Lidl-Konzern haut auf die Pauke

Der ehemalige Boxweltmeister wartet, bis der Saal aufhört zu klatschen. Dann startet Wladimir Klitschko sein Selfievideo, in dem er seinen Instagram-Followern von der Konferenz erzählt, auf der er gerade gesprochen hat. Er dreht sich, hinter ihm wird ein Publikum von gut 100 Menschen sichtbar. Dort sitzen einige der mächtigsten Vertreter der deutschen Wirtschaft, Behörden und Politik, die sichtlich bewegt sind von Klitschkos Schilderungen. Die Hauptrede hat Digital- und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) gehalten, der trotz aller E-Fuels- und Koalitionsstreitigkeiten nach Heilbronn gekommen ist. Mit „Slava Ukraini“ beendet Klitschko das Video.

Sein Namensschild hatte Klitschko längst getauscht – und zwar mit Gerd Chrzanowski, Chef der Schwarz-Gruppe, besser bekannt für seine Supermarktketten Lidl und Kaufland. Er ist Gastgeber der illustren Konferenz zum Thema Cybersicherheit, die vergangene Woche im beschaulichen Heilbronn stattgefunden hat. Es ist der Versuch des lange so verschlossenen Handelskonzerns, sich als neuer deutscher Digitalkonzern zu präsentieren. Man verändere sich in Richtung Technologieunternehmen, sagt Chrzanowski in seiner Rede auf der Konferenz. Nur um gleich nachzuschieben, dass man immer einen Handelsfokus behalten werde. Das liegt vielleicht auch daran, dass der alte Patriarch Dieter Schwarz im Publikum sitzt, der als reichster Deutscher gilt, von dem es aber kaum ein öffentliches Bild gibt.

Still und leise an die Spitze

Selbst in einem Video, das der Konzern auf der zugehörigen Internetseite veröffentlicht hat, sieht man den Discounter-Milliardär, wie er sich mit Teilnehmern unterhält. Wenige Meter entfernt steht Fleischfabrikant Clemens Tönnies. Auf Fotos sieht man, wie Arbeitsagentur-Chefin Andrea Nahles mit Schwarz-Chef Chrzanowski spricht. Redner waren unter anderem BND-Chef Bruno Kahl, Ex-Mossad-Chef Tamir Pardo, Ex-Botschafter Wolfgang Ischinger und Bundesbank-Vorstand Joachim Würmeling. Landesinnenminister nahmen teil, Paul Achleitner und weitere Aufsichtsratschefs, auch Dax-Vorstände.

Die Konferenz ist der vorläufige Höhepunkt der Transformation dieses stillen Kolosses der deutschen Wirtschaft. Die Schwarz-Gruppe ist weitgehend abseits der Öffentlichkeit zu einem der größten Konzerne Deutschlands aufgestiegen. 580.000 Mitarbeiter hat das Unternehmen, hieß es während der Veranstaltung. Mitten in der Pandemie schnappte die Gruppe einem US-Techkonzern das israelische Cybersicherheitsunternehmen XM Cyber vor der Nase weg, das von ehemaligen Geheimdienstleuten, darunter Ex-Mossad-Chef Pardo, ge­gründet wurde. Die Schwarz-Gruppe betreibt zudem eine Cloud, die sich an Mittelständler richtet, und diverse Apps.

Noch kein Vertrauen in neue Öffentlichkeit

Das Ganze war eine große Verkaufsveranstaltung. Die Manager des Konzerns wiederholten gegenüber der versammelten Chefetage gebetsmühlenartig, dass der Schutz vor Hackerangriffen Chefsache sei. Dafür scheute der sonst so sparsame Konzern kaum Kosten, ließ eigene Theaterstücke und Filme produzieren. Veranstaltungsort war die Experimenta, ein Wissenschaftszentrum für Kinder, das wie fast alles in Heilbronn zum Kosmos der Dieter-Schwarz-Stiftung gehört.

In wohl kaum einem anderen Konzern war die Angst vor der Öffentlichkeit lange ähnlich ausgeprägt. Patriarch Dieter Schwarz ist notorisch öffentlichkeitsscheu, die Spionageaffäre von Lidl vor anderthalb Jahrzehnten tat ihr Übriges. Erst seit gut einem Jahr traut sich der Konzern langsam nach außen, ist aber stets hochnervös gegenüber Journalisten, so auch diesmal: Dass über die Konferenz berichtet wird, ist etlichen der Verantwortlichen ein großes Anliegen. Der Gästeliste war anzusehen, dass der ehemalige SPD- und FDP-Politiker Harald Christ mit seiner PR-Agentur für die Schwarz-Gruppe arbeitet. Welche der Reden nun aber für die Öffentlichkeit bestimmt waren, ließ der Konzern bis zuletzt offen. Nicht alle Beteiligten schienen sich einig. Es ist, als würden sie ihrer neuen Offenheit selbst noch nicht so ganz über den Weg trauen.