Wahlen in Frankreich: Deutschland fürchtet Sieg der Partei von Le Pen
Was wird aus der deutsch-französischen Partnerschaft, wenn der rechtsnationale Rassemblement National gewinnt? Umfragen zufolge wird genau das passieren.
Zweimal hat Marine Le Pen in Stichwahlen zur Präsidentschaft gegen Emmanuel Macron verloren
"Ich mache mir Sorgen wegen der Wahlen in Frankreich", hat Bundeskanzler Olaf Scholz im ARD-Sommerinterview gesagt. Er hoffe, "dass Parteien, die nicht Le Pen sind", erfolgreich seien. Und Frankreichs Fußball-Superstar Kylian Mbappé warnt, die Extreme klopften an die "Tore der Macht".
Der rechtsnationale Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen hat nach den Umfragen gute Chancen, aus der anstehenden Parlamentswahl am 30. Juni und 7. Juli als stärkste Kraft hervorzugehen. Dahinter folgt demnach das teilweise weit links stehende Bündnis Neue Volksfront und erst abgeschlagen auf Platz drei das liberale Lager von Präsident Emmanuel Macron.
Der hatte nach einer schweren Schlappe bei der Europawahl Anfang Juni überraschend Neuwahlen ausgerufen. Auch da war der RN stärkste Partei geworden.
Macron warnt vor einem Bürgerkrieg
Macrons Anhänger im In- und Ausland befürchten jetzt, dass die Neuwahlentscheidung ein Fehler war und sich der Aufstieg des RN fortsetzen wird.
Zwar wird Macron in jedem Fall Präsident bleiben, weil der Staatschef unabhängig vom Parlament vom Volk gewählt wird und er einen Rücktritt ausgeschlossen hat. Aber sein Spielraum dürfte in Zukunft stark eingeengt sein: Macron könnte in Zukunft mit dem jungen RN-Parteichef Jordan Bardella als Ministerpräsidenten zusammenarbeiten müssen.
Der 28-jährige Jordan Bardella will Ministerpräsident werden, sollte seine Partei die Parlamentswahl gewinnen
Und bei ähnlich starken Wahlergebnissen von extremen Rechten und Linken könnte sich die Nationalversammlung selbst blockieren. Macron warnte angesichts der extremen Polarisierung sogar vor einem Bürgerkrieg.
Viel Konfliktstoff mit Berlin
Und die deutsch-französischen Beziehungen? Bardella hat kurz vor der Wahl gesagt, dass er als Regierungschef an den Beziehungen mit Berlin zunächst nichts ändern würde.
Doch das soll nur beruhigen, meint Ronja Kempin, Frankreich-Expertin von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Der RN habe sich bisher immer "sehr deutschlandkritisch, bisweilen fast deutschlandfeindlich geäußert, Macron vorgeworfen, französische Interessen an Deutschland verkauft zu haben, und man wolle das rückgängig machen, sobald man eine Machtoption habe". Im RN-Programm stand bis vor kurzem noch, die deutsch-französischen Projekten eines gemeinsamen deutsch-französischen Kampfflugzeugs und eines gemeinsamen Kampfpanzers sollten beendet werden. Bardella hat jetzt gesagt, man wolle die internationalen Verpflichtungen Frankreichs einhalten; das könnte sich auch auf die beiden Rüstungsprojekte beziehen.
Das Kampfflugzeugprojekt würde Bardella weiter betreiben, hier ein Modell bei einer Luftfahrtausstellung in Paris
Auch Marc Ringel, Direktor des Deutsch-Französischen Instituts im baden-württembergischen Ludwigsburg, sähe im Fall einer RN-Regierung Schwierigkeiten auf das bilaterale Verhältnis zukommen. So würde sich für die Bundesregierung bereits ganz praktisch die Frage stellen: "Wer wäre jetzt der Ansprechpartner, wo der Kontakt zum RN ja nicht vorhanden ist? Dann natürlich die Frage: Hält sich die neue französische Regierung an die bilateralen Verträge? Politisch wäre da einiges an Unsicherheit dabei."
