Sozialleistungen: Was es wirklich bringen würde, das Bürgergeld für Ukrainer zu begrenzen
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Ukrainer raus aus dem Bürgergeld? Die Bundespolitik reagiert auf ein Thema, das viele Menschen umtreibt: ob es in Deutschland noch etwas zu verteilen gibt. Nur dürften die Vorschläge wenig Geld einsparen. Ein Kommentar.
Der Titel lieferte die Begründung gleich mit. „Lehre aus der Europawahl ziehen – Neue Grundsicherung statt Bürgergeld“ überschrieb die CDU/CSU-Fraktion gerade eine Aktuelle Stunde, die sie im Bundestag anberaumt hatte. Dass seit dem Wochenende mehrere Debatten ums Bürgergeld schwelen, ist ein Symptom: Offensichtlich sind Bürgerinnen und Politiker zunehmend der Meinung, dass es in Deutschland nichts mehr zu verteilen gibt. Jedenfalls nicht für alle.
Die Vorschläge konzentrieren sich vor allem auf die Menschen, die seit dem Angriff Russlands aus der Ukraine in die Bundesrepublik geflüchtet sind. Ukrainische Männer im wehrfähigen Alter, die in Deutschland dem Kriegsdienst entgehen, sollen kein Bürgergeld mehr erhalten, fordert Bayerns CSU-Innenminister Joachim Herrmann. Neu ankommende Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sollen künftig statt in den Bürgergeldbezug unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen, regt wiederum FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai an. Und der parlamentarische Geschäftsführer der Union, Thorsten Frei, fordert gleich ein Ende der Bürgergeldzahlungen an ukrainische Flüchtlinge. Nur der Vorschlag der SPD ist etwas breiter: Sie plant offenbar, allen Bürgergeldbeziehenden, die bei der Schwarzarbeit erwischt werden, die Leistung vollständig zu streichen.
Damit reagiert die Bundespolitik nun geballt – und nicht zufällig nach den Ergebnissen der Europawahl, nach der Ukrainekonferenz und während der Haushaltsverhandlungen – auf ein Thema, das für viele Menschen längst ein großes ist.
Es gibt zum einen die Fakten. Etwa, dass eine deutliche Mehrheit der Bürgergeldbeziehenden einen Migrationshintergrund hat, nämlich gut 63 Prozent. In Hamburg, Baden-Württemberg und Hessen sind es sogar mehr als 70 Prozent. Von den knapp 2,5 Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Migrationshintergrund haben etwa zwei Millionen Menschen eine „eigene Migrationserfahrung“, das ergab die Befragung der Bundesagentur für Arbeit. Sie sind also beispielsweise selbst aus der Ukraine oder Syrien nach Deutschland gekommen.
Hinzu kommt die anekdotische Evidenz. Menschen, die in ihrer Nachbarschaft teure Autos mit ukrainischen Kennzeichen wahrnehmen. Die Ukrainer und Ukrainerinnen bei sich aufnahmen und erzählen, ihre Gäste seien zusätzlich zum Bürgergeldbezug schwarz weiter ihren Jobs in der Ukraine nachgegangen. Wieder andere berichten, die neuen Untermieter hätten ihnen vorgerechnet, es lohne sich nicht zu arbeiten. Manche Jobcenterchefs und Ukrainerinnen berichten zudem von Rumänen oder Ungarn, die zusätzlich ukrainische Pässe hätten und darüber versuchten, Sozialleistungen zu beziehen.
All das summiert sich zu einer gefühlten Wahrheit, die sich nun in der politischen Wirklichkeit niederschlägt. Nur erscheint das Ergebnis dieser Debatten ebenso erwartbar: ein scheinbar härteres Verhalten gegenüber Menschen, die Bürgergeld bekommen, um den Ärger vieler Bürgerinnen und Bürger zu besänftigen – das aber insgesamt kaum Geld einsparen dürfte.
Derzeit halten sich etwa 200.000 ukrainische Männer im wehrpflichtigen Alter in Deutschland auf. Insgesamt sind es aber mehr als 1,1 Millionen Landsleute. Und auch Asylbewerberinnen und Asylbewerber erhalten in Deutschland Leistungen, die Geld kosten.
Die Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft wiederum fordert, die Anzahl der Einsatzkräfte von etwa 9000 auf 15.000 aufzustocken, um den Kontrolldruck in Branchen zu erhöhen, wo Bürgergeldregeln besonders häufig umgangen werden. Auch das wird nicht billig (sofern man das Personal denn findet).
Deshalb braucht es eine politische Lösung, die den Namen verdient. Es ist richtig, ein bestehendes System immer wieder zu überprüfen und gegebenenfalls neu auszutarieren. Ein Ansatz könnte sein, noch einmal genauer festzulegen, wie schnell und wie entschlossen jemand dazu angehalten wird, eine zumutbare Arbeit anzunehmen. Und was daraus folgt, wenn dies abgelehnt wird. Womöglich kann dann davon ausgegangen werden, dass diese Menschen anderweitig versorgt sind und keine Leistungen benötigen. Sozial zu sein heißt eben nicht, naiv zu sein.
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