Frankreich: Le Pen droht Widerstand in der Bürokratie
Frankreich
Frankreich: Le Pen droht Widerstand in der Bürokratie
„Keine Stimme dem RN“: beschädigte Wahlplakate im nordfranzösischen Sailly-Laurette, wo die Partei zur EU-Wahl bei 50 Prozent lag.
Kündigen oder von innen heraus kämpfen? Die Beamtenschaft in Frankreich könnte Regierungspläne der Rechten sabotieren.
Noch sitzen die Lepenist:innen in Paris nicht an der Macht. Doch die bloße Möglichkeit treibt zahllose Beamte und Beamtinnen um. Vor allem jene leitenden Angestellten, die ihre Anweisungen direkt aus ihrem vorgelagerten Ministerium erhalten, also von der Regierung. Die 500 Spitzenbeamt:innen, Präfekte und Botschafterinnen warten auf eine Le-Pen-Regierung „wie auf einen ’Meteoreinschlag‘“, liest man in den sozialen Medien.
Die meisten dieser „hauts fonctionnaires“ schweigen, aber alle überlegen, wie sie sich verhalten sollen. Die Zusammenarbeit verweigern und den Hut nehmen? Oder erst recht im Amt bleiben und im Kleinen oder Großen Widerstand leisten? „Abtreten oder bleiben, das ist eine sehr persönliche Frage“, sagte Catherine Sueur, die Generalinspektorin für Finanzen, die sich als eine von wenigen öffentlich äußert. „Die Antwort fällt nicht leicht. Schließlich muss ja jemand die Steuern eintreiben und den Haushalt erstellen.“
Zum Thema
Wahl in Frankreich: Ein einziger politischer Trümmerhaufen
In der Éducation Nationale, dem französischen Bildungsapparat, haben leitende Angestellte eine Petition lanciert, in der sie bekanntmachen, dass sie der neuen Regierung nicht zu Diensten sein würden. Sie betonen, dass sie schon unter progressiven, konservativen und zentrumspolitischen Regierungen gearbeitet hätten.
„Doch morgen wird unser Minister vielleicht zur extremen Rechten gehören und verlangen, dass wir Kaderbeamten seine Direktiven anwenden, seine Politik umsetzen und eine Bildung organisieren, die im Widerspruch zu den republikanischen Werten steht.“ Was diese Werte sind, wissen alle Franzosen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – das Gegenteil des „nationalen Vorzugs“, den das Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen zulasten von Zugewanderten in vielen Sozialbereichen umsetzen will. „Nach bestem Gewissen und Verantwortungsbewusstsein – wir werden nicht gehorchen“, heißt es in der Petition. „Wir erklären hiermit, dass keiner von uns Maßnahmen anwenden würde, die gegen die Werte der Republik verstoßen.“
Die Petition ist von mehr als 2500 der betroffenen Spezialbeamt:innen unterzeichnet. Auch in den besonders brisanten Migrations-Diensten gibt es solche Wortmeldungen. Didier Leschi, der Leiter des Immigrations- und Integrations-Amts (Ofii), durch das alle Eingewanderten gegangen sind, erklärte, er werde „natürlich“ keine Politik umsetzen, „die gegen meine republikanische Ethik verstößt“.
Taktiken wie gegen Trump
In anderen Ministerien und Abteilungen wird hinter verschlossenen Türen debattiert, welche Möglichkeiten es gebe, den Gehorsam zu verweigern oder passiven Widerstand zu leisten. „Résistance“ ist nicht erst seit dem Zweiten Weltkrieg ein sehr französischer Begriff, Teil des nationalen Charakters. Die Pariser Ausgabe des Online-Magazins Politico schreibt, die Verwaltung könnte zum Beispiel „auf Zeit spielen, Minisabotage betreiben, Texte schlecht verfassen oder politische Impulse verlangsamen“. Taktiken, die bekannterweise auch während der Amtszeit des früheren US-Präsidenten Donald Trump angewandt wurden. Ein Chefbeamter weist anonym darauf hin, dass der Staatsrat mit einer „negativen Stellungnahme“ theoretisch jeden Regierungstext zu Fall bringen könne.
Le Pens enger Mitarbeiter Renaud Labaye droht bereits damit, unbotmäßige Beamt:innen zu entlassen. In Frankreich gebe es kein Spoil-System wie in den USA, wo jede neue Staatsführung ihr eigenes Personal mitbringt. Das setze aber, so Labaye, die Loyalität der Staatsangestellten voraus. „Die, die bremsen oder uns behindern, werden ersetzt.“
Generell suchen die Leute von Le Pen aber, die Konfrontation zu vermeiden. „Wir werden keine Hexenjagd veranstalten“, versichert Le Pens früherer Kampagnenchef Christophe Bay. Im Gegenteil verspricht er geschickt, die rechte Regierung werde die unbeliebte Reform, die Präsident Emmanuel Macron dem Diplomatischen Corps und den Präfekturen aufgezwungen hatte, wieder rückgängig machen.
Damit kann Le Pen in der Verwaltung durchaus punkten. Für einige in der Beamtenschaft wäre es ein Anlass, ihre Sympathien für das RN oder für eine Politik wie von Giorgia Meloni in Italien zu bekunden, glaubt ein Schatzamt-Direktor, der nicht namentlich genannt werden möchte. Ob Frankreichs Staatsverwaltung vor einer Blockade steht, muss sich weisen – interne Spannungen zwischen Beamt:innen sind aber auf jeden Fall programmiert, wenn die Rechtspopulisten politisch das Sagen haben.