Demokratische Partei: Sie wollen trotzdem für ihn kämpfen
Wie kommt Joe Bidens desaströser TV-Auftritt bei der demokratischen Basis an? Im Swing-State Pennsylvania wird der Wahlkampf noch mühsamer, der Zusammenhalt auch.
Nach dem TV-Duell steht Joe Biden im Dauerfeuer von Rücktrittsforderungen.
An der Decke der überdachten Veranda des Braveheart Highland Pubs drehen sich drei Ventilatoren, aber es hilft nichts. 89 Grad Fahrenheit, 31 Grad Celsius sind es, die Luft klebt an der Haut. Über den sattgrünen Hügeln und den Maisfeldern von Saucon Valley in Pennsylvania türmen sich dunkle Wolken auf. Später soll es Gewitter geben.
"Okay", sagt Victoria Opthof-Cordaro. "Wer will anfangen?"
Es ist Sonntag, Tag 128 im Countdown zur US-Präsidentschaftswahl am 5. November und Tag drei nach dem ersten TV-Duell zwischen Donald Trump und Joe Biden, jenem Duell, in dem Trump ununterbrochen gelogen hat und Biden ihm nichts entgegensetzen konnte, leise sprach, sich verhaspelte, einfror, kurz: sehr, sehr alt wirkte. Die amerikanischen Medien haben sich noch immer nicht wieder eingekriegt über die "Katastrophe". Wo man hinklickt, hinhört, hinschaut, schlägt einem seit Donnerstagabend ein Dauerfeuer von Rücktrittsforderungen entgegen. Geldgeber distanzieren sich öffentlich. Politikberater schimpfen auf Bidens Team. Die erste Reihe der Partei hingegen hält eisern stand. Besonders diejenigen, die als mögliche Nachfolger gehandelt werden, beteuern, Joe Biden "niemals den Rücken kehren" zu wollen (Gavin Newsom, Gouverneur von Kalifornien) und den Präsidenten auch weiterhin "voller Stolz zu unterstützen" (Wes Moore, Gouverneur von Maryland). Aber wie sieht das eigentlich die Parteibasis? Diejenigen, die an der Basis für Biden kämpfen müssen?
Auf der Veranda des Braveheart Highland Pubs trifft sich an diesem Sonntagnachmittag der Ortsverein der Demokratischen Partei in der Gemeinde Saucon. 20 Personen sind gekommen, die meisten zwischen 40 und 75 Jahre alt, die überwiegende Zahl Frauen. Victoria Opthof-Cordaro, eine 41-Jährige mit langen roten Haaren, ist die Vorsitzende. Bis zur Geburt ihres zweiten Kindes, das an einem seltenen Gendefekt leidet, war sie Anwältin. Heute sitzt sie im Gemeinderat und managt die Partei. Die Tagesordnung, die sie jetzt austeilt, wäre auch ohne die Sache mit dem Duell schon ziemlich lang: Die Feuerwehr ist unterfinanziert, ein neuer Polizeichef wird gesucht, und die Müllhalde soll erweitert werden. Viele Bürger, erzählt Victoria Opthof-Cordaro, sorgen sich um die Landschaft, um ihre Gesundheit – und um Unheil bringende Truthahngeier. Die Population ist rund um die Müllhalde regelrecht explodiert, und die riesigen Vögel sind bekannt dafür, Schäden anzurichten, zum Beispiel an Stromleitungen.
Im Swing-State Pennsylvania kommt es auf jede Stimme an
Außerdem waren die Demokraten im Saucon Valley auch schon vor dem TV-Duell in der heißen Wahlkampfphase. Pennsylvania ist ein Swing-State, einer jener sechs, vielleicht sieben Bundesstaaten, die die Wahl entscheiden. 2016 hat Donald Trump den Staat knapp gewonnen, 2020 hat Joe Biden gesiegt. Den Wahlkreis rund um Saucon Valley hat Biden zwar beide Male geholt – in das Abgeordnetenhaus aber entsandten die Wähler hier 2016 einen Republikaner, danach eine Demokratin. In solchen Regionen kommt es auf jede Stimme an. Die heiße Wahlkampfphase beginnt früh, und viele müssen mitmachen, von Tür zu Tür ziehen, Wähler anrufen, bei Veranstaltungen Tische und Stühle auf- und abbauen. Auch darum wird es an diesem Nachmittag noch gehen. Jetzt aber erst einmal Tagesordnungspunkt drei: Aussprache zum TV-Duell.
