Drucksen, kürzen, tricksen: Wie sich die Ampel im Streit um den Etat 2025 einem Ergebnis nähert
Kann die Koalition den 17. Juli als Tag der Entscheidung im Kabinett halten? Es herrscht noch Unsicherheit. Der Kanzler will wohl am Mittwoch im Bundestag Klarheit schaffen.
Sie müssen den Streit klären: Kanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner (von rechts).
Regierungssprecher müssen geübt sein im verbalen Eiertanz. Die Disziplin verlangt ein gewisses Maß an Vorsicht. Also klingt die neue offizielle Sprachregelung der Ampelkoalition zum Stand beim Bundeshaushalt für 2025, die Steffen Hebestreit, Chefverlautbarer der Bundesregierung, am Montag verkündet hat, ein bisschen anders als noch in der vorigen Woche. Das Kabinett werde „wohl“ am 17. Juli entscheiden.
Mit „gebotener Vorsicht“ sei er aber zuversichtlich, dass es dazu komme, schob Hebestreit hinterher. Dazu passt der Satz von Christian Dürr in einem Interview mit „web.de“: Er halte nichts davon, „um ein Datum herumzutänzeln“, sagte der Chef der FDP-Bundestagsfraktion.
Das Wörtchen „wohl“ ist wichtig, denn es markiert den Unterschied zum Status quo ante und bedeutet, dass ein Quäntchen weniger Sicherheit mit der Terminbekanntgabe verbunden ist. Es trägt einen Restzweifel in sich. Eigentlich wollte die Ministerrunde schon am 3. Juli, also an diesem Mittwoch, die Regierungsvorlage abnicken. Dann wurde das Vorhaben um zwei Wochen verschoben, das war am Dienstag vergangener Woche.
Immerhin hat Hebestreit angedeutet, dass der Kanzler am Mittwoch im Bundestag, sozusagen als Ersatzhandlung, den nächsten Etat in der Regierungsbefragung thematisieren könnte. Und er lässt durchblicken, dass eine Art politische Einigung noch vor dem 9. Juli gelingen könnte – dann reist Olaf Scholz zum Nato-Gipfel. Dort möchte er wohl – man muss das jetzt so formulieren – den Partnern berichten, dass Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel des Verteidigungsbündnisses im kommenden Jahr erfüllen wird.
Dass es seit Wochen hakt bei der Aufstellung des nächsten Bundeshaushalts, hat nicht zuletzt mit dem mauen Wachstum der deutschen Wirtschaft zu tun. Zum einen, weil damit geringere Steuereinnahmen verbunden sind – ein Minus von elf Milliarden Euro gegenüber der Planung ergab die Steuerschätzung im Mai für das kommende Jahr. Was nur zum Teil kompensiert werden kann, indem Finanzminister Christian Lindner (FDP) dank der Konjunkturklausel der Schuldenbremse mehr neue Kredite aufnehmen darf.
Zweitens aber ist das Maßnahmenpaket, welches zu mehr Wachstum führen soll, in der Koalition im Verhandlungsendspurt zum 17. Juli hin noch umstritten. Es ist eines der zentralen Vorhaben im Etat 2025, auch mit Blick auf den Wahlkampf im kommenden Jahr. Lindner hat unlängst aufgelistet, worum es in dem Paket gehen soll: Maßnahmen am Arbeitsmarkt, um zu mehr Beschäftigung zu kommen, Abbau von Bürokratie, Änderungen in der Energiepolitik, mehr Investitionen in Infrastruktur, Anpassungen im Steuerrecht.
Da sind alle drei Koalitionsparteien gefragt. Das haushaltsrelevante Volumen ist unbekannt, aber es dürfte letztlich eine kleine zweistellige Summe sein. Das liegt nicht zuletzt an der von der FDP verlangten Anpassung des Steuertarifs an die Inflation über die verfassungsrechtlich gebotene Erhöhung der Grundfreibeträge bei der Einkommensteuer hinaus. Ganz generell will die FDP sich mit einem wirtschaftsfreundlichen Paket profilieren.
Es wird hart gepokert
Es wird offenbar noch hart gepokert. Weshalb der 17. Juli eben nicht ganz so sicher ist. Ein späterer Kabinettstermin in der Sommerpause, etwa Anfang August, ist nicht völlig ausgeschlossen. Der übliche Start der parlamentarischen Beratungen des Etats im September wäre dann immer noch möglich.
Wir sollten uns die erforderliche Zeit nehmen.
Christoph Meyer, FDP-Fraktionsvize
FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer sagte dem Tagesspiegel, das „Dynamisierungspaket für die Wirtschaft“ solle zusammen mit dem Haushaltsentwurf kommen. „Dafür sollten wir uns die erforderliche Zeit nehmen“, appellierte er an SPD und Grüne.
