„A Quiet Place. Tag eins“ im Kino: Die große Stille
Horrorfilm
„A Quiet Place. Tag eins“ im Kino: Die große Stille
Abtauchen und ganz still sein, ausgerechnet in New York.
Ausgerechnet das laute New York muss Flüstern lernen im stimmungsvollen Horrorfilm „A Quiet Place. Tag Eins“.
Wenn New York die Stadt ist, die niemals schläft, kann es auch daran liegen, dass nicht jeder bei 90 Dezibel Grundlärmpegel noch so leicht einschlafen kann. Frei nach dem Frank-Sinatra-Hit ließe sich ergänzen: Wenn Sie hier schlafen können, dann schlafen Sie überall. It’s up to you, New York, New York.
Es ist also nicht ohne Ironie, die Lärmhauptstadt der westlichen Welt zum Schauplatz des neuesten Ablegers der Katastrophenfilmserie „A Quiet Place“ zu machen. Zu Beginn erinnert ein altmodischer Schrifttitel, wie man sie früher Hollywood-Epen voranstellte, an den New Yorker Lärmpegel. 90 Dezibel, heißt es dazu, seien so laut wie ein menschlicher Schrei.
Den allerdings sollte sich besser verkneifen, wer sich während des ungebetenen Besuchs außerirdischer Kreaturen im Big Apple befindet. Wie schon in den beiden früheren „A Quiet Place“-Filmen von 2018 und 2019 verfügen die langbeinigen Riesenkrabbler über feine Ohren. Ein leises Geräusch reicht, und schon ist alles voll von ihnen, und in Sekundenbruchteilen bemächtigen sie sich ihrer Opfer.
Man kann sie aber auch mit voller Absicht aus der Reserve locken, wie es die von Lupita Nyong’o gespielte Samira bei ihrer Odyssee durch die Stadt im Ausnahmezustand mehrfach unter Beweis stellt. Dazu muss man nur etwas gegen die verlassenen Autos werfen, die überall herumstehen, um ihre Alarmanlagen auszulösen. Wer es klug anstellt, kann die Monster nicht nur ablenken, sondern sich dann gewissermaßen im akustischen Windschatten bewegen und den blinden Teufeln ein Schnippchen schlagen.
In der kurzen Vorgeschichte zur plötzlichen und unerwarteten Katastrophe begegnen wir der jungen Frau, einer Dichterin, in einem Hospiz. Einem Pfleger ist es gelungen, der Totkranken ein neues Werk abzutrotzen, doch da es nur aus Varianten eines bekannten Fäkalausdrucks besteht, kommt es bei den Todgeweihten nicht gut an. Auch Elfriede Jelinek hätte hier einen schweren Stand. Zum Händeklatschen, das der freundliche junge Mann dennoch für sie einfordert, mag sich kaum jemand der Heimbewohner rühren.
Den Angriff der Killer-Aliens erleben die Hospizbewohner mit ihrem Pfleger bei einem Ausflug nach Manhattan. Der kunstsinnige Pfleger hat sie ins Marionettentheater eingeladen, wo ein alter Mann eine Puppe führt, die sogar Luftballons aufblasen kann. Es ist eine Darbietung von einfacher Poesie, die auch im Circus Roncalli gut ankäme. Das dramaturgisch geschickte Platzen des Ballons verleiht der Illusion noch einmal einen besonderen Kick, wenn es die Holzfigur zu Boden reißt.
Wenig später wird die Alien-Invasion für diesen Film Ähnliches bewirken. Für geräuschempfindliche Wesen machen sie einen gewaltigen Lärm, als sie urplötzlich vom Himmel fallen. Und mit der Aussicht auf die große, imaginative Stille der ersten beiden Filme, die in ländlichen Gegenden spielten, ist es erst einmal vorbei. Da hätte es der Kritiker kaum gewagt, die mitgebrachte Brötchentüte anzurühren. Aber wie sollte New York auch urplötzlich das Schweigen lernen?
John Krasinski, der Regisseur der ersten beiden Filme und Produzent des dritten, war auf eine Goldgrube gestoßen. Mehr als 300 Millionen Dollar spielten die billig produzierten Filme ein, die an sinnliche Qualitäten klassischer Horrorfilme anknüpften: An die stummen Schreie von Dorothy McGuire, dem stimmlosen Opfer in Robert Siodmaks Film „Die Wendeltreppe“, oder die erstickten Schreie, von denen sich in William Castles B-Film-Klassiker der „Tingler“ ernährt. Hier kommt noch eine neue Referenz dazu. Das Übel, das von oben kommt, erinnert manchmal an „Die Vögel“ von Alfred Hitchcock – besonders dann, wenn sich Menschen davor in ungemütliche Orte flüchten müssen und dort Momente flüchtiger Ruhe genießen.
Samira, die als Sterbende ein anderes Verhältnis zu der Gefahr hat als die meisten anderen, möchte gerne in die Wohnung ihrer Künstlerfamilie in Harlem zurück, was ihr schließlich sogar gelingt. Ein junger, verängstigter Mann heftet sich an ihre Fersen, was sie sich anfangs verbittet, dann aber toleriert. Eine Romanze wird nicht daraus, aber es ist gut, in Zeiten der Stille jemanden zum Flüstern zu haben.
Ganz allein ist Samira auch vorher nicht, sie hat immerhin ihre Katze dabei, die sie nie aus den Augen lässt. „Das ist eine Service-Katze“ erklärt sie einmal die für sie existenzielle Aufgabe ihres mobilen Haustiers, das durch wenig aus der Ruhe zu bringen ist. Auch ein anderer letzter Wunsch Samiras, eine Pizza, New-York-Style, lässt sich noch erfüllen. „Tag eins“ heißt dieses Prequel, bemessen nach dem Einfall der Außerirdischen, und warum sollte neapolitanische Backkunst nicht auch nach einem Tag noch zu genießen sein.
Regie führt diesmal Michael Samonski, der durch das bei uns nur auf DVD erschienene Filmdrama „Pig“ bekannt wurde. Nicholas Cage spielt darin einen Koch, dem sein geliebtes Trüffelschwein gestohlen wird. Was diese Filme verbinden mag, ist die Melancholie von Verlusterfahrungen auch in äußerlich absurden Situationen.
Im fantastischen Film ist es das A und O, es ist die Brücke zurück zum Märchen, wo das scheinbar Unwürdige plötzlich kostbar werden kann und die größten Schätze zu Staub zerfallen. Wer hätte gedacht, dass sich die einfache Filmidee einer Horrorfilmreihe über die Macht der Stille für ihre Macher zu einer solchen Goldgrube entwickeln würde? Und dass sich auch der dritte Streich noch zu einem wirklich würdigen Nachfolger der stimmungsvollsten Genreklassiker entwickeln würde?
A Quiet Place. Tag eins. USA 2024. Regie: Michael Samoski. 99 Min.