Konfliktstoff mit der EU und mit Berlin wären etwa diese Punkte im RN-Wahlprogramm: eine Verringerung des französischen EU-Beitrags, ein Ausstieg aus dem EU-Strommarkt, eine Aufkündigung des Migrationspakts oder auch eine Einschränkung der Reisefreiheit von Nicht-EU-Ausländern – wobei natürlich unklar ist, inwiefern solche Pläne wirklich umgesetzt würden. Auch die französische Unterstützung der Ukraine könnte zurückgefahren werden.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz
"Brandmauer" in Frankreich ist eingestürzt
Was ist der Grund für den Aufstieg der Partei? Marc Ringel nennt unter anderem einen "allgemeinen Frust in der Bevölkerung mit der Politik und zunehmend ein Gefühl, abgehängt zu sein, und diese Unzufriedenheit hat der RN sehr clever aufzunehmen gewusst". Neben den großen Themen Migration und innere Sicherheit setzt die Partei zunehmend auch auf wirtschaftliche und soziale Dinge. So will sie die Mehrwertsteuer auf Energie von 20 Prozent auf 5,5 Prozent senken.
Dazu betreibt Marine Le Pen seit Jahren eine Entdämonisierung ihrer Partei. Ihren Vater Jean-Marie Le Pen, der einst den Holocaust relativierte und damit die Partei für breite Schichten unwählbar machte, schloss Marine Le Pen aus.
Marine Le Pen und Jordan Bardella bei einer Demonstration in Paris gegen Antisemitismus im März 2023
Der Rassemblement National gibt sich politisch kompromissbereit. Eine "Brandmauer" wie in Deutschland, wo die CDU jede Zusammenarbeit mit der AfD ablehnt, gibt es in Frankreich nicht mehr. Der RN ist seit 2022 die größte Oppositionspartei in der Nationalversammlung. Das Präsidentenlager hat zahlreiche Gesetze mit der Zustimmung des RN verabschiedet, zum Beispiel eine Verschärfung des Einwanderungsgesetzes.
"In Frankreich ist das RN sehr viel gezügelter, als es die AFD in Deutschland ist", sagt Ronja Kempin. "Sie lehnt völkische Gedanken vollständig ab." Marine Le Pen hat sich auch deutlich von der AfD distanziert und lehnt eine Zusammenarbeit im Europaparlament mit ihr ab.
Das Ziel des RN: eine Staatspräsidentin Marine Le Pen
Für RN-Parteichef Jordan Bardella ist eine Regierung unter seiner Führung aber nur ein Zwischenziel. Bei der Präsidentschaftswahl 2027, bei der Macron nicht mehr antreten kann, soll Marine Le Pen erneut kandidieren - es wäre das vierte Mal – und dann Staatspräsidentin werden.
Demonstration gegen den Rassemblement National nach der Europawahl - das Land ist extrem polarisiert
Sollte das gelingen, "dann hätten wir auf jeden Fall ein sehr anderes Europa", glaubt Ronja Kempin. Zwar ist ein Austritt Frankreichs aus der Europäischen Union und aus dem Euro längst kein Thema mehr – da hat Marine Le Pen aus vergangenen Misserfolgen gelernt. Marc Ringel hält es dagegen für viel wahrscheinlicher, "dass ähnlich wie Giorgia Meloni in Italien auch Marine Le Pen in der EU bleiben würde, um die EU von innen umzukrempeln, auszuhöhlen, nach ihren Vorstellungen umzugestalten".
Gretchenfrage an die Bundesregierung
Für die Berliner Regierung könnten sich aber bereits nach der Parlamentswahl unbequeme Fragen stellen. Denn sowohl der Rassemblement National als auch das Linksbündnis planen bei einem Wahlsieg hohe staatliche Mehrausgaben.
"Frankreich steht aber bereits finanziell mit dem Rücken zur Wand, hat eine extrem hohe Staatsverschuldung, und die Märkte reagieren auch schon sehr nervös", sagt Ronja Kempin. Europa könne eine neue Staatsschuldenkrise wie vor 15 Jahren drohen.
"Das bedeutet für Deutschland die Gretchenfrage", sagt Kempin: "Wie halten wir es mit Europa? Lassen wir uns darauf ein, beispielsweise über eine Schuldenhaftung in der Europäischen Union doch neu nachzudenken in der Hoffnung, dass das das Schreckgespenst des Rassemblement National mindestens für 2027 unmöglich macht?" Die Bundesregierung hat bisher nicht gesagt, was dann ihr Plan ist.
Autor: Christoph Hasselbach