RSV-Infektionen - Stiko empfiehlt Impfung – und eine neuartige Prophylaxe für Neugeborene

rsv-infektionen - stiko empfiehlt impfung – und eine neuartige prophylaxe für neugeborene

Für Neugeborene ist RSV lebensgefährlich, Winterkinder sollen auf der Entbindungsstation Antikörper bekommen

Für Neugeborene ist RSV lebensgefährlich, Winterkinder sollen auf der Entbindungsstation Antikörper bekommen

Als die Kinderkliniken im Winter 2022/23 nicht mehr wussten, wie sie die Patientenmengen bewältigen sollen, war die Ursache schnell ausgemacht: das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV). Damals waren ungewöhnlich viele Kinder auf einmal erkrankt. Auf den Intensivstationen mussten bis zum Ende der kalten Jahreszeit 328 Kleinkinder beatmet werden.

Im Winter 2023/2024 betreuten die Intensivstationen sogar 392 RSV-Fälle. Eine Gefahr, unter Umständen daran zu sterben, besteht besonders für die sehr jungen Kinder, von Geburt bis zum Alter von zwei Jahren. Problematisch ist aber auch, dass all die kranken Kinder mit milderen Verläufen die Arztpraxen an den Rand des Zusammenbruchs bringen, denn es sind so viele. Das Berliner Robert-Koch-Institut nennt RSV „einen der bedeutendsten Erreger von Atemwegsinfektionen bei Säuglingen“. Die Verbreitung der Erkrankung sei lange Zeit unterbewertet worden. Nach aktuellen Schätzungen sind im ersten Lebensjahr 95 von 1000 Kindern betroffen, 16 müssen ins Krankenhaus.

Nun reagiert die Ständige Impfkommission (Stiko) und nimmt, rund ein Jahr nach Zulassung, die beiden ersten RSV-Impfstoffe in ihre Empfehlungen auf: Abrysvo und Arexvy waren bisher nur für Selbstzahler zu haben, fortan werden die Krankenkassen die Kosten dafür tragen. Aber davon abgesehen wird empfohlen, alle Säuglinge vor ihrem ersten Winter mit einem Immunserum gegen diese Atemwegsviren zu wappnen.

„Die Stiko empfiehlt den monoklonalen Antikörper Nirsevimab, Handelsname Beyfortus, für alle Neugeborenen und Säuglinge, unabhängig von möglichen Risikofaktoren in ihrer ersten RSV-Saison“, sagte Julia Tabatabai anlässlich einer Pressekonferenz des „Science Media Centers“. Sie ist Ärztin am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Heidelberg und Mitglied der Ständigen Impfkommission und erläutert: „Das heißt zwischen September und November, und Neugeborene, die während der RSV-Saison geboren werden, sollten Nirsevimab möglichst rasch nach der Geburt erhalten.“ Das könne vor der Entlassung aus der Geburtseinrichtung sein, im Rahmen der U2 am dritten bis zehnten Lebenstag. Die Babys werden keine Infusion erhalten, wie es bei einer solchen Behandlung durchaus üblich ist, sondern eine Spritze mit RSV-Antikörpern.

Der nun zur Prophylaxe empfohlene Antikörper ist der biotechnologische Nachbau eines Abwehrstoffs des menschlichen Körpers. Dieser hat die Aufgabe, ein bestimmtes Protein auf der Oberfläche der Viren zu blockieren – um zu verhindern, dass die Erreger in die Schleimhautzellen des Atemtrakts eindringen.

Verbesserte Impfstoffe

Dieses Oberflächenprotein namens F-Protein ist der Grund, warum es die beiden RSV-Impfstoffe jetzt erst seit kurzer Zeit gibt. Das Virus wurde zwar schon 1956 entdeckt, und gleich darauf versuchten sich Forscher an Vakzinen. Aber mit der Folge, dass geimpfte Kinder beim zweiten Kontakt mit dem Erreger nicht geschützt waren, sondern schwer erkrankten. Deswegen wurde diese Impfung nicht mehr angewendet, und Forscher suchten mehr als 60 Jahre weiter nach einer sicheren Lösung für das RSV-Problem.

Der entscheidende Trick ist, die Abwehrtechnologie genau an die Bindestelle des F-Proteins anzupassen. Durch die alten Impfstoffe passierte etwas, was man VAED nennt, vaccine-associated enhanced disease, auf Deutsch etwa: vom Impfstoff ausgelöste Krankheitsverstärkung. Dazu kommt es nur bei bestimmten Erregern, und nur dann, wenn die Antikörper nicht maßgeschneidert sind. Aber sowohl die neuen Impfstoffe als auch die prophylaktischen Antikörper sind akkurat geformt.

Tabatabai nennt die Prophylaxebehandlung schlicht „passive Immunisierung“. Sie will es wohl nicht nach Sensation klingen lassen, trotzdem ist es eine: Bisher war es üblich, eine „passive Immunisierung“ nach einer Infektion, etwa mit dem Tollwut-Erreger, zu verabreichen. Im Fall von RSV wird jetzt eine vorsorgliche Behandlung empfohlen, erstmals flächendeckend, und für sehr junge und damit gegenüber Nebenwirkungen womöglich empfindliche Patienten.