„Wirtschaftswende, innere und äußere Sicherheit und Infrastruktur haben Priorität, und das ist durch mutige und kluge Konsolidierung finanziell alles darstellbar“, sagte er mit Blick auf Forderungen aus den Reihen der Koalitionspartnerinnen. Diese besagen zusätzliche Milliardensummen über eine Notlagenerklärung im Rahmen der Schuldenbremse oder über das Auflegen eines weiteren Sondervermögens (oder das Aufstocken des bestehenden zugunsten der Bundeswehr) neben dem Etat zu mobilisieren.
Eine politische Einigung – also ein Ende des Etatstreits ohne Vereinbarungen im Detail – in den kommenden Tagen gilt als nicht ausgeschlossen. Was bedeutet, dass es Scholz, Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gelungen ist, in den seit Anfang Mai geführten Gesprächen die erklecklichen Differenzen innerhalb der Koalition zu glätten.
Etat als Chefsache
Die drei Koalitionsspitzen hatten das Verfahren an sich gezogen, nachdem mehrere Ressortchefs die Vorgaben von Lindner ignoriert und einen deutlichen Mehrbedarf angemeldet hatten. Die Sonderwünsche von Boris Pistorius (Verteidigung), Hubertus Heil (Soziales), Nancy Faeser (Inneres), Annalena Baerbock (Äußeres) und Svenja Schulze (Entwicklung) addierten sich auf eine Summe von mehr als 20 Milliarden Euro.
Dabei klaffte zwischen Einnahmen und Ausgaben schon in der Ausgangsplanung eine Lücke von etwa 15 Milliarden Euro. Zudem ergab sich wegen des wieder relativ niedrigen Strompreises eine deutlich höhere Summe, mit der erneuerbare Energien bezuschusst werden müssen – 8,8 Milliarden Euro sind es in diesem Jahr, weshalb die Rücklage im Klima- und Transformationsfonds schrumpft und somit ein entsprechender Mehrbedarf für 2025 einzuplanen ist.
Und dann kostet eben auch das Wachstumspaket Geld. So ließ sich die Herausforderung, vor der das Führungstrio vor einigen Wochen stand, auf etwa 50 Milliarden Euro beziffern. Wo die Ampel in den Verhandlungen nun gelandet ist, ist vor dem Bundestagsauftritt von Scholz an diesem Mittwoch weiter unklar – und damit auch, ob tatsächlich nur noch ein Loch von zehn Milliarden Euro verblieb, wie zuletzt der „Spiegel“ berichtet hat.
Kleinere Lücke
Aber offenbar ist es der Koalition gelungen, die Lücke zumindest deutlich zu verkleinern. Zweifellos mussten die rebellischen Ressortchefs deutliche Abstriche in ihren Wunschlisten hinnehmen. Das soll nun alles geeint sein. Außerdem dürften einige Planänderungen dazu beigetragen haben, die Lindner vornahm. So machte es die Leitzinssenkung durch die Europäische Zentralbank möglich, dass der Finanzminister für 2025 mit etwas geringeren Zinskosten kalkulieren kann als bisher.
Zudem scheint er die Verbuchung von Kursabschlägen, die der Bund beim Aufstocken älterer Anleihen mit niedrigem Zins bieten muss, auf mehrere Jahre zu strecken – bisher wurden die auf ein Haushaltsjahr konzentriert.
Andere Tricks helfen ebenfalls. Wegen des schwächeren Wachstums in diesem Jahr fehlen Steuereinnahmen, andererseits darf der Bund deswegen mehr neue Kredite aufnehmen – und zwar in Summe mehr als das Steuerminus. Deswegen kann Lindner möglicherweise einige Milliarden in der Rücklage lassen, die sich in den Überschussjahren nach 2014 angesammelt haben und welche die Ampel eigentlich in diesem Jahr schon restlos verplant hatte. Diese Restsumme kann er nun auf 2025 übertragen.
Auch die Verwendung der Mittel, die aus dem Bundesetat in Richtung Brüssel fließen, kann der Finanzminister etwas anders gestalten. Meist wandert ein Teil dieser Gelder wieder zurück, weil die EU sie nicht vollständig ausgibt. Nun könnte Lindner schon vorab weniger für die EU einplanen und damit Luft schaffen.
Ähnlich wäre es, wenn einigermaßen plausibel zu erwartende Minderausgaben der Bundesministerien schon vorab eingeplant würden – über das Instrument der „globalen Minderausgabe“, die pauschal in den Etat eingestellt wird, ohne Zuordnung zu bestimmten Ressorts, ein Kniff, den auch frühere Finanzminister gern genutzt haben.
Dass Scholz im Parlament an diesem Mittwoch schon sehr konkret wird, ist allerdings nicht zu erwarten. Sein Sprecher Hebestreit sagte am Montag, die Etatgespräche der „Koalitionsprotagonisten“ würden auch „in den nächsten Tagen laufen“.