190 Kandidaten verzichten: Hoffnung von Frankreichs Rechten auf absolute Mehrheit schwindet
Die französischen Rechtspopulisten des Rassemblement National (RN) wollen auch ohne absolute Mehrheit eine Regierung bilden. In ihrem Kabinett sollten auch Unterstützer aus anderen Parteien und Vertreter der Zivilgesellschaft beteiligt sein, sagte Ex-Parteichefin Marine Le Pen am Dienstag dem Sender France Inter. „Es wird eine kompetente Regierung sein“, betonte sie. „Wenn wir eine Mehrheit bekommen, dann werden wir natürlich tun, wofür die Wähler uns gewählt haben.“
Damit rückte Le Pen von der bisherigen Linie des Parteichefs Jordan Bardella ab, wonach er das Amt des Premierministers nur im Fall der absoluten Mehrheit übernehmen wolle. „Wenn wir etwa 270 Sitze haben und noch 19 Abgeordnete brauchen, dann werden wir auf die anderen zugehen“, sagte Le Pen. „Mehrere rechte, aber auch linke Abgeordnete haben eine Nähe zu unseren Positionen gezeigt.“ Für eine absolute Mehrheit sind 289 von 577 Sitzen nötig.
190 Kandidaten erklärten taktischen Verzicht
Die Rechtspopulisten lagen in der ersten Wahlrunde in 297 Wahlkreisen vorn. Fünf Tage vor der entscheidenden Runde verringerten sich ihre Chancen auf eine Machtübernahme aber: Bis Dienstag früh erklärten bereits 190 Kandidaten ihren taktischen Verzicht auf die Teilnahme an der Stichwahl, wie die Zeitung „Le Monde“ berichtete. Ziel ist es, die Wahl von Kandidaten des RN zu verhindern.
Wegen der hohen Wahlbeteiligung hatten sich in mehr als 300 von 577 Wahlkreisen je drei Kandidaten für die Stichwahl qualifiziert. In knapp der Hälfte lag dabei der RN-Kandidat vorn. Wenn sich nun der jeweils drittplatzierte Kandidat zurückzieht, verringert dies die Chance für den RN-Kandidaten, die Stichwahl zu gewinnen.
Das links-grüne Wahlbündnis Neue Volksfront hatte eindeutig zum Rückzug ihrer Kandidaten aufgerufen, das Regierungslager zeigte sich in der Frage gespalten. Mehrere führende Vertreter sprachen sich dagegen aus, linkspopulistischen Kandidaten Stimmen zu überlassen, selbst dann, wenn sie damit den Wahlsieg des Rassemblement National verhindern könnten. Die linkspopulistische Partei La France Insoumise (LFI) bildet die größte Gruppe innerhalb des links-grünen Wahlbündnisses.
Mütze mit Hakenkreuz: RN-Kandidatin zog zurück
Die Kandidaten, die für die zweite Runde qualifiziert sind, haben noch bis 18.00 Uhr Zeit, um über ihre Teilnahme zu entscheiden. Alle, die in der ersten Runde die Stimmen von mindestens 12,5 Prozent der eingeschriebenen Wähler erhalten haben, können an der Stichwahl am 7. Juli teilnehmen.
Unterdessen zog eine Kandidatin des RN ihre Teilnahme an der Stichwahl zurück, nachdem ein Foto von ihr mit einer Schirmmütze der NS-Luftwaffe samt Hakenkreuz bekannt wurde. Das vom Sender „France Bleu“ veröffentlichte Foto stammt laut dem Sender von einem nicht mehr zugänglichen Facebook-Profil der Kandidatin Ludivine Daoudi. Sie war in der ersten Runde im nordfranzösischen Calvados auf 20 Prozent gekommen.
Ein weiterer Kandidat des RN riskiert im Fall eines Wahlsiegs in der zweiten Runde sein Mandat nicht antreten zu können, da er wegen psychischer Probleme einen gesetzlichen Betreuer hat. Der 65-Jährige war im westfranzösischen Jura mit 33 Prozent auf den zweiten Platz gekommen. Menschen, die unter Betreuung stehen, können sich nicht wählen lassen. Weder der Betroffene noch die Partei wollten sich auf Anfrage dazu äußern.
Stichwahl am Sonntag
In der Stichwahl am kommenden Sonntag entscheidet sich die Sitzverteilung in der Nationalversammlung. Für eine absolute Mehrheit sind 289 von 577 Sitzen nötig. Die Rechtspopulisten lagen in der ersten Wahlrunde in 297 Wahlkreisen vorn. Die Auswirkungen des Rückzugs zahlreicher Kandidaten in Wahlkreisen, in denen drei Kandidaten die erste Runde überstanden, sind allerdings noch nicht abzuschätzen. (APA/AFP)