Deswegen ist die Frage wichtig: Wie gut sind die Daten? Spanien hatte die Antikörper-Anwendung für alle Kinder bereits im September 2023 empfohlen, 38 Kliniken nahmen an einem Pilotprojekt teil. Im Studienzeitraum wurden 95 Säuglinge mit RSV aufgenommen, 56 hatten zuvor eine Nirsevimab-Prophylaxe erhalten. Daraus berechneten Epidemiologen: 84,4 Prozent der schweren, klinikpflichtigen Erkrankungen würden verhindert.

In Luxemburg, wo seit Juli 2023 allen Neugeborenen Antikörper angeboten werden, ging die Zahl der RSV-bedingten Hospitalisierungen unter den bis zu sechs Monate alten Säuglingen stark zurück: Statt zuvor 232 Kindern wurden nun nur noch 72 eingewiesen. Beide Auswertungen klingen nach einem wirksamen Mittel, sind allerdings vergleichsweise klein und bilden nur eine kurze Zeit ab, wie die Stiko selbst in ihrer Einschätzung für das RKI anmerkt.

Neuartiger Antikörper

Die Kinderärztin Tabatabai beruft sich in ihren Erläuterungen auf die Vorerfahrungen mit einem anderen Antikörper, der in Deutschland bereits Neugeborenen prophylaktisch verabreicht wurde. An Kinder mit besonderen Risikofaktoren wie Frühgeburt, Lungenerkrankungen oder schweren Herzfehlern; dieser Immunstoff heißt Palivizumab. „3,5 Prozent aller neugeborenen Kinder haben besondere Risikofaktoren für einen sehr schweren RSV-Verlauf“, erklärt Tabatabai. Palivizumab sei vor Saisonbeginn und dann allmonatlich gespritzt worden. „Da liegt der Unterschied zu Nirsevimab.“ Das neue Mittel habe eine deutlich längere Halbwertszeit, von 96 Tagen, und müsse deswegen nur einmalig gegeben werden, und: „ist außerdem nochmals deutlich effektiver als der Vorgänger“.

Jetzt sei die Behandlung zuverlässig und einfach genug machbar, um sie allen Säuglingen zu empfehlen. „Kinder mit Risikofaktoren machen ein Fünftel der Kinder mit schweren RSV-Infektionen aus, bleiben 80 Prozent, die zuvor und eigentlich gesund sind. Mengenmäßig sind sie der größere Anteil der Kinder, die wir in den Kinderkliniken sehen.“

Der Stiko geht es um die Gesundheit der Kinder, um die Vermeidung von Todesfällen, aber nicht nur. Tabatabai spricht ganz offen aus, dass Immuntherapien immer auch einen höheren Zweck erfüllen, den Schutz der Allgemeinheit. Die RSV-Prophylaxe habe außerdem das Ziel, die stationären und ambulanten Versorgungsengpässe zu vermeiden, die im Winter durch eine hohe Anzahl von RSV-Infektionen im Säuglingsalter entstünden.

Johannes Liese von der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie und selbst Klinikleiter in Würzburg, ordnet die Bedeutung der Maßnahme für die überlasteten Versorgungsstrukturen so ein: „Sowohl in der Kinderarztpraxis als auch in der Kinderklinik ist die jährliche RSV-Saison eine riesige Herausforderung, weil wir da eine sehr massive Infektionswelle haben.“ Zwischen Januar und März komme das Gesundheitssystem dadurch an die Grenze der Belastung, Jahr für Jahr. Besonders stark sei das in den ersten zwei Saisons nach der Pandemie gewesen. „Mit so massiven Wellen an RSV-Infektionen, dass gar nicht mehr alle Kinder versorgt werden konnten, die wir hätten stationär aufnehmen müssen“, sagt Liese.

Gentechnisch veränderte Erbsubstanz

Er hofft, dass hier, in den Kliniken, und in den Arztpraxen dank der Antikörpertherapie eine deutliche Entlastung im Winter eintreten werde. „Niedergelassene Ärzten kennen RSV einmal als einfachen grippalen Infekt der oberen Atemwege, der unkompliziert verläuft. Das muss man auch sagen: Bei den meisten Kindern verläuft es unkompliziert“, sagt Liese. „Aber dann gibt es eben zehn Prozent aller Kinder, die eine Infektion der unteren Atemwege entwickeln, mit einer Bronchitis oder mit einer Pneumonie.“ Zusammengenommen mit einer nahezu 100-prozentigen Infektionsrate in den ersten zwei Lebensjahren mache das RSV zur häufigsten Ursache für Lungenentzündung und für Bronchitis. Und zu einem häufigen Grund, die Kinderarztpraxen aufzusuchen.

Es dürfte spannend sein zu sehen, wie viele Eltern dieser Empfehlung folgen werden, in Spanien nahmen je nach Klinik zwischen 78,7 und 98,6 Prozent der Familien teil. Aber in Deutschland sind die Vorbehalte gegenüber Gentechnik in der Medizin und den dadurch entwickelten Arzneistoffen immer noch groß.

