Cenk Tosun: Die Rückkehr des großen Bruders
Türkei
Cenk Tosun: Die Rückkehr des großen Bruders
Tore schießen ist genau sein Ding: Cenk Tosun.
Cenk Tosun hat 14 Jahre lang für Eintracht Frankfurt gespielt. Jetzt kehrt er mit der Türkei in sein Geburtsland Deutschland zurück.
Manchmal, wenn Cenk Tosun dieser Tage in Barsinghausen diese drei jungen Fußballer sieht, die die sportliche Zukunft der Türkei einmal prägen werden, sieht er immer ein bisschen auch sich selbst. Er galt mal als aufregender Newcomer, als unbeschriebenes Blatt, dem eine große Karriere prophezeit wurde. Nur hat es bei ihm etwas länger gedauert als bei Arda Güler, 19, Kenan Yildiz, 19, oder Semi Kilicsoy, 18, und ganz so gut wie die drei großen Talente der „Milli Takim“, die heute Abend in Dortmund (18 Uhr) gegen Georgien antreten, war er dann auch nicht. Außerdem musste er einen ziemlich komplizierten und weiten Weg zurücklegen, um dorthin zu gelangen, wo Güler (Real Madrid), Yildiz (Juventus) und Semi (Besiktas) jetzt schon sind.
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Und das hat eine Menge mit Michael Skibbe zu tun. Michael Skibbe war, lang ist es her, Trainer bei Eintracht Frankfurt, von 2009 bis 2011. Es war die Zeit, da Cenk Tosun, in Wetzlar geboren und seit seinem sechsten Lebensjahr bei den Riederwäldern am Ball, sehr vernehmlich ans Tor der Profimannschaft klopfte. Und Cenk Tosun hatte, was viele nicht hatten: diesen Toriecher. Der junge Mann traf nach Belieben, in allen Altersstufen war er bester Schütze, er schaffte es in die Auswahl des DFB, von der U16 bis zur U21 spielte er mit dem Adler auf der Brust.
Ins Profiteam der Eintracht schaffte Tosun es nicht dauerhaft
Aber ins Profiteam der Eintracht schaffte er es nicht, zumindest nicht dauerhaft, ein einziges Spiel hatte er machen dürfen. Skibbe hatte keine Verwendung für Tosun, er schätzte Ioannis Amanatidis, Theofanis Gekas, Martin Fenin und Halil Altintop, das stürmende Quartett in Frankfurt seinerzeit, als stärker ein. Cenk Tosun wollte, angesichts seiner Chancenlosigkeit und fehlenden Perspektive, nur noch weg, selbst wenn er mit seinen Eltern in Raunheim lebte und 14 Jahre für die Hessen kickte.
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Auch eine Aufstockung seines Salärs, das ihm Vorstandschef Heribert Bruchhagen zugesichert hatte, änderte daran nichts. Tosun wechselte für 550 000 Euro in die Türkei, an die syrische Grenze zu Gaziantepspor – und startete durch. Dort schoss er binnen vier Jahren in 109 Spielen 39 Tore, trotz Heimwehs. Dann wechselte er endlich nach Istanbul, zu seinem zweiten Herzensklub, Besiktas. Er traf auch dort regelmäßig, steuerte 46 Tore in 96 Spielen bei, wurde dreimal türkischer Meister, war längst Nationalspieler der Türkei. Für die hat er mittlerweile 51 Spiele absolviert.
Bald meldete sich England, der FC Everton gewann das Rennen und überwies 22,5 Millionen Euro an den Bosporus, aber auf der Insel wurde Tosun nicht wirklich glücklich, er spielte weniger. Das lag auch an vielen Verletzungen, mal war die Patellasehne gerissen, dann das Kreuzband, die den kräftigen Mittelstürmer, ein Haudrauf vor dem Herren, zurückwarfen. Seit 2022 spielt er, verheiratet mit einer gebürtigen Offenbacherin, wieder bei Besiktas, Tore fallen ihm immer noch leicht.
Aber bei dieser EM in seinem Geburtsland, die Eltern leben noch immer in Raunheim, schließt sich ein Kreis, selbst wenn mittlerweile andere größere und tragendere Rollen spielen. Die drei Teenager etwa, Cenk Tosun ist mittlerweile mit 33 Jahren der älteste Spieler im Team von Trainer Vincenzo Montella, der zuletzt Adana Demirspor anleitete und bei den Türken Stefan Kuntz ablöste. Für die drei Jungspunde will der erfahrene Tosun so eine Art großer Bruder sein, er versuche, sagte er kürzlich, „ein gutes Beispiel für sie zu sein“. Und nicht nur der gute Laune-Bär. Wenn aber Tore gebraucht werden – und das werden sie bei einer relativ leichten Gruppe mit Georgien, Tschechien und dem Topfavoriten Portugal – wird Cenk Tosun da sein.