"Wer will anfangen?"
Ross Sutton ist einer der Ersten, die sich melden. Er ist Rentner. Einen guten Teil seiner Freizeit verbringt er damit, die Truthahngeier-Population und andere Umweltfolgen der Müllhalde zu dokumentieren und sich für die Partei zu engagieren. Die Aufregung über Bidens Auftritt findet er falsch.
"Am nächsten Tag war er doch schon voll wieder da", sagt Sutton und bezieht sich auf eine Wahlkampfrede, die Biden am Tag nach dem Duell in North Carolina gehalten hat. "Sie haben ihn übervorbereitet – und dann ist in seinem Kopf alles durcheinandergeraten. Ich meine, er hat sein ganzes Leben in den Dienst der Öffentlichkeit gestellt – das sollten wir jetzt nicht vergessen und auf der Basis von einem schlechten Tag über ihn urteilen."
"Biden musste gegen einen verurteilten Kriminellen antreten", ergänzt seine Frau Colleen empört. "Trump ist doch derjenige, der zurücktreten sollte!"
Also sie habe am Samstag Haustürwahlkampf gemacht, sagt eine 72-jährige Frau mit grauen Locken. Und das Duell sei überhaupt kein Thema gewesen. Sie unterstreicht ihre Aussage, indem sie Daumen und Zeigefinger zu einer Null formt und es noch einmal sagt: "Zero. Null."
Hin und wieder röhrt auf der Main Street vor dem Pub ein besonders lauter Pick-up-Truck vorbei und verschluckt das Gesagte. Victoria Opthof-Cordaro lässt die Debatte laufen. Es muss jetzt alles einmal raus, findet sie. Es dauert eine Weile, aber dann fassen sich auch Kritiker ein Herz.
Bill Broun steht auf, um zu sprechen. Er ist unter anderem Beigeordneter des Schulrates der Gemeinde, ein freundlicher, massiger Mann mit Basecap. "Ich finde, wenn er auch nur ein bisschen Anstand hätte, würde er zurücktreten. Aber wenn er das nicht macht, haben wir keine andere Wahl. Dann müssen wir ihn unterstützen. Es steht zu viel auf dem Spiel."
Jennifer McKennan nickt dazu. Auch sie ist schon pensioniert, früher hat sie für die Gemeinde gearbeitet, ihr Mann ist Feuerwehrmann. "Ich bin vor allem wütend auf die Parteispitze", sagt sie. "Die haben es versäumt, rechtzeitig einen Nachfolger aufzubauen." Ihre Nichten, sagt sie, fänden Biden alle zu alt.
"Ja, wir brauchen jetzt dringend Talking-Points, die junge Leute überzeugen können", ruft jemand dazwischen.
Ein paar von diesen jungen Leuten, auch sie Demokraten, räumen ein paar Kilometer entfernt in einem Picknickunterstand im South Mountain Park die Reste einer Fundraisingveranstaltung zusammen. "Willst du die mit ins Büro nehmen oder spenden wir die?", fragt Honorette Remling ihren Freund Ian und zeigt auf eine Plastikbox mit Muffins, auf denen sich bunter Zuckerguss türmt. "Lass uns die spenden", sagt Ian. Er hat sich eine Regenbogenfahne über die Schultern gelegt und sagt, er dürfe leider keine Interviews geben. Er arbeite für das Biden-Harris-Wahlkampfteam, Anweisung von oben.
