BVG muss Verkehr ausdünnen: Warum die Berliner U-Bahn seltener fährt
Das waren noch Zeiten: Einst waren Sechs-Wagen-Züge auf der Linie U1 die Regel. Heute verkehren die U-Bahnen immer häufiger nur mit vier Wagen.
Volle U-Bahnen, viele Fans – aber wenig Stress. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben eine positive Zwischenbilanz zur Fußball-Europameisterschaft gezogen. „Was wir für den Fan-Verkehr versprochen haben, können wir liefern. Die BVG wird der Gastgeberrolle gerecht“, sagte Betriebsvorstand Rolf Erfurt.
Doch außerhalb des EM-Verkehrs treten bei dem Landesunternehmen zunehmend Fahrzeugprobleme zutage. Weil neue Züge zu spät kommen, fallen Fahrten aus. Ganze U-Bahn-Baureihen kämpfen mit erhöhtem Verschleiß. Nun bereiten BVG und Senat neue Einschränkungen vor.
Das Konzept für die Anreise zum Olympiastadion und zur Fan-Meile hat sich bewährt, so die BVG. „Alles, was rollen kann, rollt. Alle EM-Zusatzschichten sind besetzt, hier gibt bislang keine Personalausfälle“, sagte Erfurt. Fußballfans werden mit Durchsagen in ihrer Landessprache begrüßt. Am U-Bahnhof Olympia-Stadion soll Crowdmanagement für Siherheit sorgen. Ein DJ hält je nach Stimmung unterschiedliche Musik-Sets bereit – dazu zählen auch beruhigende Klänge. An Spieltagen in Berlin fährt die U1 statt zur Uhlandstraße zum Stadion, und die U5 verkehrt abends länger im dichten Takt.
„Die Mitarbeitenden leisten gerade wirklich Großes, damit die Fan-Verkehre gut laufen und die Auswirkungen auf die anderen Fahrgäste so gering wie irgendwie möglich bleiben“, sagte Maja Weihgold von der BVG. „Wir machen der BVG ein Kompliment, der EM-Verkehr läuft sehr gut“, lobte Petra Nelken, Sprecherin der Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU). Doch die BVG muss zugleich mit erheblichen betrieblichen und technischen Herausforderungen kämpfen – was viele Fahrgäste seit Langem merken.
Weil die Fahrzeugdecke kurz ist und Reserven fehlen, führen die Verbesserungen an Berliner Spieltagen anderswo zu Einschränkungen. Dazu Rolf Erfurt: „Um vor allem an Spieltagen in Berlin auf einigen Linien mehr Züge einsetzen zu können, müssen wir auf anderen Strecken die Kapazitäten leicht ausdünnen. Auf der U-Bahn-Linie U4 ist bei Berlin-Spielen der Takt nicht mehr so hoch, dafür fahren aber längere Züge. Auf den anderen betroffenen Strecken greifen unsere Disponenten je nach Bedarf ein und verlängern die Taktzeiten minimal. So kann es vorkommen, dass statt alle vier alle viereinhalb Minuten eine U-Bahn kommt.“ Auf dem Streckenast der U1 zwischen Wittenbergplatz und Uhlandstraße ruht der U-Bahn-Verkehr an solchen Tagen ganz.
Bereit für die Fan-Massen: der U-Bahnhof Olympia-Stadion
Schon vor der EM klagten Fahrgäste vermehrt darüber, dass U-Bahn-Fahrten ausfallen und U-Bahnzüge kürzer sind als gewohnt. Weiterhin wird berichtet, dass auf der stark frequentierten U1 sehr oft fast nur noch Vier-Wagen-Züge verkehren. Auf der U7 und U9, zwei weiteren Hauptlinien im Berliner U-Bahnnetz, dehnen sich die Pausen zwischen den Zugfahrten zuweilen auf zehn Minuten und länger. Die Folgen sind in allen Fällen dieselben: Reisepläne scheitern, die Fahrgäste verpassen Anschlüsse. Und wenn die U-Bahn endlich kommt, ist sie oft schon voll. Keine Werbung, um vom Auto umzusteigen.
Kleinprofil: So heißen die Linien U1 bis U4 wegen ihrer relativ schmalen Tunnel. „Schon in den vergangenen Wochen war die Situation auf Kleinprofillinien wie der U1 herausfordernd – für die Fahrgäste und für uns“, bestätigt der Betriebsvorstand. „Züge verkehrten mit weniger Wagen als gewohnt. Vermehrte Ausfälle wegen Graffiti sind ein Faktor. Hauptgrund ist aber, dass die neuen U-Bahnen noch nicht da sind, die Fahrzeuge fehlen uns. Und weil wir die neuen Fahrzeuge aktuell auf Herz und Nieren prüfen, wird der Einsatz im Fahrgastbetrieb wohl erst Ende 2024 oder Anfang 2025 beginnen.“ Das Defizit schwankt von Tag zu Tag, zuletzt fehlten rund 20 Kleinprofilwagen.
