Dieses Manko gibt es im DFB-Kader bei der EM
Dortmund. Deutschland hat sich als Gruppensieger für das EM-Achtelfinale gegen Dänemark qualifiziert. In Dortmund hat Bundestrainer Julian Nagelsmann einen Kader zur Verfügung, der zu den ältesten im Teilnehmerfeld zählt – aber auch einer, der unerfahrensten ist. Dazu gehört auch Robert Andrich.
Die Liste der Kapitäne für die Fußball-EM in Deutschland liest sich mitunter wie das Who's who des Fußballs. Der fünfmalige Weltfußballer Cristiano Ronaldo, Real Madrids neuer Superstar Kylian Mbappé oder Bayerns Torjäger Harry Kane – viele prominente Gesichter führen bei der Endrunde ihre Teams an.
Beim Oberschenkel der Nation gibt es vorsichtige Entwarnung. Dem Vernehmen nach ist die Blessur von Antonio Rüdiger wieder soweit im Griff, dass ein Einsatz des Innenverteidigers in Diensten der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im Achtelfinale der Europameisterschaft gegen Dänemark nicht in Gefahr ist. Ob die Muskulatur allerdings dem Druck über 90 Minuten standhält – man wird es sehen. Bundestrainer Julian Nagelsmann wäre andernfalls gehörig in die Bredouille geraten.
Natürlich sagte Nagelsmann im Vorfeld der Partie, was man eben sagen muss, wenn die Optionen mager sind, aber der Mut groß bleiben soll: „Jeder der dabei ist, kann auch auf dem Platz stehen und wird da seine Aufgabe hervorragend machen.“ Soweit zur Theorie. Praktisch zusammengefasst: Wäre neben den gelbgesperrten Jonathan Tah auch noch Rüdiger ausgefällen, hätten aller Voraussicht nach Nico Schlotterbeck, 13 Länderspiele, und Waldemar Anton, zwei Länderspiele, das neue Paar in der Innenverteidigung gebildet. Wahrscheinlich läuft es nun auf Schlotterbeck als Ersatz für den gesperrten Tah neben Rüdiger hinaus.
Wenig internationale Erfahrung auch auf anderen Positionen
Aber auch auf anderen Positionen strotzt das Aufgebot des DFB bei diesem Heim-Turnier nicht vor internationaler Erfahrung. Dazu gehören Maximilian Mittelstädt, der als Linksverteidiger gerade einmal sieben Länderspiele in den Büchern stehen hat. Oder auch ein Robert Andrich, mit seinem Arbeitgeber Bayer Leverkusen in der Bundesliga gerade zum ersten Mal Deutscher Meister geworden – im Alter von 29 Jahren. In seiner Karriere ist der bisher acht Mal für sein Heimatland aufgelaufen, dazu kommen noch fünf Einsätze in der Champions League und 22 in der Europa League.
Entsprechend vorsichtig bewegt er sich auch auf der großen Bühne – zumindest abseits des Rasens. Um nicht ins Schlingern zu geraten, entscheidet sich der gebürtige Potsdamer dafür, sich die englischen Fragen lieber von einem Dolmetscher übersetzen zu lassen und auf deutsch auch zu antworten. Eher ungewöhnlich bei einem Ballett von internationaler Klasse, bei dem sich auch gerne kosmopolitisch verhält. Dafür ist Andrich vielleicht noch nicht so viel rumgekommen, wie selbst der Ur-Bayer Thomas Müller, der sich wahrscheinlich auch noch auf chinesisch verständigen könnte.
Der Mann fürs Grobe
Entscheidend ist natürlich auf dem Platz. Und da hat sich Andrich bisher als sehr kompromissloser Vertreter seiner Zunft gezeigt. Andrich ist so etwas wie der Bodyguard von Toni Kroos im zentralen Mittelfeld, früher hätte man ihn vielleicht auch als Staubsauger bezeichnet. Im Prinzip ist er der Mann fürs Grobe, er geht dahin, wo es wehtut, ist für die Drecksarbeit zuständig. In einem Ensemble voller Schönspieler ist das eine verdammt wichtige Rolle.
„Die ganzen Spitznamen sind schon oft genannt worden. Wir spielen zusammen auf der Position und es ist allen klar, dass er das Spieltempo bestimmt, dass er auch die entscheidenden Pässe spielt. Und ich mit meiner Art in den Zweikämpfen versuche, der gesamten Mannschaft Sicherheit zu geben – aber trotzdem auch mit dem Ball noch ganz ordentliche Sachen anstelle“, erzählt Andrich im Interview mit der „Bild“. „Ich glaube, dass ich das auch ganz gut kann. Es ist wichtig, dass wir uns sehr, sehr gut verstehen, dass er sich frei bewegen kann und ich ihm den Rücken freihalte, wie auch den anderen Offensivspielern. Bis jetzt sieht das gut aus.“
Mit silbernen Haaren zum Erfolg
Erst im vergangenen November hat er im Nationalteam debütiert und doch ist er aus diesem Kreis schon nicht mehr wegzudenken. Er fällt auf als Typ. Einen Tag vor dem Achtelfinal-Duell auch mit einem silbergrau gefärbten Haupthaar. „Meine Freunde sind sicher nicht überrascht. Ich habe schon länger darüber nachgedacht", so Andrich. „Jetzt war es ein ganz günstiger Moment. Bis jetzt bin ich noch sehr entspannt. Aber klar kribbelt es schon, wenn man den Rasen sieht. Es wird ein sehr geiles Spiel vor unfassbar geiler Atmosphäre. Mich beflügelt das."
Andrich ist kein eitler Typ. Er ist ein Diener im Weinberg des Herrn, ein Malocher, der andere gut aussehen lässt, weil er für sie den extra Meter geht. „Wir wollen das fortsetzen und weiter hungrig sein. Ich bin sehr guter Dinge, dass wir eine Runde weiter kommen", sagt er. „Der Weg soll auf jeden Fall noch nicht vorbei sein, wir haben noch einiges vor." Er will dazu seinen Beitrag leisten. Weiter Erfahrungen sammeln. Und mit seiner Art punkten. Andrich ist bisher auf jeden Fall ein echter Gewinn.
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