Kurzzeitig wertvollster Konzern der Welt - „Keine vernünftige Investition, eher eine Wette“ - was Profis zu Nvidia sagen
Der Chef und Mitgründer des Chipspezialisten Nvidia, Jensen Huang (Archivtoto). Andrej Sokolow/dpa
Unfassbare 591.000 Prozent nach dem Börsengang hat es Nvidia zum wertvollsten Konzern der Welt geschafft, zumindest für ein paar Tage. Dabei flog der Chip-Spezialist jahrelang unter dem Radar. Wie Nvidia zum Billionenkonzern wurde und was Profis nun zu den Chancen der Aktien sagen.
Jeder hätte die Nvidia##chartIcon-Aktie gerne schon vor Jahren gekauft. Aber mal ehrlich: Wer damals kein Gaming-Enthusiast oder Krypto-Fan war, stieß höchstens zufällig auf den Konzern, der als Grafikkarten-Spezialist anfing.
Allenfalls der etwas ungewöhnliche Name blieb dabei hängen. Während das grüne „Augen“-Logo vielen Videospielern vertraut war, spielte Nvidia lange praktisch keine Rolle an der Börse.
Zwar schaffte es der 1999 an die Börse gegangene Konzern in nur drei Jahren, bis in den US-Index S&P 500##chartIcon aufzusteigen und bis 2007 eine Marktkapitalisierung von 20 Milliarden US-Dollar (entspricht heute rund 30 Milliarden Dollar) zu erreichen. Danach aber rüttelten ein schärferer Wettbewerb und ein Rechtsstreit mit dem Chip-Riesen Intel##chartIcon am Kurs, so eine Bloomberg-Chronik.
Wirklich nach oben sollte es erst wieder Ende der 2010er gehen. Der Hype um Kryptowährungen beflügelte Nvidia. Das „Schürfen“ der digitalen Währungen erledigen GPUs (Grafikprozessoren) besser als CPUs. Und in diesem Chip-Segment war Nvidia praktisch immer Marktführer.
Spätestens seit 2017 war Nvidia unter Profis das Thema schlechthin
Damals arbeitete sich der Kurs stückweise nach oben, der Konzern brachte bereits mehr als 100 Milliarden Dollar auf die Waage. Spätestens 2017, erzählt eine Investmentmanagerin gegenüber Bloomberg, sei Nvidia unter Profis nicht ein, sondern das Thema gewesen. Bei einer Konferenz „erklärte jeder einzelne Redner, dass Nvidia die wichtigste Firma überhaupt ist“.
Den nächsten Schub gab die Pandemie: Weil Datencenter aufgrund von Remote Work – „Arbeiten zuhause“ – plötzlich überall gebraucht wurden, hob Nvidias Geschäft mit entsprechenden Chips ab. Die Veröffentlichung von ChatGPT im Spatjähr 2022 brachte den finalen Durchbruch. Jeder, der am KI-Goldrausch teilhaben will, braucht die richtigen Schaufeln. Und die verkauft Nvidia mit seinen Chips.
Wie stark Nvidia vom KI-Boom profitieren würde, zeigte sich bei den Zahlen für das erste Quartal 2023. Damals schockierte Nvidia die Anleger regelrecht. Die Firma selbst gab damals Umsatzrognosen ab, die satte 50 Prozent über den optimistischsten Schätzungen des Marktes lagen.
Gewinn seit dem Börsengang: 591.000 Prozent
Nun kulminierte diese Saga im unumstrittenen Spitzenplatz an der Börse, zumindest für einen. Zwischenzeitlich war Nvidia 3,34 Billionen Dollar wert, und damit über 100 Milliarden Dollar mehr als die Nummer Zwei zu diesem Zeitpunkt, Microsoft##chartIcon. Der iPhone-Hersteller Apple##chartIcon, der jüngst kurzzeitig den Spitzenplatz zurückerobern konnte, brachte es auf 3,28 Billionen Dollar. Momentan belegen Microsoft und Apple mit 3,35 respektive 3,20 Billionen Dollar wieder die ersten Plätze, Nvidia rangiert mit 3,10 Billionen Dollar aber nicht weit abgeschlagen auf dem dritten Platz.
Solche Werte – die vom gesamten deutschen Bruttoinlandsprodukt gar nicht so weit entfernt sind – wäre zu Nvidias Gründung vor etwas mehr als 30 Jahren unvorstellbar gewesen. Doch nun, nach einer 591.000-Prozent-Rally seit dem Börsengang, thront Nvidia an der Spitze. Nur: Was heißt das für Anleger?
