Was tun, wenn sich nach der Nationalratswahl keine Koalition findet?
Wer nach der Nationalratswahl im Herbst auf der Regierungsbank Platz nehmen wird, ist unklar.
Wien – Der jüngste Streit in der türkis-grünen Regierung lässt erahnen, wie schwierig die Bildung einer Koalition nach der kommenden Nationalratswahl werden könnte. Zuletzt hat Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) ausgeschlossen, nach der Wahl noch einmal mit den Grünen zu koalieren. Aber auch mit der FPÖ unter Parteichef Herbert Kickl wollen die Türkisen derzeit nicht regieren. Die SPÖ unter dem Parteivorsitzenden Andreas Babler kann sich wiederum eine Zusammenarbeit mit der ÖVP nur schwer vorstellen, eine Koalition mit der FPÖ ist für die Roten parteiintern tabu – genauso wie bei Neos und Grünen.
Eine Regierung aus nur zwei Parteien geht sich aktuellen Umfragen zufolge nur mit FPÖ-Beteiligung aus. Viele Koalitionsvarianten bleiben somit nicht mehr übrig. Was passiert, wenn sich nach der Wahl keine mehrheitsfähige Koalition findet? Ein Überblick über mögliche Szenarien.
- Neuwahlen: Der einfachste Ausweg aus einer Pattsituation wäre, die Wahl noch einmal durchführen zu lassen – mit der Hoffnung, dass es nach dem erneuten Urnengang eine klarere Ausgangsposition gibt. Ein Beschluss mit einfacher Mehrheit im Nationalrat reicht dafür aus. Die aktuelle türkis-grüne Koalition würde in diesem Szenario weiter im Amt bleiben – so lange, bis Bundespräsident Alexander Van der Bellen eine neue Regierung angelobt oder der Nationalrat mit einfacher Mehrheit der Regierung das Misstrauen ausspricht. Das ist bei neuen Mehrheitsverhältnissen im Parlament kein unrealistisches Szenario. Für diesen Fall müsste sich Van der Bellen Gedanken im Hinblick auf eine Übergangsregierung machen.
- Expertenregierung: Kommt keine Regierung zustande und wird daher erneut gewählt, könnte Van der Bellen wie schon 2019 eine Expertenregierung angeloben. Der Vorteil: Die Regierungsmitglieder gehören keiner Partei an und wären "neutral". Somit könnten sich die Parlamentsparteien darauf verständigen, die Expertenregierung so lange zu akzeptieren, bis eine neue, gewählte Regierung gefunden wird. Als dauerhafte Lösung würde sich eine Expertenregierung aber wohl kaum etablieren können, da die Parteien selbst an den Hebeln der Macht sitzen und gestalten wollen.
- Freies Spiel der Kräfte: Während nach einer neuen Regierung gesucht wird, muss das Parlament nicht unbedingt stillstehen. Die Erfahrungen aus dem Jahr 2019 haben gezeigt, dass die Parteien im Plenum Allianzen bilden können – unabhängig von einer Experten- oder Übergangsregierung. Unter anderem wurden 2019 die Valorisierung des Pflegegeldes und das Rauchverbot in der Gastronomie im Spiel der freien Kräfte beschlossen. Kritik an den Beschlüssen im koalitionsfreien Raum sind aber die hohen Kosten: Das freie Spiel der Kräfte wurde in der Vergangenheit oft dafür genutzt, um Wahlzuckerln vor dem Urnengang zu streuen. Auf das Budget wurde dabei wenig geachtet.
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Minderheitsregierung: Eine Minderheitsregierung gab es in Österreich erst einmal, und zwar 1970 unter SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky. Die Roten hatten also keine Mehrheit im Parlament, stellten aber dennoch alle Ministerinnen und Minister. Gestützt wurde diese Regierung von der FPÖ, die SPÖ versprach den Freiheitlichen im Gegenzug eine Reform des Nationalratswahlrechts.
Ähnlich könnte – zumindest theoretisch – auch eine Regierung nach der Nationalratswahl im Herbst funktionieren: Zwei Parteien einigen sich auf ein Koalitionspapier, eine dritte Partei duldet die Regierung im Parlament und bekommt dafür inhaltliche Zugeständnisse. Diese Variante verspricht aber wenig Stabilität, denn der dritte Partner kann jederzeit abspringen und die Regierung mit einem Misstrauensvotum sprengen.
- Vielparteienregierung: Ein Koalitionspapier nicht zwischen zwei, sondern mindestens drei Parteien: Das wäre ein historisches Experiment. Eine Dreier- oder gar Viererkoalition hat es in Österreich noch nicht gegeben, sie könnte aber nach der nächsten Wahl notwendig sein. Regierungen mit mehreren Parteien sind generell instabiler, und eine Zusammenarbeit zwischen den Koalitionspartnern ist schwieriger.
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Blockade des Bundespräsidenten: Findet schließlich doch eine Regierung zusammen, liegt die letzte Entscheidung beim Bundespräsidenten. Bis zuletzt ließ Van der Bellen offen, ob er einen Kanzler Kickl angeloben würde, DER STANDARD berichtete. Einigen sich also etwa ÖVP und FPÖ auf ein Koalitionspapier, könnte Van der Bellen die Angelobung verweigern.
Wenn Türkis-Blau eine Mehrheit im Parlament besitzt, Neuwahlen verweigert und auf die Angelobung beharrt, könnte es zu einer echten Pattsituation kommen. Ein recht unwahrscheinliches Szenario wäre dann, dass Türkis-Blau versuchen könnte, den Präsidenten per Volksabstimmung zu stürzen – was einer Staatskrise gleichen würde. (Max Stepan, 28.6.2024)