Auch bei diesem Arzneistoff steht am Anfang der biotechnologischen Entwicklung ein veränderter genetischer Bauplan: „Der Antikörper hat kleine Veränderungen in einem besonderen Bereich, die zu einer intensiveren Interaktion mit Rezeptoren auf der Oberfläche von Immunzellen führen“, erklärt Thomas Pietschmann, Leiter der Arbeitsgruppe Experimentelle Virologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Damit bleibe der Antikörper „länger im System“.

]]>

OTHER NEWS

1 hour ago

EM 2024: Effenberg fordert Änderung – DFB-Star soll im Viertelfinale weichen

1 hour ago

Toni Kroos: Böser Vorwurf gegen DFB-Star – diese Reaktion ist deutlich! „Blödsinn“

1 hour ago

Hummels zu Bundesliga-Topklub?

1 hour ago

Legionär Kara: "Die Türken erwarten, dass sie gewinnen"

1 hour ago

S-Bahn in Berlin: Insider verrät, wie Selenskyj den ÖPNV zum Erliegen brachte

1 hour ago

Norris meist enttäuscht von Verstappen: 'Ich fahre fair und er nicht'

1 hour ago

Wochenhoroskop vom 1. bis 7. Juli 2024: Bei diesen Sternzeichen schlägt das Herz jetzt schneller

1 hour ago

Ultraorthodoxe protestierten gegen Wehrpflicht

1 hour ago

Staat enteignet Hunderte Land- und Forstwirte für Straßenbau

1 hour ago

Jeep Avenger: Klein, leicht – und elektrisch

1 hour ago

Andrea Stella: Hamilton-Duelle 2021 haben Schuld an Verstappen-Fahrweise

2 hrs ago

Neue Dienstwagen-Regeln bei Volkswagen: Manager bekommen keine Porsche mehr

2 hrs ago

Kubicki: Lindner ist kein "Angestellter des Kanzlers"

2 hrs ago

Schäfers Abschiedsworte an den VfL: "Für mich persönlich die beste Lösung"

2 hrs ago

Bundesliga: Bayern: Widersprüchliche Berichte zu Tah - Warnung an Olise

2 hrs ago

Straßenverkehr: Maut gilt jetzt auch für leichtere Lkw

2 hrs ago

Amazon setzt Prime-Kunden Frist: Stichtag 6. Juli 2024

2 hrs ago

Mit Heinz Erhardt auf der Bühne der Henrichshütte Hattingen

2 hrs ago

Pilotprojekt zur Vier-Tage-Woche: Viele Unternehmen kürzen Arbeitszeit um weniger als 20 Prozent

2 hrs ago

Schon knapp 60 Prozent Wahlbeteiligung bei Frankreich-Wahl

2 hrs ago

Wien auf Platz 1: Hier gibt es den besten Burger Europas

2 hrs ago

The Rookie-Fans wollen für Staffel 7 nur eine Sache: "Wenn ihr Chenford das nicht hinkriegt, verklage ich euch"

2 hrs ago

Millenial hat heimlich 2 Jobs, um mit 50 in Rente zu gehen – doch er sagt, es sei den Stress nicht wert

2 hrs ago

Golfer Siem gewinnt Italian Open

2 hrs ago

Anker Solarbank 2 Pro im Test: Balkonkraftwerk-Speicher mit Smart Meter & 4 MPPT

2 hrs ago

Pacult: "Wie die Zehenspitze von Arnautovic"

2 hrs ago

Mega-Hagel: 4 Ortschaften zum Katastrophengebiet erklärt

2 hrs ago

Weltrekord! "Ich bin verblüfft und schockiert"

2 hrs ago

Einigung auf Ressortverteilung Koalition in Südafrika steht

2 hrs ago

Ich habe 170 Euro für einen Nachtflug von New York nach Berlin bezahlt – es war anstrengend, aber ich würde es nochmal buchen

2 hrs ago

Tennis: Ein Volksheld nimmt Abschied: Die wichtigsten Storylines von Wimbledon

2 hrs ago

Kairos EV Elektro-Trike: Mit Ausgleichgewichten und Rückhalteeinrichtung

2 hrs ago

„Fernsehgarten“: Gäste summen bestimmtes Lied – Fans sind gespalten

2 hrs ago

BVG muss Verkehr ausdünnen: Warum die Berliner U-Bahn seltener fährt

2 hrs ago

Formel-1-Lehren von Spielberg: Verstappen zerlegt sein Team, Mercedes lacht über eigene "Dummheit"

2 hrs ago

90 Patagonia-Mitarbeiter müssen für das Unternehmen umziehen – oder werden entlassen

2 hrs ago

Nach Anstieg der Teuerungsrate im Mai: Bundesamt gibt vorläufige Inflationsrate für Juni bekannt

2 hrs ago

NAEV Cyber Hummer Elektro-Geländewagen: Elektro-Hummer mit Tesla-Power und 1.013 PS

2 hrs ago

"Hawk Tuah"-Hype überrollt Österreich

2 hrs ago

1. FC Köln: Bernie Lennemann feiert Tor-Premiere im U-21-Testspiel