatsakt sagt, muss auch Bundespräsident sagen. Herzstück des Staatsaktes war daher die Rede Frank-Walter Steinmeiers. Positiv: Die Anwesenden applaudierten vielfach, am Ende sogar stehend. Als Steinmeier über Gefahren für die Demokratie, Hass und Übergriffe sprach, konnten sich viele damit identifizieren.
Diese Verfassung gehört zum Besten, was Deutschland hervorgebracht hat.
Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident
Die Rede des Bundespräsidenten enthielt starke Sätze, wie: „Das Grundgesetz ist keine Bilanz, sondern ein Auftrag. Nicht Ziel, sondern Kompass. Unser Grundgesetz sagt nicht, was wir sind. Es zeigt uns, was wir sein können. Darin steckt eine Aufforderung für uns, für unsere Zukunft.“
Und über die Demokratie: „Schützen werden sie nicht andere, schützen müssen wir sie selbst.“ Oder: „Diese Verfassung gehört zum Besten, was Deutschland hervorgebracht hat.“ Emphase durch Lautstärke brauchte es dabei nicht.
5. Staatstragend und humorvoll – geht das?
Sicher, ein Staatsakt zu 75 Jahren Grundgesetz muss staatstragend daherkommen. Bundespräsidentenrede, Nationalhymne mit den Berliner Philharmonikern, die höchsten Politiker im Staat – das alles steht auf der Obligatorisch-Liste. Optional sind Elemente wie der Flug dreier Fallschirmspringer zur Titelmelodie des James-Bond-Films Skyfall, die mit Bannern zu den Themen Deutschland, EU und Grundgesetz kurz vor der Veranstaltung die Blicke auf sich zogen.
Offiziell startete der Staatsakt mit Beethovens Fünfter – nach dem Fest für die Augen eines für die Ohren. Zitate aus dem Grundgesetz und Bürgerstimmen verliehen dem Ganzen die nötige Feierlichkeit und Nahbarkeit. Bei der musikalischen Reise von Katharina Thalbach, Andreja Schneider und Christoph Israel durch deutsche Schlagerjahrzehnte löste das Trio gleich dreimal rhythmisches Klatschen unter den anwesenden Spitzenpolitikern aus. Publikum: erreicht.
Mit dem leicht melancholischen „Guten Tag, liebes Glück“, gesungen von Max Raabe, endete der Staatsakt zusammen mit der Nationalhymne auf einer Note, die Stolz, Festlichkeit und unsichere Zeiten präzise zusammenfasste.
Seriös, aber nicht bierernst kam dieser Staatsakt daher. Gut so.