Abschied von der ersten Kanzlerin
Abschied von der ersten Kanzlerin
Sie war die erste Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs und die erste Bundeskanzlerin Österreichs. Entsprechend groß war am Freitag die Anteilnahme beim Begräbnis von Brigitte Bierlein. Im Rahmen eines Requiems im Stephansdom wurde die vergangene Woche verstorbene Juristin und Politikerin umfassend gewürdigt. Interessiert, kompetent, mutig, gesellig, elegant und dialogorientiert sind nur einige der Eigenschaften, die ihr Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Kanzler Karl Nehammer und Kardinal Christoph Schönborn zuschrieben.
Der Sarg im Stephansdom ist in die österreichische Fahne gehüllt, das Spalier daneben paritätisch besetzt durch Vertreterinnen und Vertreter zivilgesellschaftlicher und staatlicher Organisationen, die das Leben von Bierlein geprägt haben: das Gymnasium in der Kundmanngasse, das Juridicum der Universität Wien, der Verfassungsgerichtshof, das Bundeskanzleramt, die Bundestheater Holding und die Frauen Initiative LEA, Let‘s Empower Austria, sowie das Bundesheer und die Polizei.
Eine „mutige Frau“
Bierlein war 2019 etliche Monate lang Bundeskanzlerin. Sie sprang ein, als nach dem Ibiza-Skandal die türkis-blaue Regierung platzte und die darauf folgende türkise Minderheitsregierung an einem Misstrauensvotum im Parlament scheiterte. Bundespräsident Alexander Van der Bellen betraute die VfGH-Präsidentin mit der Führung eines Expertenkabinetts, das das Land in der Zeit bis zur Neuwahl und zur Bildung einer neuen Regierung verwalten sollte.
Sie habe diese Aufgabe als „mutige Frau“ angetreten und die Lage in Österreich rasch wieder beruhigt, sagte Van der Bellen nun in seiner Würdigung. Bierlein stehe für Hirn und Herz, Selbstvertrauen und Selbstkritik, Stärke und Gelassenheit sowie für Fachkenntnis und Empathie. Er hoffe, dass Bierlein sich bewusst gewesen sei, wie sie andere inspiriert habe: „Sie wird für viele Frauen und Mädchen und uns alle immer ein Vorbild bleiben.“
Bierlein war nicht nur die erste Regierungschefin Österreichs, sondern auch die erste Frau, die den Verfassungsgerichtshof geleitet hatte. Ihr Nachfolger Christoph Grabenwarter nannte sie sichtlich gerührt nicht nur eine Juristin, sondern auch eine Verbinderin im Fachlichen wie in den persönlichen Kontakten: „Brigitte Bierlein hatte Stil.“ Auch habe sie ein ausgeprägtes Gefühl für Ästhetik gehabt – und das nicht nur im Äußeren –, sowie ein gutes Gespür für die richtigen Umgangsformen: „Sie war im besten Sinne des Wortes ein geselliger Mensch.“
Weltbürgerin und Wienerin
Bundeskanzler Nehammer verneigte sich nicht nur rhetorisch vor Bierleins Lebenswerk. Ihr Amt als Regierungschefin habe sie mit Eleganz, Entschlossenheit und Mut, der seinesgleichen suche, ausgeübt. Sie sei „Weltbürgerin, aber auch echte Wienerin“ gewesen, habe ein Herz für die Gleichberechtigung und die Wahlfreiheit für Frauen gehabt. Bierlein sei jedem Menschen unvoreingenommen begegnet: „Sie hat den Dialog nicht nur gelebt, sondern auch gesucht.“
Auch Kardinal Christoph Schönborn würdigte die Verstorbene. Bierlein habe all ihre Tätigkeiten als Dienst verstanden: „Nur so kann man dem Recht gerecht werden.“ Sie habe vorgelebt, dass klare Positionen, aufrechte Haltung und deutliche Sprache mit Wertschätzung anderer Sichtweisen vereinbar seien. Bierlein habe die Worte Recht und Gerechtigkeit „in hervorragender und herausragender Weise verkörpert“. Sie stehe für einen lebenslangen Einsatz für Recht und Gerechtigkeit und habe eine „beeindruckende Laufbahn“, so Schönborn, der auch ein glühendes Bekenntnis zu Demokratie und Verfassung abgab.
In den Reihen des Doms hatte die Bundesregierung ebenso Platz genommen wie zum Beispiel Alt-Bundespräsident Heinz Fischer, die ehemaligen Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Christian Kern (SPÖ), Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sowie Prominenz aus der Justiz. (maf)