Doppelleben mit Stöckelschuhen
Mit rotem Kleid: Szene mit Robert Marx als Michael Dorsey
Was vor dreißig Jahren noch ein harmloser Spaß war, kann heute nicht mehr so ohne Weiteres auf einer Bühne gezeigt werden: Ein Mann, der sich als Frau verkleidet und mit Piepsstimme und Stöckelschuhen weniger eine Frau als das ranzige Klischee einer Mutti spielt, mag heute niemand mehr sehen. Oder doch? Erst vor wenigen Jahren feierte David Yazbeks Musical „Tootsie“, basierend auf dem Dustin-Hoffman-Film von 1982, Premiere am Broadway und erhielt 2019 den Tony Award für das beste Musical des Jahres. Bei den Burgfestspielen Bad Vilbel kann man mit großem Vergnügen anschauen, wie der Stoff auch heute noch ohne alle Peinlichkeit umgesetzt werden kann.
Natürlich kommt auch Robert D. Max, der in Milena Paulovics Inszenierung den arbeitslosen Schauspieler Michael Dorsey singt und ebenso überzeugend spielt, nicht ganz ohne Charlys-Tante-Anleihen aus, doch zeigt die Dorothy, in die er sich verwandelt, um die Amme in einer Musical-Version von „Romeo und Julia“ zu spielen, überzeugend untantige Charakterzüge. Bei allem Klamauk ist es gut nachvollziehbar, dass sich sowohl seine Bühnenkollegin Julie (Veronika Hörmann) wie der ansonsten nur sich selbst liebende Romeo-Darsteller Max (Michael Berres) in ihn als Frau verlieben. Die Sympathie des Publikums im Stück wie auch im Rund der Bad Vilbeler Wasserburg gehört ihm ohnehin, und man wünscht sich, dass Julie ihn auch nach seinem Outing als Mann lieben kann.
Alles plätschert operettenhaft dahin
Das liegt auch daran, dass man ihn für die köstlichen Verstrickungen, in die er durch sein Doppelleben gerät, bedauern muss. Sein Kumpel Jeff (Samuel Franco), Barkeeper und erfolgloser Theaterautor, warnt ihn in ganz wunderbaren Screwball-Comedy-Dialogen vergeblich. Mit seiner unglücklich in ihn verliebten Freundin Sandy (Verena Mackenberg), der er zu allem Überfluss auch noch die Rolle wegschnappt, verdirbt er es sich dauerhaft. Zum Trost bekommt sie immerhin Jeff und darf einen der wirkungsvollsten Songs des Musicals singen, in Bad Vilbel gleich mehrfach. Die Songs und die unter der musikalischen Leitung von Jochen Kilian live gespielte Musik sind allerdings eher der Schwachpunkt von „Tootsie“. Hier gibt es keine Ohrwürmer, keine Lieder mit Hit-Potential, kein Mitsing- oder Mitklatsch-Drang kommt auf, alles plätschert operettenhaft angereichert mit Rock-Ballade dahin, ab und an durchaus fetziger Chorgesang. Erstaunlicherweise tut dies aber dem Vergnügen keinerlei Abbruch, was sicher an den zupackenden Comedy-Dialogen liegt, die den Musical-Darstellern auch schauspielerisch einiges abverlangen. Im Text sind übrigens unaufdringlich kleine Anspielungen auf aktuelle Genderdebatten eingebaut, sogar ein paar kritische Anmerkungen zu unterschiedlichen Gagen männlicher und weiblicher Akteure. So wirkt die Story nicht wie aus der Zeit gefallen.
Die sechs Tänzerinnen und Tänzer des Ensembles (Choreographie Caroline Lusken ) bringen Bewegung und Kolorit, Pascale Arndtz’ Bühne mit viel Times-Square-Neonleuchtschrift beginnt nach Einbruch der Dunkelheit stimmungsvoll zu funkeln. „Tootsie“ funktioniert als Musical, mehr noch als unterhaltsame Comedy über männliche und weibliche Rollenbilder.
Tootsie Burgfestspiele Bad Vilbel, Wasserburg, Klaus-Havenstein-Weg 1, bis 8. September. Die nächste Aufführung ist am 17. Juni um 20.15 Uhr.