Ukraine-Krieg: Putins historische Schuld

ukraine-krieg: putins historische schuld

Das russische Staatswappen und die Nationalflagge sind Teil eines den Helden des Ersten Weltkriegs gewidmeten Denkmals in Moskau.

Russlands alter und neuer Präsident ist erneut Putin. Seine echten, potenziellen Kontrahenten, ohnehin chancenlos, hat man entweder nicht zugelassen oder sie sind tot. Was ist nun das Ergebnis der Außenpolitik der letzten beiden Kriegsjahre, über die es sowohl in der Wahlzeit als auch danach bei drohenden vieljährigen Gefängnisstrafen und Eigentumsverlust keine Diskussion geben darf, und in der lediglich die einseitigen Narrative des Kreml zugelassen sind?

Wegen der Aggression in der Ukraine tragen Putin und sein Kreis eine historische Verantwortung, ja mehr noch, Schuld. Darüber darf in Russland nicht einmal nachgedacht, geschweige denn gesprochen und schon gar nicht geschrieben werden. Zu tief und fest sitzt die jahrhundertelang anerzogene Untertanenmentalität, die mit wenigen Ausnahmen (Jelzin, zum Teil Gorbatschow) kontinuierlich in und seit der Zarenzeit lebendig gehalten und gefördert wurde.

Dies wirkt zum Teil sogar bei den ausgewanderten Russen nach. Wer sich im Russland von heute von diesem Gefühl befreien kann, und es handelt sich da um die absolute Minderheit, den erwarten die Sicherheitsorgane mit Vernichtung wie bei Nemzow und Politkowskaja, Gerichtsverfahren ohne Ende wie bei Chodorkowski oder gar der Tod im Gefängnis wie bei Nawalny, bzw. die russische Seuche, das aus dem Fenster fallen wie zuletzt der Kriegsgegner und Lukoil-Chef Maganow.

Die andere Möglichkeit für die Andersdenkenden ist ins Ausland zu gehen, zwar ist man auch dort nicht ganz sicher (Litwinenko, Skripal), aber damit verliert man die Möglichkeit, Einfluss auf die Geschehnisse in Russland zu nehmen. (Das war der Grund für Nawalnys Rückkehr und Inkaufnahme seiner Verhaftung, oder die Begnadigung und Abschiebung von Chodorkowski ins Ausland.)

Die russische Aggression in der Ukraine verschärfte die Frage der Kosten-Nutzen-Rechnung der Außenpolitik Putins. Der Albtraum kostet bald eine Million Opfer, weitere neun Millionen sind auf der Flucht. Das ist ein Viertel der Vorkriegsbevölkerung der Ukraine. Vernichtet ist in der Ukraine ein Drittel der Industrie und des Ackerlandes, Wohnungen und Elektrizitätswerke, um nur einige zu nennen. Das Budget von 2024 ist zu 60 Prozent ungedeckt; die Kriegsverluste machen das Siebenfache des ukrainischen Staatshaushaltes aus.

Von Putin wird die Daseinsberechtigung des ukrainischen Staates und der Nation angezweifelt: mal Brudervolk genannt, mal unwissende Russen. In den besetzten Gebieten wird die Bevölkerung nach historischem Schema entweder ausgesiedelt, durch Russen ersetzt oder russifiziert, falls nötig mit Zwang (sonst gibt es keine Pension, keine Arbeit) oder mit Umerziehungslagern bedroht (20.000 Kinder, den Eltern entrissen, der Grund für die internationale Fahndung nach Putin).

Dies alles würde für eine Verurteilung vor einem Nürnberger Tribunal ausreichen. Dennoch ist die Schuld des Kreml vor den Russen in etwas anderem zu suchen. Was hat die Bevölkerung von dieser Aggression? Ziel des Kreml war und ist es, auf Kosten von anderen die eigene, tatsächlich jedoch von keiner bedrohten Sicherheit zu erhöhen, und als Großmacht von der Welt anerkannt zu werden.

Heute ist Russland nach der eigenen Lesart sicherheitspolitisch weit mehr gefährdet als vor der Aggression. Die Grenze zur Nato ist nämlich auf dem Landwege um 1200 Kilometer (Finnland), auf dem Seewege um 3200 Kilometer (Schweden) angewachsen. Beide Länder haben ihre lange Neutralität angesichts der Aggression in der Ukraine aufgegeben, ein ernsthafter Schlag für die Außenpolitik des Kreml.

Moskau kann seine Vasallen im Kaukasus nicht mehr entsprechend unterstützen, deshalb denken die „Verbündeten“, die ehemaligen Sowjetrepubliken (Armenien, Kasachstan) mit Ausnahme von Belarus (wo man es früher versuchte, aber seit den Unruhen erzwungenermaßen sein ließ) über andere Möglichkeiten nach. Moskau hat wegen des Krieges in der Ukraine weder die Mittel noch die Kraft, dies zu verhindern. Die Brics-Staaten haben aus Eigeninteresse diesen Weg gewählt (Saudi-Arabien), der zwar die Rolle der USA in der Welt schwächt, aber die russische nicht stärkt.

Der Krieg zeigte sich auch für das Großmachtstreben kontraproduktiv. Die Forderung nach Achtung der eigenen Lebensart, Kultur, ja auch der politischen Führung und Ordnung – Hauptphobien einer jeden Autokratie – hat sich ins Gegenteil, in Isolation verkehrt.

