Riedls Dax-Radar: Sicherheitspolster gegen böse Wahlüberraschungen
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Während französische Turbulenzen die Börsen in Atem halten, locken die Deutsche Telekom oder Covestro mit Extragewinnen. Selbst Absturzaktie Airbus könnte mittelfristig wieder Luft unter den Flügeln bekommen.
Im Vorfeld der Parlamentswahl in Frankreich hält sich der Dax erstaunlich gut.
Zwar war der deutsche Aktienindex in den Tagen nach der EU-Wahl vom 9. Juni zeitweise auf 18.000 Punkte abgerutscht, konnte sich seitdem aber wieder in den Bereich um 18.300 erholen. Zu den Topkursen von Mitte Mai ist das nur noch ein Abstand von drei Prozent.
Ganz anders sieht das in Frankreich aus. Der maßgebliche Aktienindex CAC 40, der bis kurz vor der EU-Wahl deckungsgleich zu dem ebenfalls ohne Dividenden berechneten Dax-Kursindex lief, ist mit der Ankündigung überraschender Parlamentswahlen nach unten weggekippt: Bei einem Stand von 7500 Punkten notiert er neun Prozent unter seinem jüngsten Hoch.
Dazu gibt es weitere Schwächesignal: Schon zwischen Februar und Mai hat der CAC 40 eine typische obere Wendeformation gebildet, die er durch den Rutsch unter 7900 mit einem Verkaufssignal bestätigt hat. Aktuell schwankt der CAC gefährlich um die 200-Tage-Durchschnittslinie sowie den seit Anfang 2022 bestehenden mittel- bis langfristigen Aufwärtstrend. Ein weiterer, womöglich sogar schneller Rückgang der französischen Aktien in den Bereich um 7000 Punkte wäre bei einer solchen Konstellation kein Wunder.
Geht es nach der aktuellen Verfassung des französischen Aktienmarkts, ist für die anstehenden Wahlen an diesem und am nächsten Wochenende eher mit einem ungünstigen Ausgang für Staatspräsident Emmanuel Macron zu rechnen als mit einer positiven Überraschung. Marine Le Pen und ihr Rassemblement National liegen in den Prognosen vorn.
Ein solches Ergebnis dürfte dann auch den Dax mit nach unten ziehen. Doch der hat im Gegensatz zu seinem französischen Pendant ein Sicherheitspolster: Allein zur Durchschnittslinie der vergangenen 200 Börsentage, die den mittel- bis langfristigen Trend markiert (und die derzeit bei 17.009 Punkten verläuft), hat der Dax aktuell sieben Prozent Abstand. Zudem liegt knapp unter der 200er-Linie der seit Sommer 2022 bestehende Aufwärtstrend; eine weitere Absicherung.
Selbst wenn sich die Korrektur im Dax also noch etwas fortsetzt und deutsche Aktien noch einmal absacken, wäre die Aufwärtsbewegung hierzulande noch nicht gebrochen. So gesehen spricht derzeit viel dafür, dass die Situation in Frankreich für den Dax eine temporäre Belastung darstellt, aber keine neue Richtungsentscheidung nach unten.
Airbus: Kursabsturz oder Chance für Neueinsteiger?
Ausgerechnet die Aktie des Unternehmens, die wie keine andere für die in Europa zentrale deutsch-französische Zusammenarbeit steht, und die sowohl im Dax als auch im CAC 40 ein maßgebliches Gewicht hat, ist in Turbulenzen geraten: Flugzeugbauer Airbus. Mit heftigen Kursabschlägen quittiert die Börse derzeit unerwartete Abschreibungen in der Raumfahrtsparte, Lieferprobleme im klassischen Flugzeuggeschäft sowie die Aussicht auf einen niedrigeren Gewinn 2024.
In nur zwei Tagen verlieren Airbus-Aktien mehr als 15 Milliarden Euro an Börsenwert. Der Abschlag ist verständlich, galten die Flugzeugbranche (das Kerngeschäft von Airbus) und das Rüstungsgeschäft (Airbus macht hier mehr Umsatz als Rheinmetall) bis vor kurzem als ausgesprochenes Wachstumsgebiet.
Nun aber erweisen sich die schon seit längerem schwierigen Geschäfte in der Raumfahrsparte als unerwartet zäh. Dazu kommt im Kerngeschäft die Aussicht auf weniger Auslieferungen. Insgesamt könnte dies den Nettogewinn des Flugzeugkonzerns in diesem Jahr von bisher erwarteten 4,5 Milliarden Euro in Richtung vier Milliarden drücken.
Ein Drama wäre das eigentlich nicht. Zwischen 3,8 und 4,2 Milliarden Euro netto betrugen in den vergangenen Jahren die Top-Ertragszahlen von Airbus. Allerdings deuten die massiven Kursgewinne seit Ende 2022 darauf hin, dass die Börse sich ursprünglich schon ein Stück mehr erwartet hatte. Dieser Optimismus muss sich jetzt erst einmal abkühlen. Das kann nach den schnellen Kursgewinnen bis ins Frühjahr hinein nun einige Monate in Anspruch dauern.
Immerhin, bei Notierungen zwischen 120 und 130 Euro wird Airbus von der Umsatzbewertung nur noch auf dem Niveau des kriselnden Konkurrenten Boeing gehandelt. Dabei ist Airbus wesentlich stärker im Markt und rentabler in der Performance. So gesehen könnte die Bandbreite 120 bis 130 Euro die Auffangzone für Airbus-Aktien werden. Mit fast sieben Prozent Indexanteil im Dax käme eine Stabilisierung des Flugzeugbauers dann auch dem Gesamtmarkt besonders zugute.
