Thomas Arslan über Berlins Eigentumsklötze: Früher war hier eine andere Existenz möglich
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Berlin ist die Stadt, in der zahlreiche Filme des Regisseurs und Drehbuchautors Thomas Arslan spielen. So die Trilogie „Geschwister“, „Dealer“ und „Der schöne Tag“, aber auch seine beiden Thriller „Im Schatten“ und „Verbrannte Erde“ wurden in der Hauptstadt gedreht. „Verbrannte Erde“ hatte auf der diesjährigen Berlinale Premiere. Erstmalig zeigt der neue Berliner Kunstverein (n.b.k.) eine umfangreiche Schau zu Arslans Werk, in deren Zentrum die sich wandelnde Metropole steht. Wir sprachen mit dem Regisseur kurz vor der Ausstellungseröffnung.
Herr Arslan, Sie arbeiten bekanntlich nicht mit Location-Scouts. Wie muss man sich das vorstellen, spazieren Sie nachts gezielt durch die Stadt, auf der Suche nach passenden Drehorten für Trojan, Ihrer Hauptfigur aus „Im Schatten“ und „Verbrannte Erde“?
Ich wandere öfters so durch die Stadt und mache Fotos, zunächst ganz unabhängig von einem Projekt. Da gibt es dann Momente, wo etwas aufscheint, wo ich mir etwas vorstellen kann, ausgehend von den Orten. Anschließend fange ich an zu schreiben. Aber es gibt noch andere Einflüsse, wie Filme, Bücher etc. Später, wenn sich Treatment oder Drehbuch entwickeln, verändert sich das. Dann suche ich gezielter. Also ich schreibe nicht und suche anschließend, sondern das entwickelt sich eher parallel.
Die Lebenswirklichkeit Ihrer Figuren spielt für Sie eine große Rolle. Städte, Orte, Plätze scheinen unmittelbar mit den Figuren verwoben. Das schafft eine sehr eigene, Ihre Filme charakterisierende Atmosphäre.
Es ist nie beliebig, wie und wo sie sich bewegen. Das ist mir wichtig. Und das bekommt in meinen Filmen den entsprechenden Raum. Trojan zum Beispiel ist eine hoch pragmatische Figur, da ist das Verweilen oder Flanieren im städtischen Raum nicht vorgesehen. Er macht seinen Job und sucht die Orte auf, die er aufsuchen muss, um seine Coups vorzubereiten. Er kundschaftet zum Beispiel aus, wo man Geld übergeben kann. Das sind dann zwangsläufig Transit-Orte, die sich für so etwas eignen. Verlassene Parkplätze und menschenleere Seitenstraßen, Unterführungen, Fabrikhöfe, also eher unbehagliche und unwirtliche Orte.
Zum Teil habe ich Berlin hier gar nicht wiedererkannt.
„Verbrannte Erde“ ist auch eine Art atmosphärische Referenz im Hinblick auf das aktuelle Berlin. Wir haben hier schon eine ziemlich krasse ökonomische Verschiebung. Die Mieten sind zu hoch, Leute ziehen weg, weil sie sich die Wohnungen nicht mehr leisten können. Früher war hier eine gewisse Energie spürbar, weil eben eine andere Form der Existenz möglich war. Berlin wird für große Teile der Bevölkerung zunehmend eine eher abweisende Metropole.
Aber grundsätzlich zeigen Sie in Ihren Filmen nie Postkarten-Ansichten.
Hochgradig bekannte oder „schöne“ Orte interessieren mich einfach nicht. In so einer Stadt wie Berlin, wo ja wahnsinnig viel gedreht wird, reizt es mich eher, etwas zu finden, wo man nicht bei jeder zweiten Einstellung das Gefühl hat, das hat man jetzt schon hundertmal gesehen.
Wie unterscheiden sich die Orte der Berlin-Trilogie, die zwischen 1996 und 2001 entstand, von den beiden Thrillern, die 2010 und 2023 gedreht wurden?
In der Berlin-Trilogie sind das alles Jugendliche und junge Erwachsene. Die sind nicht mit dem Auto unterwegs, sondern zu Fuß. Sie sind auch alle nicht in dem Alter, wo man schon so gesettelt ist. Da gibt es eine andere Verbindung zur unmittelbaren Nachbarschaft, zu den Orten, wo man wohnt oder arbeitet. Trojan hingegen bewegt sich nomadisch durch die Stadt. Er ist ein professioneller Krimineller, der nirgendwo lange verweilt und Orte aufsucht, wo er nicht auffällt. Er wechselt die Hotelzimmer, ist viel im Auto unterwegs.
Zwischen der Berlin-Trilogie und den beiden Thrillern liegen viele Jahre – wie nehmen Sie die städtischen Veränderungen wahr?
Als wir für die Ausstellung die Ausschnitte zusammengestellt haben, fielen mir schon gravierende Unterschiede auf. Wir hatten bei der Berlin-Trilogie keine Riesenetats. Da wurden keine Straßen abgesperrt. In diesen Szenen sieht man also, wie leer das damals alles war im Vergleich zu heute. Heute ist Kreuzberg so voll mit Touristen, mit Autos und, und, und …
Man sieht auch die Häuser aus der damaligen Zeit, die Einschusslöcher aus dem Zweiten Weltkrieg an den Fassaden. 1990 waren die wenigsten renoviert. Oder auch die Hinterhöfe, alles sehr grau, viel rauer, finsterer auch. Das ist seit damals schon sehr aufgewertet worden. Und was heute in Berlin gebaut wird, ist leider größtenteils nicht sehr interessant. Das ist so eine Einheitsware, diese Eigentumsklötze, die alle gleich aussehen, wie von der Stange. Da haben sie sich in den 1990er-Jahren schon noch mehr Mühe gegeben, also die Gebäude von der IBA zum Beispiel, der Internationalen Bauausstellung, die im „Schönen Tag“ explizit eine Rolle spielen.
