Generalinspekteur: Russland in fünf bis acht Jahren bereit für Angriff auf NATO
Generalinspekteur Carsten Breuer, hier beim Tag der Bundeswehr am 8. Juni
Es war eine eindringliche Warnung, die Deutschlands oberster Soldat, Generalinspekteur Carsten Breuer, an seine künftigen Führungsleute richtete. Sie sollten sich eine Linie in den Kalender im Jahr 2029 ziehen, rief er den jungen Soldatinnen und Soldaten an der Führungsakademie der Bundeswehr zu. In fünf bis acht Jahren habe Russland seine Streitkräfte so weit wiederaufgebaut, dass es NATO-Territorium angreifen könne.
Bis 2029 wolle es rund 1,5 Millionen aktive Soldaten haben und damit die personelle Vorkriegsstärke verdoppeln – alle EU-Staaten zusammengenommen verfügen laut Breuer über 1,3 Millionen. Russland produziere jedes Jahr 1500 Kampfpanzer – so viele wie die fünf stärksten NATO-Nationen gemeinsam im Bestand hätten.
„Wir haben rund 300, bisschen weniger.“ Bis 2029 müsse die Bundeswehr in der Lage sein, einen möglichen russischen Angriff abzuwehren. „Und wenn es sein muss, werden wir heute Nacht schon losgehen.“
Verteidigung auch im Weltraum
Breuer durchlief einst selbst die Generalstabsausbildung an der Führungsakademie in Hamburg. Am Mittwoch schaute er sich die Arbeit des aktuellen Jahrgangs an. Zwei Jahre dauert die Ausbildung. Die rund 120 Soldatinnen und Soldaten, darunter auch einige aus anderen NATO-Staaten, forschen in der Zeit zu militärischen Problemstellungen, erarbeiten Analysen und Lösungsvorschläge. Man kann sich für den Lehrgang nicht bewerben, sondern wird vorgeschlagen. Viele der Teilnehmer kommen später in Führungspositionen.
Seit 2017 ist die „FüAk“, wie sie bei der Bundeswehr genannt wird, dem Generalinspekteur unterstellt. Der gibt jedem Jahrgang ein Thema vor. Zuletzt waren das der Indopazifik oder die gesamtstaatliche Risikovorsorge. Der Jahrgang, der in diesem Jahr abschließt, hat die Verteidigung im Weltraum zum Thema.
Breuer sagte dazu am Mittwoch, Verteidigung im Weltraum sei ein Baustein von Kriegstüchtigkeit. An dem Tag präsentierten die Jahrgangsteilnehmer ihre Ergebnisse in Form von Diskussionsrunden zusammen mit Vertretern von Bundesnachrichtendienst, Forschung, Ministerien und Industrie. Dabei ging es etwa um die künftige Kriegsführung, die Angst vor Weltraumschrott aber auch um die Bedeutung des Weltraums für gegenwärtige Konflikte.
Nervenzentrale für die vernetzte Kriegsführung
Erkenntnis durchgehend: Der Weltraum ist entscheidend für eine erfolgreiche Kriegsführung. Aber Deutschland ist in dem Bereich alles andere als gut aufgestellt. „Ohne Unterstützung aus dem Weltraum stünden wir auf verlorenem Posten“, sagte Konteradmiral Ralf Kuchler, der Kommandeur der Führungsakademie. Zugleich betreffe der Weltraum alle und das unmittelbar, etwa wenn es um Satellitennavigation, Wetterprognosen und Zahlungsvorgänge gehe.
Falle die Weltraumfähigkeit weg, würden technische Vorteile und moderne Waffensysteme irrelevant, hieß es bei einer Diskussion zum Thema „künftige Kriegsführung“. Die technische Überlegenheit des Westens im Weltraum sei Vergangenheit. Das zeige allein der Abschuss eines Satelliten durch Russland im November 2021, der eine Wolke aus Weltraumschrott verursachte. Zugleich sei der Weltraum eine Art „Nervenzentrale“ für Multi-Domain Operations (MDO), also für die vernetzte Kriegsführung über alle Bereiche hinweg.
Allerdings werde die Bundeswehr in dem Bereich „keine riesigen Sprünge machen angesichts des Budgets “, sagte ein Soldat. Über „realistische Wettbewerbsfähigkeiten“ müsse man nicht sprechen. Und weiter: „Wir haben ja noch nicht mal das Bewusstsein, wo wir überall Abhängigkeiten haben.“ Einigkeit bestand, dass Deutschland in dem Bereich Weltraumfähigkeiten rüsten müsse.
Nicht auf Mitleid von Elon Musk hoffen
Die zwei Kommunikationssatelliten, über die die Bundeswehr verfüge, seien „natürlich ein bisschen wenig“, sagte Vizeadmiral Thomas Daum, Inspektor des „Cyber und Informationsraums“ der Bundeswehr. Besser als der Einsatz von derlei wenigen großen „Bussen“ im Weltraum seien viele kleinere und damit billigere Satelliten.
Einigkeit bestand auch darüber, dass die Bundesregierung zu normativ an das Thema Weltraum herangehe. Vielmehr sei es notwendig, sich auf die Realitäten einzustellen. „Oder sollen wir auf Mitleid von Elon Musk hoffen, wenn es so weit ist“?, fragte einer.
Tesla-Chef Elon Musk sitzt auch dem Raumfahrtunternehmen SpaceX vor, das ein riesiges Netz von Satelliten betreibt („Starlink“). Für die Ukraine spielt es eine große Rolle bei der Abwehr des russischen Angriffskriegs. Diese Kommerzialisierung des Weltraums („New Space“) werde zunehmen, hieß es wiederholt. Das könne aber auch ein Vorteil sein.
Kritik an europäischer Strategie für den Weltraum
Es brauche eher Partnerschaften als nationale Souveränität im Weltraum, sagte Patrick O’Keeffe, der am Centre of Excellence der NATO arbeitet. Wobei der Vertreter eines Raumfahrtunternehmens darauf hinwies, dass in Deutschland Geld und technische Möglichkeiten eigentlich vorhanden, die Regularien aber ein „Albtraum“ seien.
In Europa fühle es sich an, „als hätte sich der Weltraum angeschlichen“, sagte Juliana Süß vom Royal United Services Institute (RUSI), einem britischen Thinktank zu Verteidigungsfragen. In der Nationalen Sicherheitsstrategie Deutschlands werde dem Thema eine Seite gewidmet, in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie neun Seiten, so Süß. Und was die Weltraumsicherheitsstrategie angehe, wisse man immer noch nicht, wann sie komme.
Darin will die Bundesregierung Leitlinien für den Weltraum festhalten, etwa einen Ausbau der Fähigkeiten zur Lageerkennung. Angekündigt war eine Veröffentlichung der Strategie für das erste Quartal 2024. Nun gelte vermutlich der Herbst, sagte ein Vertreter des Verteidigungsministeriums. „Wir arbeiten mit vereinten Kräften daran.“