„Im Sommer war das Haus ein Schwitzkasten, im Winter hatten wir Eiskristalle“
Seit 82 Jahren wohnt Doris Hanschke in der Holzhaussiedlung in Niesky. Warum sie nie wegziehen wollte.
Doris Hanschke wohnt seit ihrer Geburt in der Uthmannstraße in Niesky. Sie zeigt an derselben Stelle ein aufgenommenes Foto von dem Haus ihrer Eltern, in dem sie lebt. © André Schulze
Es sind nicht mehr viele Bewohner in der Uthmannstraße und am Steinplatz in Niesky anzutreffen, die den Bau der Holzhaussiedlung miterlebt haben oder das aus der Erzählung ihrer Eltern kennen. Doris Hanschke ist eine der Grundstücksbesitzerinnen, die im elterlichen Holzhaus geboren wurde. Das war im Jahr 1942.
Auch interessant:
Sechs Jahre zuvor sind ihre Eltern in eine Doppelhaushälfte eingezogen. "Wir hatten unser Häuschen und ein großes Grundstück dazu. Das diente uns und den anderen vorwiegend zur Eigenversorgung", erzählt die 82-Jährige. Aus heutiger Sicht war das Häuschen klein und primitiv eingerichtet. Eine große Wohnküche und zwei kleine Stuben im Erdgeschoss und ein Trockenboden. Das Plumpsklo war von außen zugänglich. Nebengelass waren ein Hühnerstall und ein Schuppen.
"Wir teilten uns die Jauchegrube mit dem Nachbarn, das Wasser musste aus dem eigenen Brunnen im Garten gepumpt werden, zum Waschen gab es eine Schüssel auf dem Hocker beziehungsweise eine Zinkbadewanne, aber darin wurde nur sonnabends gebadet", ergänzt die Hausbesitzerin.
In den 1930er Jahren wurde die jüngste der Nieskyer Holzhaussiedlungen geschaffen. Es handelte sich dabei um Doppelhäuser für die Werksangehörigen, Sie mussten viel Eigenleistung erbringen, bevor sie einziehen durften. © privat
Zu siebent im Haus gelebt
Dazu kam, dass Doris Hanschke noch drei Schwestern und einen Bruder hatte, die Familie also mit sieben Personen in dem kleinen Haus lebte. "Das war noch nicht die Obergrenze, in einem anderen Haus wohnte eine Familie mit zehn Kindern. Wie die zu zwölft zurechtgekommen sind, das ist mir heute noch ein Rätsel." Dass ihre Eltern so eine Doppelhaushälfte beziehen konnte, lag daran, dass der Vater bei Christoph & Unmack beschäftigt war.
Die Holzbaufirma schuf in den 1930er Jahren eine Holzhaussiedlung für ihre Arbeiter um den Steinplatz. Beauftragt wurde damit die Schlesische Siedlungsgesellschaft Breslau. 24 Doppelhäuser wurden vorwiegend in Eigenleistung gebaut. Um die Qualität jedes Hauses zu sichern, wandte die Baugesellschaft einen Trick an: Die Interessierten bauten zusammen alle Häuser auf, erst danach wurde ausgelost, wer in welches Haus einziehen durfte. Die Häuser bekamen alle einen Keller, dessen Baugrube von Hand ausgeschachtet werden musste.
Der schon verstorbene Bewohner Hans Berger hat recherchiert, dass in den Jahren 1936 bis 1938 96 Erwachsene und 134 Kinder in die 24 Doppelhäuser eingezogen sind. Sein Vater Alfred Berger war Zimmermann bei C & U und baute fleißig mit. Die Haushälfte samt Grundstück von durchschnittlich 1.000 Quadratmetern kostete laut Hans Berger knapp 4.700 Reichsmark. Nach heutigem Wert rund 21.000 Euro. Doris Hanschke erinnert sich, dass alle Gärten gleich aussahen. "Die Siedlungsgesellschaft hatte vorgeschrieben, was anzubauen beziehungsweise zu pflanzen ist."
Fließend Wasser in den 1960er Jahren
1962 heiratetet Doris Hanschke und im Jahr darauf kaufte sie das Haus ihrer Eltern. Sie selbst zog in der Haushälfte zwei Mädchen und einen Jungen groß. Die 1960er Jahre brachten fließend Wasser ins Haus und es wurde angebaut, der Wohnraum vergrößert. Was auffällt, sind die an einigen Häusern sichtbaren weißen Plastik-Verkleidungen. "Die sind aus der Not heraus angebracht worden. Holzfarbe war in der DDR Mangelware und hatte keine Qualität. Um das Holz zu schützen wurde es verkleidet, das haben auch wir gemacht", berichtet die Nieskyerin.
Damit ging der hölzerne Charme der Siedlung verloren. Mehr noch nach der Wende, als viele Hausbesitzer die Bauwut packte und sie sich aus dem Holzhäuschen ein modernes Eigenheim schufen. Die Arbeitersiedlung wurde nicht unter Denkmalschutz gestellt und so findet sich heute kaum noch ein Haus, dass seinem Original treu geblieben ist. Doris Hanschke hält dagegen: "Wir mussten baulich etwas tun. Im Sommer war das Haus ein Schwitzkasten, im Winter hatten wir Eiskristalle an den Wänden."
Doris Hanschke fühlt sich in ihrer Haushälfte wohl. "Wir haben vieles selbst gemacht und das hält einen", sagt sie. Am Sonntag findet vor ihrer Gartentür das dritte Nieskyer Holzhausfest statt. "Da wird was los sein", ist sie überzeugt. Vielleicht bringt das Fest die Anwohner der Siedlung wieder mehr zusammen. Denn das vermisst sie als eine der ältesten Bewohner. "Man kennt schon gar nicht mehr alle Leute, die um einen wohnen", bedauert sie.
Das Holzhausfest im vergangenen Jahr fand am Konrad-Wachsmann-Haus und in der Goethestraße (im Foto) statt. © André Schulze
Was erwartet die Besucher zum Holzhausfest am Sonntag?
Das Fest findet um den Steinplatz und den angrenzenden Straßen statt und beginnt 10 Uhr. Fester Bestandteil ist der Holzlauf, der zum neunten Mal in Niesky ausgetragen wird. Start ist 11 Uhr am Steinplatz. 13.30 Uhr erfolgt an gleicher Stelle die Siegerehrung. 14 Uhr tritt der Gospelchor Niesky auf, eine Stunde später das Akrobatik-Team. "Art on Fire" heißt die Band, die ab 16 Uhr Classic Rock spielt.
Parallel findet tagsüber ein "Hölzerner Markt" auf der Schenkendorfstraße und ein Trödelmarkt in der Fichtestraße statt. Handwerker und eine Ausstellung zur Siedlungsgeschichte sind in der Uthmannstraße zu erleben. Spiele für Kinder und Erwachsene werden geboten und verschiedene Präsentationen von Vereinen, Unternehmen und Einrichtungen. Dazu können wieder Holzhäuser besichtigt werden.
Speisen und Getränke werden in der Fichtestraße verabreicht. Kunstausstellungen, Info-Stände und Kinderschminken hält die Thomas-Münzer-Straße bereit. Hier sind auch die Toiletten.
Das 4. Holzhausfest wird am 15. Juni 2025 in der Holzhaussiedlung Neu-Ödernitz gefeiert.
Auch spannend: