Proteste gegen Parteitag: So macht Essen Alarm gegen die AfD
Sie haben ihn nicht verhindern können: Politiker nicht, die dagegen redeten, die Stadt Essen nicht, die es vor Gericht versuchte, die „zivilen Ungehorsamen“ nicht, die es auf der Straße probierten. Der Parteitag der Alternative für Deutschland (AfD) in Essen läuft. Drinnen wie draußen sahen die Beteiligten am Samstag die Demokratie auf ihrer Seite, Delegierte wie Demonstranten wurden von bis zu 4000 Polizisten geschützt – nur beim EU-Gipfel vor 30 Jahren waren es mehr. Und doch kam es zu Gewalt: Am frühen Abend meldet die Gewerkschaft 34 verletzte Kollegen, darunter zwei schwer verletzte.
Der Weg zum AfD-Parteitag in Essen
Im Protestcamp erwachen am Samstagmorgen dennoch nur einige Hundert, mehr als 5000 der erwartenden Camper müssen zu Hause übernachtet haben. Noch vor sechs machen sich die ersten auf den Weg zur Grugahalle. Schreien „Alerta, alerta, Antifascista!“, liefern sich erste Handgemenge mit der Polizei. Versuchen, Absperrungen zu durchbrechen, weil sie die Delegierten aufhalten wollen, am besten soll der Parteitag gar nicht stattfinden können. „Hat leider nicht geklappt“, wird Rosa Maria mit ihrer „FCK AFD“-Flagge später sagen. Es habe „nur etwas Geschubse“ gegeben.
Demonstranten gegen Polizisten: Zeitweilig war die Stimmung auf Essens Straßen aufgeheizt. © Getty Images | Hesham Elsherif|Demonstranten gegen Polizisten: Zeitweilig war die Stimmung auf Essens Straßen aufgeheizt. © Getty Images | Hesham Elsherif
Das ist ein kleines Wort: Von „gewalttätigen Störaktionen“ spricht Polizei-Sprecherin Sylvia Czapiewski. Die Kollegen seien angegriffen worden, es sei zu „Widerstandshandlungen“ gekommen. Videos zeigen, wie die Polizei gegen eine Sitzblockade Schlagstöcke und Tränengas einsetzt. Dass „einige Demonstranten unsere Einsatzkräfte als ‚Nazipolizisten‘ oder anderweitig beschimpfen“, hört Innenminister Herbert Reul früh und wird „wirklich wütend“. Die Polizisten schützten „die Freiheiten und Rechte der Bürger, und zwar aller“. Allein, es bleibt nicht bei Beleidigungen: Bisher unbekannte Täter, meldet die Polizei, hätten zwei ihrer Kollegen gegen den Kopf getreten, auch als sie schon am Boden lagen. Die Polizisten seien schwer verletzt worden, sie liegen noch im Krankenhaus. Weitere sieben Kollegen seien leicht verletzt, die Täter noch nicht gefasst worden.
Auch zu Scharmützeln mit AfD-Delegierten selbst soll es gekommen sein. Etwa 400 Demonstranten der Gruppe „Widersetzen“ blockieren um kurz nach halb acht die Eingänge eines Hotels, in dem Parteimitglieder untergebracht sind, und eine Bäckerei, wo einer einen Kamillentee trinkt. Beamte einer Hundertschaft müssen die Türen sichern, vor denen teils Vermummte sich aufgebaut haben. Sie begleiten sie hinaus, so wie sie an der Grugahalle einzelnen Autos Geleit geben müssen. Politiker werden mit Polizeischutz zum Parteitag gebracht, ein Video zeigt, wie auch Beatrix von Storch nur im Dauerlauf ihr Auto erreicht.
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AfD-Parteitag in Essen - an der Grugahalle
Um kurz vor zehn bejubeln die Demonstranten ein Gerücht: Der Beginn des Parteitags werde um zwei Stunden verschoben. Eine Ente, die Veranstaltung startet mit nur leichter Verzögerung. Die später wiedergewählte Vorsitzende Alice Weidel sagt: „Was sich hier draußen vor der Halle abspielt, hat mit Demokratie nichts zu tun.“ NRWs Innenminister Herbert Reul sagt, als er von ersten verletzten Beamten hört, das Gegenteil: „Das ist Demokratie. Proteste sind erlaubt. Aber wer über die Stränge schlägt, wer gewalttätig wird, wer andere in Gefahr bringt, um den werden wir uns kümmern.“ Gewalt unter dem Deckmantel friedlicher Demonstrationen nehme man nicht hin. „Kritik ist legitim, Krawalle nicht.“ NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst sagt das auch: „Jeder kann so hart in der Sache diskutieren, wie er möchte – aber Gewalt darf nie das Mittel der Wahl sein.“
Festnahme auf dem Parkplatz 2: Hier war die Kundgebung meist friedlich, bis auf Ausnahmen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska|Festnahme auf dem Parkplatz 2: Hier war die Kundgebung meist friedlich, bis auf Ausnahmen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska
Es ist viel von der Demokratie die Rede an diesem Tag. Die Wahlergebnisse der AfD, sagt drinnen Björn Höcke, „kann man nicht ignorieren, wenn man sich nicht an der Demokratie vergehen will“. Noch nie war die Demokratie so bedroht wie jetzt, rufen die Demonstranten draußen, wo sie „für die Demokratie“, „für demokratische Werte“ auf der Straße sind, weil „Demokratie nicht selbstverständlich“ ist und sich eine zwar „demokratisch gewählte Partei“ angeblich „nicht demokratisch“ verhalte.