Russland und China, vor der Aggression gleichberechtigt, sind de facto nicht mehr auf Augenhöhe. So wird man keine anerkannte Großmacht. Die Abstimmungen der Generalversammlung, des Sicherheitsrates der Uno zeugen davon. Achtung muss man sich verdienen, doch dies liegt offenbar außerhalb der Vorstellungskraft des Kreml, der nur auf Stärke und Angst ausgerichtet ist und nur dies akzeptiert. Die Achtung, das Ansehen, die Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit, der Einfluss Russlands in der Welt, die Akzeptanz der russischen Kultur und Sprache haben sehr stark abgenommen.

Nicht nur die Führung ist auf dem internationalen Parkett isoliert. Sportler, Musiker, Sänger, Kulturschaffende, Wissenschaftler und eine Vielzahl der Bürger, die in viele Länder nicht mehr einreisen können, sind betroffen. Durch den Krieg bedingt wachsen Kritik und auch Vorurteile nicht nur gegen die russische Führung, Russland und die Russen allgemein. Bei letztgenannten beiden ist dies leider ungerecht, aber nachvollziehbar und sehr menschlich. Es ist keine Russophobie, sondern die Kritik als Reaktion auf die Aggression, somit die direkte Schuld der Politik von Putin.

Der Krieg brachte auch eine Massenflucht der Russen mit sich: Mehr als eine halbe Million von ihnen, meist gut ausgebildet, verließen das Land. Bei abnehmender Bevölkerungszahl, Geburtenrückgang und Mangel an gut qualifizierten, vor allem jungen Menschen lässt sich diese Lücke auf dem Arbeitsmarkt nicht schließen. Die Migration betrifft auch die Wohlhabenden: Seit dem Krieg haben schätzungsweise 20.000 Millionäre samt ihrer Vermögen das Land verlassen.

Eine große Mehrheit, 88,5 Prozent der Bürger, hat für Putin gestimmt und sich damit mit dem Krieg einverstanden erklärt, vielleicht mit ein wenig Nachhilfe. Man wird ihnen dies vorwerfen können, aber Fakt ist, dass sie weder die wahren Ziele, Ursachen, Ergebnisse, Auswirkungen noch die Opfer kennen, die ihnen der laufende Krieg bereitet. Auch im „Wahlkampf“ wurde ihnen kein reiner Wein eingeschenkt. Dennoch muss und soll die Frage eine Antwort finden, ob sie, die Putin wählten, eine Verantwortung für die heutigen Zustände tragen?

Unabhängig von der Beantwortung dieser Frage hat Putin der Bevölkerung eine Last auferlegt, die vielleicht für sie heute in der Mehrzahl nicht sichtbar erscheint, zumal der größte Teil der Wähler auf dem Lande lebt und nur zur kremlhörigen Presse Zugang hat.

Die boomende Kriegswirtschaft und die Kosten der Aggression betragen schon 40 Prozent des BIP, eine Summe, die der Bevölkerung entzogen wird und in Sozialzuwendungen, zivilen Investitionen, in Bildung, Medizin und Technologieentwicklungen fehlt. Auch die ausgewanderte, oder in die Armee eingezogene Arbeitskraft und die geflüchteten Milliarden können nicht ersetzt werden.

Die Kriegsökonomie führt zwar zunächst zur Erhöhung des BIP (im vorigen Jahr 3,5 Prozent, in diesem Jahr soll dies auf 1,5 Prozent sinken), aber ausschließlich „dank“ der Rüstungsindustrie, was sich nicht in Lebensqualität oder in der zivilen Wirtschaft niederschlägt. Diese Überhitzung der Wirtschaft führt daher nach dem Krieg in die Rezession, und auch deswegen ist der Kreml an Frieden kaum interessiert.

Russlands sinkendes Ansehen und die moralischen Folgen des Krieges, aber auch die Verluste sowohl an Menschenleben als auch in der Ökonomie und dem Finanzwesen hat letzten Endes die Bevölkerung zu tragen, ohne dass die vorgegaukelten und tatsächlichen Ziele erreicht werden konnten. Selbst wenn die taktischen Ziele erreicht worden wären, hätte man, außer dem Zuwachs an großrussischem Nationalismus, nichts davon.

Während des Krieges lassen sich die negativen Tendenzen verheimlichen, aber nachher nicht mehr. Um die auch vom Kreis um Putin gesehenen inneren Spannungen abzubauen, gibt es bereits Pläne. Nicht nur der innenpolitische Druck und die Befugnisse der Sicherheitskräfte, die Verbreitung der Angst sollen zunehmen. Außenpolitisch ist vorgesehen, durch erhöhte Konfrontation mit dem Westen den aufkommenden Unmut der Bevölkerung zu paralysieren. Ein diesbezüglicher Brief des Parlamentspräsidenten an Putin, der diese Vorschläge angenommen hat, und der ausgearbeitete Maßnahmenkatalog der Russischen Akademie der Wissenschaften zur Verstärkung der internationalen Spannungen belegen es.

Der Krieg und seine Folgen sind eine historische Schuld, die trotz aller Verschleierungspläne früher oder später von den Russen gesehen und eingeklagt werden muss, zumal davon die Wiederherstellung der ihnen gebührenden herausragenden Rolle in der Welt abhängt.  Die kremlnahe Oligarchie sieht durchaus die Risiken, es entgeht ihr nicht, dass die Außenpolitik Putins gescheitert ist. Die Schlussfolgerungen aus dieser Situation stehen jedoch noch aus, ein klares Bild der Aussichten ist bislang nicht erkennbar: Eine Abkehr von der gescheiterten Politik ist ebenso möglich wie die Flucht in erhöhte Aggressivität.

Janos I. Szirtes ist Politikwissenschaftler, war Journalist und Diplomat und ist Verfasser von zahlreichen Büchern.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.

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