Spanien – Georgien: Die Mannschaft, die man schlagen muss
Die Georgier glaubten, kämpften – und hatten doch keine Chance. Schlechte Nachricht für Deutschland vor dem Viertelfinale: Spanien sieht aus wie der große Titelfavorit.
Die bisher beste Mannschaft der EM: Die Spanier gewannen im Achtelfinale 4:1 gegen Georgien.
Die georgischen Fans wussten, was es brauchte. "BELIEVE" stand in Großbuchstaben auf weißen Tüchern in ihrer Kurve. Glaube. Was würde dem erstmaligen EM-Teilnehmer Georgien sonst helfen gegen den großen Favoriten Spanien, das gegentorlose Team dieser bisherigen Europameisterschaft?
Und dann betraten die Georgier nach 15 Minuten spanischem Dauerdruck, in denen der sehr gute Torwart Giorgi Mamardaschwili schon ein paar Mal hatte retten müssen, zum wievielten Mal die gegnerische Hälfte? Zum zweiten, vielleicht zum dritten Mal? Der Rechtsverteidiger Otar Kakabadse, genannt Kaka, lief die Seite entlang und weil der spanische Strafraum ja bisher ein Sperrgebiet war, schoss er den Ball mal in die Mitte. Dort stürmte der georgische Superstar Chwitscha Kwarazchelia heran. An der Fünfmeterlinie kam einen Schritt vor ihm Robin Le Normand an den Ball, doch von dessen Hüfte sprang er ins Tor. Spaniens erstes Gegentor des Turniers ist ein Eigentor. Auf der Tribüne weinten manche Georgierinnen und Georgier.
War das Fußballwunder in diesem Achtelfinale möglich? Jedenfalls schien es plötzlich so. Rodri, der Computer des spanischen Spiels, wie sein Trainer Luis de la Fuente ihn nennt, sprach nach dem Spiel über den Moment nach dem 1:0. Darüber, wie die Spanier merkten, dass die Georgier begannen, an den Sieg zu glauben, wie sie frecher wurden und alle paar Minuten gefährlich konterten.
In der 32. Minute, nach einem dieser Konter, bekam Rodri im Mittelkreis den Ball und … blieb stehen. Er spielte nicht weiter, sondern machte stattdessen mit den Händen die Beruhigt-euch-Geste. Er habe das Spiel kurz angehalten, um seine Mitspieler zu beruhigen, erzählte er auf der Pressekonferenz. "Denn wir haben ein bisschen den Kopf verloren."
Gute fünf Minuten später schoss Rodri den Ausgleich. Er flankte aus dem Zentrum hoch in den Strafraum zum Flügelstürmer Nico Williams, bekam von dem sofort den Ball wieder zurück und mit der Ballmitnahme nahm Rodri einen Georgier aus dem Spiel und schoss mit links platziert ins rechte Eck. Die Georgier schimpften, denn Álvaro Morata stand im Abseits – doch es war schon okay, das nicht als aktives Abseits zu werten.
Die Spanier hatten ihren Kopf wiedergefunden und gewannen in Köln am Ende 4:1 gegen Georgien. Hochverdient, wie selbst Georgiens Nationaltrainer Willy Sagnol hinterher zugab. Spanien sieht aktuell aus wie jene Mannschaft, die schlagen muss, wer Europameister werden will. Also schlechte Nachricht für die deutsche Nationalmannschaft: Sie muss am Freitag im Viertelfinale den aktuellen Turnierfavoriten schlagen.
Während die deutsche Mannschaft gestern auch viel Glück zum Weiterkommen brauchte, berappelte sich die spanische nach dem unglücklichen Eigentor und bekamen nach dem Rückstand die Kontrolle zurück. Georgien hatte noch ein paar Konterchancen, kurz nach der Halbzeit hätte Kwarazchelia, den die Fans des SSC Neapel Kwaradona getauft haben, fast von der Mittellinie getroffen, er schoss am weit draußen stehenden spanischen Torwart Unai Simón vorbei – aber auch am Tor. Doch je länger das Spiel dauerte, desto früher stoppten die Spanier die Georgier, deren Batterie irgendwann einfach leer war. Und deren Mut wohl auch schwand.
Das 2:1 bereitete der erst 16-jährige Lamine Yamal vom FC Barcelona vor. Er hatte mehrere Chancen, auch selbst ein Tor zu schießen. Yamal und sein Pendant auf der linken Seite, Nico Williams, immerhin schon 21 Jahre alt, sind ein wichtiger Teil des neuen Spaniens. Umständlich und manchmal einfallslos spielten die Spanier bei der WM in Katar, letztlich schieden sie gegen Marokko aus. Die Dribbler Williams und Yamal sind zielstrebig, sie wollen auf schnellstem und direktestem Wege zum Tor (das ist wirklich etwas Neues in der spanischen Nationalmannschaft der letzten Jahre). Beim 3:1 lief Williams aus der eigenen Hälfte los, dribbelte einen georgischen Verteidiger aus und haute den Ball unter die Latte.
"Es hätte auch 8:1 ausgehen können", sagte Luis de la Fuente. Man konnte das als Kompliment für seine Mannschaft interpretieren, eher war es aber eine Kritik wegen der vielen vergebenen Chancen. 35-mal schossen die Spanier aufs Tor (die Georgier 4-mal). Der immer rackernde Stürmer und Kapitän Álvaro Morata sucht, wie Kai Havertz, nach einer Glückssträhne. Erst ein Tor hat Morata bei dieser EM geschossen. Dani Olmo von RB Leipzig machte in der 83. Minute noch das 4:1.
Bei der Pressekonferenz saß Georgiens Trainer Willy Sagnol trotzdem recht zufrieden vor dem Mikro. "Wir sind so happy und stolz auf das, was wir erreicht haben", sagte Sagnol. Die EU hat gerade den Beitrittsprozess Georgiens gestoppt. Den Beitrittsprozess zur EM hat Georgien mehr als erfolgreich abgeschlossen. Sagnols Mannschaft machte Spaß mit ihrem Powerfußball: immer kämpfend, immer Vollgas, bis die Energie ausging. Das 1:3 gegen die Türkei war spektakulär, der 2:0-Sieg gegen Portugal, mit dem sich Georgien fürs Achtelfinale qualifizierte, eines der emotionalen Highlights des Turniers. Spieler und Fans klatschten nach dem Schlusspfiff nochmal gemeinsam im Takt. Heiser verließen die Fans das Stadion.
Georgien ist also raus.
Für Spanien geht es zum Viertelfinale nach Stuttgart. Nach dem Abpfiff spielten Williams und Yamal Schere, Stein, Papier um den ersten Schluck aus einer Trinkflasche. Das spanische Jugend-Duo hat gerade vielleicht den etwas besseren Lauf als das deutsche – Wirtz und Musiala (Wirtz saß gegen Dänemark ja auch erstmal auf der Bank). Zudem ist Rodri aktuell wohl der beste zentrale Mittelfeldspieler der Welt. Obwohl Spanien erst ein Turniergegentor kassiert hat, wirkt die Abwehr allerdings nicht unüberwindbar.
Spanien gegen Deutschland – das könne auch ein Finale sein, sagte Luis de la Fuente. Es ist ein Viertelfinale, und de la Fuente wirkte nicht so, als mache er sich vorab viele Sorgen. Er sagte: "Ich glaube, dass wir die beste Mannschaft haben, die besten Spieler auf der Welt."