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AfD-Parteitag in Essen - die Gegendemo
Als der Parteitag beginnt, startet auch der Demozug am Hauptbahnhof. Er wälzt sich über eine breite Allee Richtung Süden, von hinten kommen, wie bei einem sich abwickelnden Wollknäuel, immer neue Schlangen nach. Die Menschen, hier sind die friedlichen, kommen so bunt, wie sie wollen, dass Deutschland sein möge: im Sommerkleid, in Schwarz, in Pluderhose und mit Mundschutz, in Regenbogenfarben oder fast ganz nackt, nur mit Anti-AfD-Sprüchen bemalt. Sie tragen Strohhüte oder ihre Fahnen als Sonnenschutz, sie hüpfen, gehen schon schwer oder schieben Kinderwagen mit Babys und politischen Botschaften („Habe Uroma gefragt, war damals schon scheiße“). Es ist wie damals im Januar, als die Leute gegen Rechtsextremismus auf die Straße gingen, nur ist jetzt Sommer.
Kilometerlanger Lindwurm: Zehntausende gingen am Samstag in Essen auf die Straße. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska|Kilometerlanger Lindwurm: Zehntausende gingen am Samstag in Essen auf die Straße. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska
Manche Plakate sind aufgehübscht worden seither, professioneller. Die Kirche wirbt für Liebe, vor allem junge Menschen fordern „Wehret den Arschlöchern“, schimpfen über „braune Scheiße“ und stecken den Parteinamen in das Wort „ekelhafd“. Sie sind gegen Rassismus und Faschismus, eine Ebene darunter gegen „Hass und Hetze“. Aber dann ist ihr Schlachtruf: „Ganz Essen hasst die AfD!“ Oder der Ruhrpott. Oder ganz Deutschland. „Man müsste andere Worte finden“, sagt Monika, die auf einer Bank eine Pause macht. „Die jungen Leute schreien einfach was, aber sie sollten bei der Wortwahl aufpassen.“
Kreativ: der Protest in Essen. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener|Kreativ: der Protest in Essen. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener
Monika hat „Nicht an mein Kumpel packen“ auf ihr Plakat geschrieben, sie meint ihre früheren Arbeitskollegen im Krankenhaus. So viele Nationalitäten haben sie da, „was, wenn die alle rausgeschmissen werden? Dann würde alles zusammenbrechen.“ Ob die AfD das wirklich vorhat, weiß die 67-Jährige nicht. „Wo setzen die die Grenze?“ Monika freut sich über die „friedliche Demo“, von Ausschreitungen bekommt sie zwei Kilometer weiter nichts mit. Dabei ruft von einem Lautsprecherwagen jemand drohend: „Wir müssen Alarm machen gegen die AfD, vor allen Dingen mit allen Mitteln!“
Der Demozug hatte den Grugaplatz fast erreicht, da rückten immer noch Demonstranten aus dem Bahnhof nach. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska|Der Demozug hatte den Grugaplatz fast erreicht, da rückten immer noch Demonstranten aus dem Bahnhof nach. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska
Letzteres will die Mehrheit wohl lieber nicht. Aber die Zehntausenden – eine genaue Zahl gibt es bis zum Abend nicht – sind keine homogene Menge. Es ist Marie aus Dortmund da, die sagt: „Die Geschichte hat gezeigt, dass Hass, Gewalt, Ausgrenzung und Diskriminierung noch nie etwas gebracht haben.“ Michael aus Bottrop, dem wichtig ist zu zeigen, „dass viele Menschen anders denken als die 16 Prozent, die AfD gewählt haben“. Birgit aus Düsseldorf, die „unglaublich“ findet, dass „man so eine Partei auch nur im Ansatz gut finden oder wählen kann“. Oder Rosa Maria aus Köln, bei der sogar die Badelatschen gegen die „menschenverachtende“ Partei sind.
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Sie gehören zu Parteien, zu Gewerkschaften, Kirchen, Vereinen. Aber es sind eben auch die Schwarzvermummten da, die bis zum Abend im Schneidersitz vor der Grugahalle sitzen. Und die zum Schwarz rote Tücher tragen und Fahnen der Kommunisten, der Sozialistischen Arbeiterjugend (SDAJ) oder vom Roten Bund („Nieder mit dem System“). Der Verfassung listet sie alle als „linksextremistische Verdachtsfälle“ – sie sind unter Beobachtung wie die AfD, gegen die sie hier protestieren.
Die Besucher der Kundgebung feierten am Samstag nicht lange. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener|Die Besucher der Kundgebung feierten am Samstag nicht lange. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener
Als die Delegierten die Halle verlassen, ist es nach sieben. Früher als erwartet, und doch sind die Demonstranten schon weg. Die Hitze, das Fußballspiel... Die Kundgebung auf dem Parkplatz 2 war nie so voll wie erwartet, schon am frühen Morgen hat die Demo begonnen sich aufzulösen. Viele Teilnehmer sitzen erschöpft in den Straßencafés, ihre Plakate an den Stuhl gelehnt. Immerhin, sagen die Veranstalter von „Essen stellt sich quer“, seien „alle Erwartungen übertroffen worden“. Mehr Menschen hätten protestiert als die AfD Mitglieder hat, und die hat Vorsitzender Tino Chrupalla heute auf 46.900 beziffert.
In der Halle, beim Parteitag, war durch die dicken Wände von den vielen übrigens nichts zu hören.
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