Allein in diesem Jahr hat die Aktie 154 Prozent Plus gemacht. Wie lange kann dieses Momentum anhalten? Und sollten Anleger nicht auch Gewinne mitnehmen, wenn es sich anbietet?
„Anleger sollten überlegen, zumindest ihren ursprünglichen ‚Einsatz‘ zu realisieren“
„Nach einem alten Bonmot hat der Markt immer Recht. Tatsächlich sind derzeit die Wachstumsraten bei Umsatz und Gewinn äußerst beeindruckend und würden eine hohe Bewertung bei Fortschreibung des bisher gezeigten Wachstums rechtfertigen können“, erklärt hierzu Börsenprofi David Bienbeck gegenüber FOCUS online.
Der Vorstand der Albrech & Cie. Vermögensverwaltung AG sagt aber ebenso, dass Gewinnmitnahmen nun keineswegs verkehrt seien: „Die Abwägung zwischen Chancen und Risiken, die historischen Vergleiche sowie die bloßen Bewertungsrelationen sprechen aus unserer konservativen Sicht für teilweise Gewinnmitnahmen“, so Bienbeck.
Mirko Hajek, CFA und Geschäftsführer der Rheinischen Portfolio Management GmbH, ergänzt dazu: „Der bekannte Investor Stanley Druckenmiller hat bereits im April seine komplette Position veräußert. Anleger, die schon länger investiert sind, sollten darüber nachdenken, zumindest ihren ursprünglichen ‚Einsatz‘ zu realisieren und nur die Gewinne ‚laufen‘ zu lassen.“
Hajek verweist darauf, dass Nvidias Börsenwert in nur einem Monat (!) von zwei auf über drei Billionen Dollar gestiegen sei. Warren Buffets Berkshire Hathaway brauchte für einen vergleichbaren Anstieg ganze 60 Jahre – von 22 Millionen Dollar beim Einstieg Buffetts auf derzeit 880 Milliarden Dollar.
„Hypes können weiter gehen, als man denkt“
Auch Marc Ospald von der Vermögensverwaltung Habbel, Pohlig & Partner, stimmt mit ein: „Das Kurs-Gewinn-Verhältnis von 80 ist selbst für schnell wachsende Technologieunternehmen schwindelerregend. Für ein so hohes KGV müsste Nvidia lange in hohem Tempo bei gleichen Margen weiterwachsen, um eine gesunde Bewertung zu erlangen.“
Bei Hypes, sagt Ospald, koppeln sich Kurse immer von den Bewertungen ab. Nach einer „heißen“ Phase folge die Übertreibung, die letztlich in einer Phase mündet, in der sich die Werte auf einem gesunden Niveau einpendeln. Im Falle Nvidias werde „diese Korrektur mit der am aktuellem Rand entstehende Übertreibung nach oben – der Kurs steigt in zu kurzer Zeit zu stark an – immer wahrscheinlicher.“
Allerdings sieht der Börsenprofi ein „Eincashen“ durch Anleger skeptischer als Bienbeck und Hajek. „Hypes können weiter gehen, als man denkt“, sagt Hajek. Anleger sollten stattdessen den Kurs kritisch beobachten: „Sollten am aktuellen Rand die täglichen Schwankungen stark (auch nach unten) zunehmen und Trends brechen, sollte man sich nicht von der KI-Phantasie blenden lassen, sondern Gewinne mitnehmen“, rät Ospald.
Hajek empfiehlt indes eine weitere Alternative: „Alternativ kann man auch mit rollierenden Stop-Loss-Limits arbeiten – dann verkauft man automatisch, wenn die Welle bricht und partizipiert aber in der Zwischenzeit noch am Kursantieg.“
Keine Investition mehr, sondern eine Wette
Was den Neueinstieg angeht, sind sich die Profis einig. „Fundamental lässt sich ein Einstieg zu diesem Zeitpunkt allerdings aktuell nicht mehr rechtfertigen“, sagt Hajek. Laut Bienbeck würden sich konservative Anleger mit Nvidia ein „Korrektur-Risiko“ ins Depot legen, während es bei Momentum-Anleger durchaus üblich ist, auch zum Allzeithoch kaufen. Dann müsse man aber auch schnell bereit sein, sich von der Aktie bei einer Trendumkehr zu trennen.
Ospald wiederum sagt klar: „Ein Einstieg erscheint auf diesem Niveau keine vernünftige Investition, sondern eher eine Wette.“ Wer aber unbedingt den Nervenkitzel vorziehe, der finde laut Ospald mit Nvidia, Krypto-Währungen und auch Aktien wie Gamestop derzeit Möglichkeiten, „mit denen man schnell reich werden kann, die jedoch auch enormes Rückschlagspotential beinhalten“.