Die Ampel ringt ums Geld, die AfD fordert Neuwahlen
Die Haushaltsverhandlungen werden für die Koalition zur Zerreißprobe. Gestritten wird um Sondertöpfe, etwa für die Ukraine, Verteidigung und die Wirtschaft. Die Opposition hält die Regierung für kaum noch handlungsfähig.
Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Finanzminister Christian Lindner (FDP, v.l.) Lisi Niesner/REUTERS; Michael Kappeler(2)/picture alliance/dpa(2); Montage: WELT
Eine Woche nach den desaströsen Ergebnissen der Ampel-Parteien bei der Europawahl spitzt sich die Auseinandersetzung über die künftige Haushaltspolitik der Bundesregierung zu. Während sich SPD und Grüne am Wochenende für mehr staatliche Investitionen in Wirtschaft und Infrastruktur aussprachen und dafür neue Kredite aufnehmen wollen, verwies die FDP darauf, dass allein die Rechtslage zusätzliche Schulden verbiete.
Sie plädierte für Ausgabensenkungen im Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Auch innerhalb der Union gibt es unterschiedliche Meinungen. Die AfD forderte den Bundeskanzler auf, den Weg für Neuwahlen freizumachen.
Offiziell haben die Spitzen der Bundesregierung noch zweieinhalb Wochen Zeit, um sich auf den Entwurf eines Haushalts für das Jahr 2025 zu einigen. Zur Kabinettssitzung am 3. Juli soll der Etat vorliegen. Allerdings gibt es innerhalb der Ampel Stimmen, die es für ausreichend halten, wenn der Haushaltsentwurf „Ende Juli“ fertig ist. Eine Fristverlängerung, die der Koalitionsspitze um Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) womöglich gelegen käme. Die drei kamen am Sonntag zu vertraulichen Beratungen zusammen.
Bisher unterscheiden sich die Summen von geplanten Einnahmen und Ausgaben-Vorhaben der diversen Bundesministerien noch um eine zweistellige Milliardensumme. SPD-Chef Lars Klingbeil nannte zuletzt 30 bis 40 Milliarden Euro, die eingespart werden müssten, um die Haushaltslücke für 2025 zu stopfen. Für Klingbeil wie für die SPD-Fraktion im Bundestag ein Ding der Unmöglichkeit.
„Das Falscheste wäre ein harter Sparkurs“
Achim Post, Vize-Fraktionschef der Sozialdemokraten, betonte auf Anfrage von WELT: „Wir brauchen Investitionen in die innere Sicherheit, also die Stärkung unserer Polizei und Sicherheitsbehörden, eine leistungsfähige Bundeswehr und eine Stärkung der sozialen Sicherheit. Das umfasst etwa Investitionen in stabile Renten, gute Gesundheitsversorgung und der Kampf gegen Kinderarmut.“ Post kündigte an, „alle Wege zu prüfen, wie mehr finanzielle Mittel mobilisiert werden können“.
Auch die Schaffung von Sondervermögen, wie sie zuletzt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gefordert hatte, sei ein möglicher Weg. „Wir dürfen nicht vorschnell Optionen vom Tisch nehmen, sondern müssen jetzt angesichts von Krieg und Krisen demokratische Handlungs- und Zukunftsfähigkeit unter Beweis stellen“, so Post. Ähnlich äußerte sich der stellvertretende Fraktionschef der Grünen, Andeas Audretsch. Wie BDI-Chef Sigfried Russwurm plädierte Audretsch dafür „hunderte Milliarden Euro in die Zukunft Deutschlands“ zu investieren. „Das Falscheste wäre ein harter Sparkurs gegen alle warnenden Stimmen aus Wirtschaft und Gesellschaft.“
Dagegen lehnte der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Otto Fricke, das vom BDI vorgeschlagene Sondervermögen für Wirtschaftsinvestitionen mit Verweis auf die Rechtslage ab. „Für ein verfassungsgemäßes neues Sondervermögen bedürfte es einer 2/3-Zustimmung in Bundestag und Bundesrat. Die nötigen Mehrheiten kann ich in keiner der beiden Kammern erkennen“, sagte Fricke. Auch inhaltlich würden staatliche Investitionen und Sondervermögen in der aktuellen Debatte überschätzt, da diese „nur langfristig und träge“ wirkten.
Als Beispiele nannte Fricke den Kommunalinvestitionsförderungsfonds und den Digitalpakt Schule, bei denen zur Verfügung stehendes Geld zum Teil nicht abgerufen würde. Die Haushaltslücke im Bund gründet nach Einschätzung Fricke unter anderem auf zusätzliche Ausgaben für den Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) sowie auf Zinskosten für Staatsschulden. „Wir müssen vielmehr schauen, wie man den permanenten überproportionalen Ausgabenanstieg beim BMAS dämpfen kann, um wieder mehr Spielraum für unsere Zukunft zu haben“, so Fricke mit Blick auf die Haushaltsverhandlungen der Ampel-Koalition.
Auch in der Union gibt es beim Thema Schulden unterschiedliche Auffassungen. Während Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) in der WELT AM SONNTAG die BDI-Forderungen nach einem Sondervermögen für Wirtschaftsinvestitionen begrüßte, lehnte der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag Christian Haase den Vorstoß ab.
„Weitere Sondervermögen aufzulegen ist ja nichts anderes als noch mehr Schulden außerhalb des Bundeshaushalts zu machen“, sagte Haase und forderte stattdessen „mehr Realitätssinn und gesunden Pragmatismus“. Dazu gehöre unter anderem „Fehlanreize beim Bürgergeld“ zu beseitigen. „Der Bundeskanzler und die Ampel mit ihrer Politik sind das eigentliche Problem. Da helfen auch keine Sondervermögen“, so Haase.
AfD-Chefin Alice Weidel lehnt die Aufnahme zusätzlicher Kredite ebenfalls ab. Sie forderte die Ampel-Koalition auf, „fragwürdige Ausgaben“ aus dem Etat zu streichen. Dazu zählten „Klimaschutz- und Transformations-Programme ebenso wie unsinnige Entwicklungshilfe-Projekte und die milliardenteure Alimentierung illegaler Migranten“. Ohnehin habe die Regierung nur ein Drittel der Bürger hinter sich, sagte Weidel. „Olaf Scholz sollte den Weg für Neuwahlen freimachen.“