In „Der schöne Tag“ bewegt sich Ihre Hauptfigur Deniz durch unterschiedliche Stadtteile, da ist auch ein Moment des Flanierens.
„Der schöne Tag“ zeigt zum Teil Orte, wo man sich gern aufhält, Orte, die man nicht durcheilt. Und so etwas hat sich in Berlin städteplanerisch schon sehr verändert. Plätze werden mittlerweile so gestaltet, dass die Leute sich da nicht lange aufhalten sollen, unter anderem auch aus kontrolltechnischen Gründen.
Deniz ist zu Fuß unterwegs, Trojan mit dem Auto. Er fährt einen alten silberfarbenen BMW. Ein sehr schönes Auto.
Vor allem ganz ohne Elektronik! Das heißt, ohne Überwachungs- und Kontrollmöglichkeit. Er legt so keine Spuren. Für ihn ist das Auto auch eine Art gepanzerter Raum, in dem er sich durch die Stadt bewegen kann und seine Beobachtungen macht, ohne selbst beobachtet beziehungsweise überwacht zu werden.
In „Verbrannte Erde“, der am 18. Juli in die Kinos kommt, geht es um einen Kunstraub. Das Caspar-David- Friedrich-Bild „Frau vor der untergehenden Sonne“ soll aus einem Museum gestohlen werden. War das geplant angesichts der großen Ausstellungen zu Caspar David Friedrich in Hamburg und Berlin?
Es sollte ein bekanntes Bild sein, vor allem aber ein wertvolles Bild, und klein sollte es sein, also transportabel. Wir wussten bei der Planung des Films nichts von den Ausstellungen.
Rückenansichten und Blicke aus Fenstern beziehungsweise Blicke, die nicht erwidert werden, sind bei diesem Maler ein großes Thema, auch in Ihren Filmen, oder?
Also ich bin jetzt kein so großer Verehrer dieses Malers (lacht). Und Film hat ja ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten. Mich interessieren die Gedanken hinter dem Sehen. Wie etwas Psychisches in etwas Physisches übersetzt wird. Man kann ja nicht in die Köpfe der Figuren schauen. Ich möchte ihr Innenleben nicht durch Dialoge oder eindeutig lesbare Mimik zeigen, sondern eher durch etwas Untheatralisches, Physisches, was nicht eindeutig ist. Durch Tempi, durch Bewegung im Raum zu vermitteln, was mit den Figuren los sein könnte, das ist mir wichtig. Das interessiert mich mehr als zum Beispiel „Gesichtsakrobatik“.
Welche Elemente waren Ihnen denn für die in der Ausstellung gezeigten Werke besonders wichtig?
Ich möchte das Verbindende der einzelnen Arbeiten zeigen. Ausschnitte aus meinen Filmen, in denen die Präsenz der Stadt Berlin eine Rolle spielt. Danach haben wir die Szenen ausgesucht. So, dass man dann auch ein Gefühl dafür bekommt, wie sich die Stadt über die Jahrzehnte im Detail verändert hat.
Zwei Filme, die sich ganz explizit mit diesen Transformationen beschäftigen, sind „Am Rand“ (1991) und „Am Rand-Revisited“, eine Arbeit, die extra für die Ausstellung entstanden ist.
Ja, ich habe da dieselben Orte aufgesucht, an denen ich vor über 30 Jahren war. Ich wollte die Veränderungen registrieren. Kurz nach der Wende habe ich in diesem ehemaligen innerstädtischen Mauerbereich gedreht. Ein Brachgelände zwischen zwei vorher getrennten Stadtteilen. Es war eine Übergangszeit, mit Spuren eines Davor. Das war damals relativ unerkundet und das hat mich gereizt.
Und jetzt sind diese Orte weitestgehend vereinnahmt und bebaut?
Im innerstädtischen Bereich ja. Diese ganzen ehemaligen Leerstellen sind inzwischen stark überformt. Neubebauungen überall, also zum Beispiel das Gelände hinter dem Hauptbahnhof, die sogenannte Europa-City, da ist es am extremsten. Das war vorher eine Sandwüste. Auch Richtung BASF, vorher Schering, das ist kaum noch wiederzuerkennen, so zugebaut ist das. In den Außenbezirken hingegen, wo es die Stadt nicht so viel kostet, sind parkähnliche Zonen angelegt worden. Insgesamt sieht man im Vergleich der beiden Filme, die in der Ausstellung parallel gezeigt werden, schon massive Veränderungen.
Die Ausstellung „Thomas Arslan“ im n.b.k., kuratiert von Marius Babias, besteht aus Videoprojektionen, Storyboards, Archivmaterialien und erstmals präsentierten neuen Arbeiten. Es ist die erste umfangreiche Überblicksschau zu Arslans Werk weltweit, zu sehen bis zum 7. August. In Kooperation mit dem Kino Arsenal wird vom 15. Juni an das vollständige filmische Œuvre des Regisseurs präsentiert.