Ludwig Adamovich: Das Gewissen der Republik ist verstummt
Ludwig Adamovich: Das Gewissen der Republik ist verstummt
Bis zuletzt hatte Ludwig Adamovich ehrenamtlich Bundespräsident Alexander Van der Bellen in Verfassungsfragen beraten – eine Tätigkeit, die er bereits unter Van der Bellens Vorgänger Heinz Fischer ausgeübt hatte. Und bei der er zwar im Hintergrund blieb, das Staatsganze aber möglicherweise mehr mitgestaltete als einst in der repräsentativen Funktion des VfGH-Präsidenten.
Zu diesem war der konservative Jurist paradoxerweise gegen den Willen der ÖVP geworden. Das geschah nämlich 1984 unter der rot-blauen Regierung unter Kanzler Fred Sinowatz (SPÖ). Im Jahr davor hatte Adamovich, damals schon mehr als 20 Jahre lang Mitglied des schwarzen Arbeiter- und Angestelltenbundes, unmittelbar vor den Nationalratswahlen am 24. April sein ÖVP-Parteibuch zurückgelegt. Er selbst nannte als Grund dafür „schwerwiegende sachliche Differenzen mit einem hochrangigen Funktionär der ÖVP“, Beobachter meinten jedoch, ein anderes Motiv zu erkennen. Als damaliger Chef des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt habe Adamovich sich Chancen ausrechnen können, Justizminister eines rot geführten Kabinetts zu werden.
Obwohl Adamovich sich stets dazu bekannte, „im Prinzip“ ein Konservativer zu sein, und auch Mitglied des schwarzen Akademikerbundes blieb, sah sich die ÖVP mit seiner Kür zum VfGH-Präsidenten um eine von ihr gleichsam gepachtete Stelle am Höchstgericht gebracht. Nach einer Absprache der beiden damaligen Großparteien SPÖ und ÖVP – „Sideletter“ wurden da noch nicht geschrieben oder nicht bekannt – sollte dort nämlich eine 7:7-Parität unter den Mitgliedern bestehen. Und weil nach ÖVP-Lesart jeder gegen die Partei war, der nicht für sie war, mochten die Schwarzen Adamovich nicht als VfGH-Chef.
Mit einer solchen Ein- bzw. Ausordnung wird man der Person Ludwig Adamovich allerdings nicht gerecht. Der Sohn aus konservativem Haus, dessen Vater Ludwig Adamovich senior unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg ein paar Wochen Justizminister und nach diesem ebenfalls Präsident des VfGH gewesen war, stand in seinem juristischen Wirken keiner Partei nahe. Er war ein Beamter im besten Sinn: nichts und niemandem anderen verpflichtet als dem Gesetz und der Verfassung.
Diese war dem am 24. August 1932 in Innsbruck Geborenen schon ab 1956, also als 24-Jährigem, die beruflich wichtigste Rechtsquelle. Da trat Adamovich nämlich in die Dienste des Verfassungsdiensts im Bundeskanzleramt. Nach seiner Habilitation an der Universität Wien nahm er den Ruf an die Uni Graz als Professor für öffentliches Recht an. „Begeisterter Universitätslehrer bin ich eigentlich nicht gewesen“, vertraute er viele Jahre später einmal der „Presse“ an. Im ruhigen akademischen Umfeld fehlte ihm die Betriebsamkeit des Verfassungsdienstes, die er dann – 1976 dorthin zurückgekehrt – als dessen Chef wieder auskosten konnte.
Auch als Präsident des VfGH, der er von 1984 bis 2002 war, verlebte Adamovich eine Zeit, die alles andere als ruhig war. Während seiner Präsidentschaft entwickelte der Gerichtshof eine bis dahin nicht gekannte Judikatur: Aus der Verfassung wurden nicht mehr bloß formale Spielregeln herausgelesen, an die sich der Gesetzgeber zu halten hatte, um unangreifbare Gesetze zu erlassen. Darüber hinaus leitete der Gerichtshof immer mehr inhaltliche Vorgaben für den Gesetzgeber ab, was aber weniger wegen Adamovichs Präsidentschaft geschah als trotz derselben. Immer strenger prüfte der Gerichtshof, ob etwa Einschränkungen der Erwerbsfreiheit denn wirklich im öffentlichen Interesse geboten waren – bei der Bedarfsprüfung für Taxikonzessionen war dies beispielsweise nicht der Fall. Auch der Gleichheitssatz („Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich“) wurde mit immer mehr Inhalt aufgeladen, bis er bei nahezu jeder Gesetzesprüfung eine Rolle spielte und zur Aufhebung „unsachlicher“ Regelungen führte. Adamovich verspürte dabei ein gewisses Unbehagen, wie er einmal im „Presse“-Interview sagte: „Ich muss ehrlich sagen, mir ist bei der ganzen Gleichheitsjudikatur nicht sehr wohl, weil es furchtbar schwer ist, die Auswirkungen abzuschätzen.“
So richtig ungemütlich wurde es für Adamovich aber im Jahr 2001: Da zogen das Höchstgericht und seiner Spitze Adamovich mit dem „Ortstafelerkenntnis“ den Furor des damaligen Kärntner Landeshauptmanns, Jörg Haider: Es sollten fortan mehr Ortstafeln mit slowenischen Bezeichnungen aufgestellt werden. Massive verbale Attacken Haiders bis hin zur Behauptung, Adamovich sei seines Amtes nicht würdig, veranlassten diesen zu einer ungewöhnlichen Reaktion: Der Präsident stellte sich gleichsam selbst einem Amtsenthebungsverfahren, doch der VfGH beließ ihn – angesichts der Haltlosigkeit von Haiders Anwürfen wenig überraschend – im Amt.
Weniger gut ging ein Strafverfahren gegen Adamovich (in erster Instanz) aus, das er sich wegen des Vorwurfs der üblen Nachrede rund um den Fall des Entführungsopfers Natascha Kampusch eingehandelt hatte. Adamovich hatte eine Evaluierungskommission zur Aufarbeitung von Ungereimtheiten bei der Verfolgung und Aufklärung des Falles (der Täter hatte sich das Leben genommen) geleitet. Wegen Vorwürfen gegen Kampuschs Mutter wurde Adamovich verurteilt (eine „Katastrophe“ für ihn, wie er später sagte); doch in zweiter und letzter Instanz bekam er bestätigt, dass die „frühzeitige Abschottung des Entführungsopfers“ dem Bedürfnis nach „restloser und endgültiger Aufklärung der Causa“ entgegengestanden sei, seine Aussagen sich innerhalb der Grenzen der Meinungsfreiheit bewegt hatten.
Auch im Politischen war Adamovich, dem Träger zahlreicher hoher und höchster Auszeichnungen im In- und Ausland, die Meinungsfreiheit überaus wichtig, auch wenn er davor warnte, in der Demokratie das Feld „denjenigen zu überlassen, die sie von innen heraus zerstören und für ihre Zwecke einsetzen wollen“. Das schrieb er in seinem 2020 erschienenen Buch „Wo wir stehen“. Und: „Wir müssen lernen, die Meinung anderer zu akzeptieren, aber auch eine klare Trennlinie zu ziehen, wenn Populisten und anderer Demagogen den Rechtsstaat beschädigen und die Demokratie unterwandern wollen.“
Adamovich schloss sein Buch optimistisch: „Es gab immer wieder Rückschläge und Niederlagen. Aber wenn wir uns heute umschauen, gibt es keinen Grund zum Jammern, dieser urösterreichischen Eigenschaft.“