Haushaltskrise: Die Ampel muss die Notlage erklären – oder Neuwahlen ansetzen!
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP).
Die Lage der Nation in einem Bild: Die Wirtschaft liegt im Koma, die Infrastruktur zerfällt, ein paar Flugstunden von Berlin rollen Putins Panzer in die Ukraine, der Planet kocht. Und was macht die Ampel-Regierung? Sie streitet sich um den neuen Haushalt wie Siebenjährige um eine Schüppe im Sandkasten.
Die Nerven liegen blank. Mittlerweile droht man sich schon gegenseitig mit dem Koalitionsbruch. „Ohne Schuldenbremse, ohne uns“, versichert Jens Teutrine, der Chef der Jungen Gruppe der FDP im Bundestag, den Koalitionspartnern. Parteivize Wolfgang Kubicki legte am Mittwoch in einem Focus-Interview gleich scharf nach: „Ich gehe eher davon aus, dass nicht nur 30 Abgeordnete der FDP-Fraktion absolut zur Schuldenbremse stehen, sondern alle 91.“ Der linke Flügel der SPD kontert laut Berichten mit einem Mitgliederbegehren in der SPD, vor allem, um Bundeskanzler Olaf Scholz auf Linie zu bringen. Die SPD-Linken fordern, dass ihre Partei einem neuen Haushalt nur zustimmt, wenn es keine Kürzungen gibt. Mit anderen Worten: Kürzungen gleich Koalitionsbruch.
Wen wundert es da, dass die Ampel den neuen Haushalt schon verschoben hat? Statt am 3. Juli will sie ihn am 17. Juli im Kabinett beschließen. Klar, glücklich kann keiner der Koalitionäre mit Blick auf die Umfragen sein. Die SPD hat laut der letzten Forsa-Umfrage fast elf Prozentpunkte seit der Bundestagswahl 2021 verloren, die FDP immerhin fast sieben Prozentpunkte, steht nur noch einen Tritt vor der Fünf-Prozent-Hürde, und die Grünen vier Prozentpunkte. Macht insgesamt ein Minus von fast 20 Prozentpunkten. Und spätestens in einem Jahr beginnt der Wahlkampf für die nächste Legislatur!
Auch wenn der FDP-Finanzminister Christian Lindner die Zahlen zum Haushaltsloch der Öffentlichkeit nicht verraten will, kann man sie sich grob zusammenreimen. Die mittelfristige Finanzplanung, die die Ampel im vergangenen Sommer gemeinsam verabschiedet hat, sieht für 2025 ein Gesamtbudget von 452 Milliarden Euro vor. Das sind rund 25 Milliarden Euro weniger als dieses Jahr (477 Milliarden Euro).
Als wäre das nicht schon Problem genug, läuft auch noch die Wirtschaft so schlecht, dass die Steuereinnahmen für den Bund 2025 rund elf Milliarden Euro niedriger ausfallen als angenommen. Macht schon eine Lücke von 36 Milliarden Euro. Andersherum erlaubt die Schuldenbremse mehr neue Schulden, wenn die Wirtschaft in der Krise ist. Ursprünglich vorgesehen waren neue Schulden von 16 Milliarden Euro, womöglich werden es jetzt circa 20 Milliarden Euro sein. Bleibt eine Lücke von 32 Milliarden Euro.
Außerdem wollen einige Minister mehr Geld, als Finanzminister Lindner in der Planung vorgesehen hat. Interessanterweise vor allem die SPD-Minister. Allein Verteidigungsminister Boris Pistorius und Arbeitsminister Hubertus Heil fordern sieben Milliarden Euro mehr, wie table.media schon im Mai berichtete. Rechnet man alle Forderungen zusammen, kommt man noch mal auf fast 30 Milliarden Euro.
Man muss sich ehrlich machen: So viel Geld lässt sich weder bei Arbeitslosen noch bei Asylbewerbern wegkürzen. Und auch nicht bei ein paar Symbolprojekten in der Entwicklungshilfe. Vielmehr ist es so: Kürzungen in der Größenordnung von 30 Milliarden Euro werden die komatöse Wirtschaft weiter lähmen und zu unpopulären Einschnitten führen. So wie das Ende des Agrardiesels die Bauern verärgert hat. Oder das Ende des Umweltbonus die Käufer von Elektroautos. Oder die höhere Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme Millionen von Mietern. Leisten kann sich die Ampel das bei den Umfragen so kurz vor der nächsten Bundestagswahl nicht. Und noch weniger vor den kommenden Landtagswahlen in Ostdeutschland. Hier stehen die Ampel-Parteien noch viel schlechter da als im Bundesdurchschnitt.
Das Ende des Agrardiesels hat Anfang des Jahres bei den Landwirten das Fass zum Überlaufen gebracht. Kann sich die Ampel mehr unpopuläre Einschnitte leisten?
Auch die Klimaziele drohen am Geldmangel zu scheitern, wie der Expertenrat für Klimafragen Anfang Juni in seinem neuesten Gutachten moniert. Ebenso wie die Versprechen der Ampel: Einerseits will sie die Bürger bei der Verkehrswende nicht abhängen, andererseits erhöht sie den CO₂-Preis und die Steuern auf Gas, streicht den Bonus für E-Autos, verweigert ein Klimageld und lässt zu, dass die Bahn IC-Strecken im Osten stilllegt. Die Ampel verspricht Wein, aber schenkt den Bürgern nur lauwarmes Wasser aus. Die AfD wird davon auch bei den Ost-Wahlen wieder profitieren!
Zwischen den verhärteten Fronten verläuft noch ein schmaler Brückensteg, über den die Ampel sich retten könnte: die Notlagenklausel der Schuldenbremse. Mit einfacher Kanzlermehrheit könnte die Ampel Putins Sommeroffensive als Rechtfertigung für die Notlage verwenden (wie schon im Jahr 2022). Damit wären alle Ausgaben im Zusammenhang mit dem Krieg von der Schuldenbremse ausgeklammert. Also Gelder für die Bundeswehr, für Waffen- und Finanzhilfen an die Ukraine oder die Aufnahmen von Kriegsflüchtlingen. All das macht in Summe mehr als 20 Milliarden Euro aus, die die Ampel dann im Haushalt anders verplanen könnte.
Der Kanzler selbst zeigte sich im ARD-„Sommerinterview“ am letzten Sonntag offen für die Idee, wenn auch nur als letzte Option. Die SPD-Parteichefin Saskia Esken und die Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock haben sich längst für die Notlage ausgesprochen. „Welch größere Notlage sollte es geben als diesen Krieg mitten in Europa?“, fragte die Außenministerin vor kurzem im Interview mit der Süddeutschen Zeitung.
Also läuft es wohl genau darauf hinaus: Notlage oder Neuwahlen. Der 17. Juli wird es zeigen.
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