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Deutsche Telekom auf dem Sprung über die Hürde bei 23 Euro
Zu den stärksten Aktien im Dax zählt derzeit die Deutsche Telekom. Das passt gut ins Umfeld der allgemein schwierigen Markttendenz, da die Telekom einer der typischen Defensivwerte ist, der seine Qualitäten vor allem in wackligen Börsenzeiten ausspielt. Zuletzt zeigte sich das im schwachen Börsenjahr 2022, in dem der Dax von 16.000 auf 12.000 Punkte absackte, die Telekom aber von 16 auf 19 Euro zulegte.
Aktuell geht es um das wichtige Niveau bei 23 Euro. Hier lagen nicht nur seit 2023 die jüngsten Hochpunkte; hier kam es in den frühen Phasen der Telekom in den Jahren 1998 und 2001 zu monatelangen Konsolidierungen.
Die operative Entwicklung ist in Ordnung. Mit Netzausbau und Glasfaseranschlüssen geht es voran; im Mobilfunk ist die Zahl der Kunden vor allem dank der erfolgreichen US-Tochter zuletzt auf 255,8 Millionen gestiegen. Der Umsatz erhöhte sich im ersten Quartal zwar nur leicht um 0,4 Prozent; der um Sondererträge bereinigte Nettogewinn aber kletterte um 14 Prozent auf 2,2 Milliarden Euro. Bis Jahresende könnte damit der bereinigte Vorjahreswert von 7,9 Milliarden Euro knapp übertroffen werden.
Für 2025 kalkulieren Analysten dann mit mehr als 8,5 Milliarden Euro Nettogewinn, für 2026 werden sogar 10 Milliarden Euro erwartet. Bei einer solchen Entwicklung sollte die Telekom nicht nur ihren Schuldenberg von 133 Milliarden Euro langsam abbauen; auch die zuletzt nicht mehr ganz so überdurchschnittliche Dividende sollte schrittweise erhöht werden.
Telekom-Aktien haben gute Chancen, die Hürde um 23 Euro nachhaltig zu nehmen. Die große Aufwärtsbewegung der Telekom, die 2013 zwischen acht bis zehn Euro begann, ist unverändert intakt und könnte in den nächsten Jahren Notierungen um 30 Euro möglich machen.
Covestro: Der Kurspoker um die Übernahme läuft
Unabhängig von der allgemeinen Indextendenz verläuft derzeit die Kursentwicklung bei Kunststoffkonzern Covestro. Grund sind die Gespräche mit dem arabischen Ölkonzern Adnoc, der Covestro in seinen Verbund eingliedern will. Angedacht ist derzeit ein Kaufpreis von 62 Euro je Aktie. Bei 189 Millionen Anteilen geht es um einen Gesamtwert von 11,7 Milliarden Euro.
Angesichts von 14,6 Milliarden Euro Umsatz, die Banken im Schnitt derzeit von Covestro für dieses Jahr erwarten, entspräche der Kaufpreis einer 0,8-fachen Umsatzbewertung. Im Branchenvergleich ist das gar nicht einmal wenig. Chemieprimus BASF kommt derzeit an der Börse auf das 0,6-Fache, die niederländische Lyondellbasell auf das 0,7-Fache. Im Gegensatz zu Covestro sind beide dazu auch deutlich rentabler. Mit einem Faktor von 0,3 wesentlich günstiger zu haben ist Spezialchemiker Lanxess. Doch der steckt auch tief in den roten Zahlen und dürfte in diesem Jahr nach Analystenschätzungen mehr als 150 Millionen Euro Verlust einfahren.
So gesehen ist das Sparprogramm, das Covestro aktuell forciert, in den Verhandlungen mit Adnoc eine wichtige Stärkung der eigenen Position. Es signalisiert, dass Covestro zwar noch in einer Phase schwacher Gewinne steckt, mittelfristig aber das Zeug zu einer wesentlich höheren Rendite hat. Ob diese Aussichten indes ausreichen, dann letztlich den Preis weit über die im Raum stehenden 62 Euro zu treiben, ist zweifelhaft. Das dürfte auch der Grund sein, warum die aktuelle Börsennotiz derzeit nur bei 55 Euro liegt.
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Für diejenigen, die bei Covestro schon an Bord sind, könnte es im Rahmen der nun angelaufenen Verhandlungen mit dem Kurs durchaus noch etwas nach oben gehen. Ein Scheitern der Übernahmegespräche, die den Aktienkurs kurzfristig wieder deutlich zurückfallen lassen könnten, sollte wenig wahrscheinlich sein. Angesichts der fortgeschrittenen Gespräche wäre das für beide Seiten ein Gesichtsverlust. Neu aufzuspringen auf den Zug indessen ist wesentlich riskanter, da der Markt den Übernahmeaufschlag substanziell schon im vergangenen Jahr eingepreist haben dürfte.
Fazit für den Dax: Die Angst vor Turbulenzen in Frankreich, neben Deutschland das wirtschaftliche Kerngebiet der EU, hat den Dax unter den wichtigen Kursbereich um 18.500 Punkte gedrückt. Und sollte es in Frankreich zu einem ungünstigen Wahlausgang kommen, wäre ein weiterer Rückgang möglich. Dafür allerdings besteht im Dax genügend Spielraum, der notfalls bis in den Bereich um 17.000 Punkte hinab reicht. Damit sollte der deutsche Aktienmarkt seine grundlegende Aufwärtstendenz bewahren – egal, wie die Wahl in Frankreich ausgeht.
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