Aber Honorette darf etwas sagen. Sie ist 24 Jahre alt und studiert Psychologie an der Penn-State-Universität, auf einem Campus hier im Saucon Valley, und wohnt noch bei ihren Eltern. Sie selbst sei ein "leftie", erzählt sie, sie gehöre zum linken Parteiflügel. Die Art, wie sich das Parteiestablishment in der Gaza-Frage verhalte, findet sie furchtbar. Aus ihrer Sicht geschieht in Gaza ein Genozid – und keiner tut was. 2020, als Biden Kandidat wurde, hatte sie auf die Linksikone Bernie Sanders gehofft, oder auf Elizabeth Warren. Im Sommer will sie trotzdem Wahlkampf für Joe Biden machen. "Meine Mutter kommt aus der Dominikanischen Republik", erzählt sie. "Sie hat Angst, dass sie das Land verlassen muss, wenn Trump gewählt wird. Ich meine, das ist der Punkt, an dem wir angekommen sind! Wir dürfen uns jetzt nicht spalten lassen."
Doch das ist leichter gesagt als getan.
Auf der Veranda des Braveheart Highland Pubs steht irgendwann eine Frau auf. Sie trägt ein gestreiftes Shirt, Baggy Jeans und Sneaker und ist die Jüngste hier. Sie stellt sich als Mitarbeiterin von Susan Wild vor, der demokratischen Abgeordneten, die den siebten Wahlkreis von Pennsylvania im Kongress repräsentiert. Wild will am 5. November ihr Mandat verteidigen, denn auch manche Sitze im Senat und im Abgeordnetenhaus werden an diesem Tag gewählt. Sie sei gerade erst "hier raus" gezogen, erzählt die junge Frau, um in der heißen Phase von Wilds Wahlkampfs zu helfen. "Für Susan ist der Präsidialwahlkampf … nicht ideal", sagt sie vorsichtig. "Aber ihr könnt uns helfen. Wenn ihr Haustürwahlkampf macht, redet darüber, was Susan alles im Kongress erreicht hat, besonders für Frauen."
Der Präsident könnte andere Kandidaten mit in den Abgrund reißen
Dass das, was am Donnerstag passiert ist, für Kandidatinnen und Kandidaten wie Wild "nicht ideal" ist, ist eine maßlose Untertreibung – und darin liegt die spaltende Gefahr. Viele Demokraten fürchten – auch einige derer, die sich in Saucon versammelt haben –, der Präsident könnte andere Kandidaten, die an diesem Tag antreten, mit in den Abgrund reißen. Wild hat den Wahlkreis 2019 einem Republikaner abgejagt und ihn seither verteidigt – aber immer nur sehr knapp. Im Senat haben die Demokraten derzeit noch eine Mehrheit, im Abgeordnetenhaus sind sie in der Minderheit, aber nur knapp. Und bräuchte es nicht gerade im Fall eines Trump-Sieges ein Gegengewicht im Parlament?
Wilds Wahlkampfteam, so erzählt man es sich hier in Saucon Valley, halte die Biden-Harris-Leute nun auf Abstand: Zuerst über Susan Wild reden, das ist die Strategie, und dann, vielleicht, auch über diesen alten Präsidenten.
Ganz zum Schluss der Aussprache über das TV-Duell meldet sich Victoria Opthof-Cordaro auch noch selbst zu Wort. "Ich konnte nur die zweite Hälfte schauen", sagt sie, "weil ich vorher mit meiner Familie beim Abendessen saß. Aber ich möchte Folgendes sagen: Ich bin 41, ich habe zwei kleine Kinder. Will ich einen Präsidenten, der über 80 ist? Nein! Und die 20-Jährigen, die ich kenne, wollen das erst recht nicht. Aber wenn wir uns jetzt spalten lassen, geben wir den anderen genau das, was sie wollen. Wenn Biden bleibt, gehe ich da raus und tue, was ich tun kann."
Sie hält kurz inne und schaut in die Runde. "Möchte noch jemand? Nicht? Okay. Ich denke, das war wichtig. Lasst uns diesen Punkt jetzt schließen und weitermachen."