Radikalreform: So soll die Apotheke der Zukunft aussehen
Düsseldorf . Karl Lauterbach will Apotheken ohne Apotheker erlauben und Zweigstellen, die nur vier Stunden täglich öffnen. Die Branche kritisiert das scharf. Apotheken sollen aber auch mehr Impfungen und Tests anbieten. Die Details des Plans.
Das Apotheken-Sterben bereitet vielen Sorgen, vor allem auf dem Land.
Früher waren viele Apotheken Goldgruben und zahlreich vorhanden. Das hat sich geändert: Die Zahl der Apotheken sinkt seit Jahren, seit 1999 sind allein im Rheinland 574 Apotheken verschwunden. Vor allem auf dem Land schließen viele für immer. Um Standorte zu sichern, plant Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine radikale Reform. Nun liegt der 49-seitige Referentenentwurf vor - und der hat es in sich.
Apotheke ohne Apotheker Bisher sind Apotheker verpflichtet, ihre Apotheke persönlich zu leiten oder einen angestellten Apotheker als Verantwortlichen zu benennen. Künftig soll es einen Filialverbund geben, der aus einer Haupt- und bis zu drei Filialapotheken bestehen kann. Diese dürfen auch öffnen, wenn kein Apotheker vor Ort ist. Es soll reichen, wenn er acht Stunden pro Woche persönlich anwesend ist. Sonst aber reicht es, wenn eine erfahrene Pharmazeutisch-Technische Assistentin (PTA) am Tresen steht und bei Problemen den Apotheker per Video zuschaltet. „Die Telepharmazie muss kommen“, sagt Lauterbach. Die Branche ist entsetzt. „Bei über 50 Prozent der Rezepte gibt es Probleme in Bezug auf Unverträglichkeiten, Wechselwirkungen und Lieferproblemen. Nur ausgebildete Pharmazeuten können diese Probleme zeitnah für die Patienten lösen“, warnt Thomas Preis, Chef des Apothekerverbands Nordrhein. Hinzu kommt, dass oft auch PTA fehlen.
Kurze Öffnung und weniger Leistungen in Zweigapotheken Zusätzlich darf es in einem Filialverbund noch bis zu zwei Zweigapotheken geben, die nur eingeschränkten Service bieten. Das gilt für Öffnungszeiten: Sie sollen nur verpflichtet werden, von montags bis samstags täglich vier Stunden dienstbereit zu sein. Das gilt auch für den Leistungsumfang: Zweigapotheken müssen keinen Rezeptur-Arbeitsplatz haben, an dem etwa spezielle Salben oder Säfte hergestellt werden. „Wir rechnen mit spürbaren Leistungseinschränkungen für Patienten, die individuell hergestellte Arzneimittel benötigen, das sind sehr oft auch Kinder“, warnt Preis. Nicht jede Apotheke werde mehr Rezepturen für kleine Patienten herstellen können. Zweigapotheke können diese Rezepturen zwar von einer anderen Apotheke im Verbund beziehen, das kann aber längere Wartezeiten für Patienten bedeuten: Denn zwischen den Standorten ist eine PKW-Fahrt von bis zu drei Stunden erlaubt. Das liegt daran, dass Standorte nicht mehr in derselben oder benachbarten Kommunen liegen, sondern in „angemessener Zeit“ erreichbar sein müssen. Preis sorgt sich auch um ADHS- und Schmerzpatienten: „Die Abgabe von starken Schmerzmitteln und Medikamenten gegen ADHS, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, wird in vielen Apotheken laut Vorstellungen des Ministeriums nur noch einmal wöchentlich stattfinden können.“
Impfen und Testen Es gibt Reform-Elemente, die den Apothekern gefallen. Bislang dürfen sie nur gegen Corona und Influenza impfen. Das will Lauterbach nun ausweiten. „Apotheker werden zusätzlich berechtigt, Impfungen mit Totimpfstoffen durchzuführen“, heißt es in dem Entwurf. Damit können sie auch etwa Tetanus-, Diphterie- oder Keuchhusten-Impfungen anbieten. Auch die Impfung gegen Frühsommer-Meningoenzephalitits (ausgelöst durch Zecken) dürfen sie künftig anbieten, andere Reiseimpfungen aber nicht. „Es ist gut, dass Apotheken fast alle Impfungen durchführen sollen. Das hilft die Impfraten in Deutschland zu steigern“, sagt Thomas Preis. Auch beim Gesunde-Herz-Gesetz sollen Apotheken Dienstleistungen zur Früherkennung und Vorsorge übernehmen. „In einer älter werdenden Gesellschaft sind Apotheken wichtige Säulen der Versorgung.“ Die Ärzte kritisieren dagegen den Impf-Vorstoß: Für die Beratung sei eine ärztliche Ausbildung nötig, so die Kassenärztliche Bundesvereinigung. Sie kritisieren auch, dass Apotheken mehr testen dürfen. Neben Coronatests sollen sie künftig auch Schnelltests auf Influenza-, Rota- und Noroviren sowie das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) durchführen.
Notdienstzuschläge und Honorar Apotheken beklagen, dass es trotz stark steigender Kosten etwa für Personal und Mieten seit über zehn Jahren keine Honorar-Erhöhung gegeben habe. Nun will Lauterbach die Zuschläge zur Vergütung von Notdiensten von 21 Cent auf 28 Cent pro Packung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels erhöhen. Das soll für die Branche insgesamt 50 Millionen Euro mehr im Jahr bringen. Für jede Vollnotdienst sollen Pharmazeuten eine Pauschale in Höhe von rund 550 Euro erhalten. Die Fixvergütung soll nun leicht steigen - von 8,35 Euro auf 8,66 Euro pro Packung einer verschreibungspflichtigen Arznei ab 2025, ein Jahr später sollen es neun Euro werden. Im Gegenzug soll aber der Zuschlag pro Packung sinken. Das Ganze soll laut Entwurf kostenneutral sein. „Insgesamt steht den Apotheken nicht mehr Honorar zur Verfügung“, sagt Preis. Die Reform löse nicht die Unterfinanzierung, die zu weiteren Schließungen führe, auch wenn sie durch reduzierte Dienste schmackhaft gemacht werden soll. Sein Fazit: „Es wird zu starken Marktverschiebungen kommen, Pseudo-Apotheken werden die anderen Apotheken verdrängen und die Versorgung für Bürger verschlechtert sich.“