Die U-Bahn ist der wichtigste Nahverkehrsträger in Berlin - allein im vergangenen Jahr wurde sie für fast 530 Millionen Fahrten genutzt. Doch lange Zeit wurde zu wenig investiert, weil der Senat sparte. Obwohl die Zahl der U-Bahn-Fahrgäste seit 2007 um 17 Prozent stieg, wurde die Flotte danach um 68 Wagen reduziert. Das Durchschnittsalter der Fahrzeuge nahm immer weiter zu - 2019 summierte es sich auf rund 28 Jahre.
In jenem Jahr gab die BVG endlich grünes Licht für eine große Investition. Sie unterzeichnete einen drei Milliarden Euro schweren Rahmenvertrag für bis zu 1500 Wagen. Der Pankower Ableger des Schweizer Schienenfahrzeugherstellers Stadler bekam den Auftrag. Doch Alstom zog vor die Vergabekammer und dann vors Kammergericht. Als das Gericht im März 2020 die Rüge abwies, kam Corona: Während der Pandemie zerbrachen Lieferketten, Material war nicht verfügbar. „Einer unserer Zulieferer kaufte im großen Stil Waschmaschinen, um die von uns benötigte Halbleiter auszubauen“, erinnert sich Stadler-Chef Jure Mikolčic. Doch der Zeitplan geriet immer weiter aus den Fugen. Zwar hat Stadler im Januar 2024 die ersten Wagen geliefert, auch ein zweites Fahrzeug ist jetzt da. Doch der Einsatz beginnt erst, wenn sich die BVG völlig sicher ist.
Auch bei den Wagen für die Linien des Großprofils U6 bis U9 stehen die Werkstätten vor Herausforderungn – allerdings anderen als beim Kleinprofil. „Wir haben an einigen Radsätzen einen außergewöhnlich hohen Verschleiß festgestellt“, so Erfurt. Betroffen sind die Baureihen F84 bis F92. „Daher müssen diese Fahrzeuge häufiger in die Werkstatt, wo die Radsätze auf die Drehbank kommen. Das führt jedoch zu Einschränkungen und auch Ausfällen auf den Linien U6 bis U9.“ Dem Vernehmen nach sind knapp 50 Wagen des Großprofils von Radsatzverschleiß betroffen – zuletzt war von 48 die Rede. Nur auf der U5 sei das Wagenangebot ausreichend, betonte die BVG.
In früheren Jahren konnte die BVG U-Bahnen durch den Waisentunnel, der in Mitte die Spree unterquert, auf der Schiene über die U8 zur U5 bringen. An dieser Linie befindet sich die Betriebswerkstatt Friedrichsfelde. Weil der Tunnel aber seit 2016 wegen Baufälligkeit gesperrt ist, müssen die Lücke auf der Straße mit Lastwagen („Culemeyer“) überbrückt werden. Doch weil der U-Bahn-Transport aufwändig und kostspielig ist, liegt die Hauptlast derzeit auf der Betriebswerkstatt Britz. Dort stauen sich die Wagen.
Auch in Britz arbeiten die Techniker mit Hochdruck, wobei es derzeit vor allem darum geht, die Fehlerursache zu finden, heißt es bei der BVG. Das Zusammenspiel zwischen Rad und Schiene, das in diesen Fällen offenbar nicht so funktioniert wie sonst, sei ein komplexes Thema. Auch der Fahrweg könnte eine Rolle spielen. So halten es die Techniker für denkbar, dass auf Abschnitten die Schienen geschliffen werden müssen.
Während auf den betroffenen vier Großprofillinien laut Erfurt zurzeit keine Fahrplanausdünnungen in Sicht sind, kommen auf die Nutzer der Linien U1 bis U4 weitere Einschränkungen zu. „Unsere Werkstattteams bemühen sich mit Erfolg, die alten Kleinprofilwagen am Laufen zu halten. Keine leichte Aufgabe bei Fahrzeugen, die zum Teil 60 Jahre alt und älter sind. Doch es bleibt eine Lücke“, bedauert Rolf Erfurt.
„Deshalb sprechen wir mit der Senatsverkehrsverwaltung über minimale Taktanpassungen auf den Linien U1 bis U4, die kurzfristig das System stabilisieren und den Fahrgästen ein berechenbares Angebot bieten. Schon geringe Taktanpassungen können dafür sorgen, dass wir dann längere Züge einsetzen können“, so der BVG-Manager. Geprüft würden „gezielte Anpassungen an den Zuglängen sowie punktuell am Fahrplan“, teilt das Unternehmen mit. Welche Linien betroffen sein werden, soll bald mitgeteilt. Die Angebotsveränderungen sollen noch im Juli in Kraft treten.
„Eine schwierige Situation“, kommentierte Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB. Es räche sich, dass jahrelang versäumt wurde, in neue Fahrzeuge zu investieren und die überalterte Flotte zu erneuern. „Unter Finanzsenator Thilo Sarrazin lautete das Motto: Sparen, bis es quietscht. Und so ist es gekommen: Die Berliner U-Bahn quietscht an allen Ecken und Enden.“