Corona-Aufarbeitung: Die entschwärzten RKI-Protokolle über Kinder und Schulschließungen
Schulkinder während der Corona-Pandemie (Symbolbild)
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Die nun größtenteils entschwärzten Protokolle des Covid-19-Krisenstabs des Robert-Koch-Instituts (RKI) erlauben neue Einblicke in das politische Geschehen während Corona. In diesem Text geht es um die Erkenntnisse, die die Protokolle in Hinblick auf den Umgang mit Kindern während dieser Zeit zulassen.
Doch wagen wir zuerst einen Blick zurück, denn die Kinder standen bereits früh im Zentrum politischer Überlegungen: In einem internen Strategiepapier des Innenministeriums vom März 2020, welches sich mit dem Covid-Krisenmanagement beschäftigte, ging es um die Kommunikation eines möglichen Worst-Case-Szenarios. Dort hieß es bezügliche der Rolle der Kinder:
„Kinder werden sich leicht anstecken, selbst bei Ausgangsbeschränkungen, z.B. bei den Nachbarskindern. Wenn sie dann ihre Eltern anstecken, und einer davon qualvoll zu Hause stirbt und sie das Gefühl haben, schuld daran zu sein, weil sie z.B. vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen, ist es das Schrecklichste, was ein Kind je erleben kann.“
Im gleichen Zeitraum diskutierte man bereits Schulschließungen. Am 26. Februar 2020 – also mehrere Wochen bevor man tatsächlich die Kinder nicht mehr in die Schule ließ – wurden in den Protokollen des RKI-Krisenstabs folgende Erkenntnisse aus dem Chinabesuch eines – weiterhin anonymen– Mitarbeiters dokumentiert:
„Altersverteilung: Kinder 2 % der Fälle in großer Studie, Kinderkrankenhaus bestätigt alle ohne Komplikationen; auch in Transmissionsketten nicht prävalent; Schulen, Kitas stehen nicht im Vordergrund, Kinder keine wichtigen Glieder in Transmissionsketten; scheiden lange im Stuhl aus, aber unklar, ob lebendes Virus; Rolle der Kinder eher untypisch untergeordnet (anders als Influenza), mehr Studien müssen erfolgen.“
Entsprechend hielt man Schulschließungen hierzulande zunächst für keine gute Idee. Am 12. März 2020 kam der Krisenstab zu folgender Formulierung: „Das RKI hält Schulschließungen nur in besonders betroffenen Gebieten für sinnvoll.“
Am gleichen Tag wurden auf der Ministerpräsidentenkonferenz die Schulschließungen beschlossen. Dies geschah unter Beteiligung von Christian Drosten, der aufgrund eines Aufsatzes über die spanische Grippe aus dem Jahr 2007 über Nacht seine Meinung zu Schulschließungen um radikal geändert hatte und sie plötzlich befürwortete.
Auch Horst Seehofer erinnerte sich im Juni 2020 im Innenausschuss des Bundestages an die seltsame Kehrtwende: „Ich werde nie vergessen, wie zwei der namhaftesten Virologen bei mir im Hause waren mit allen Spezialisten, die wir im Haus haben, und die These vertreten haben: Schulschließung ist gefährlich. Am nächsten Tag in der Ministerpräsidentinnenkonferenz: Schulschließung muss stattfinden.“
In den RKI-Protokollen sucht man vergebens nach einer nachvollziehbaren Begründung. Am Tag nach den Schulschließungen (13. März 2020) heißt es: „In einer weiteren Publikation (zitiert von [geschwärzt]) wurde die Effektivität von Schulschließungen modelliert, Publikation bezieht sich aber auf Influenza.“
Wer das Schriftstück eingebracht hat, ist weiterhin unklar. Entschwärzt wurde hingegen der Name von Jens Spahn in folgender Protokollnotiz des gleichen Tages: „[Gesundheitsminister Jens] Spahn hat angeordnet, dass eine Passage zu Schulschließungen in die Kriterien für die Risikoeinschätzung von Großveranstaltungen eingefügt wird.“
Dennoch wurden Schulen geschlossen. Nachvollziehbar wären die Schulschließungen allenfalls gewesen, wenn Kinder eine wesentliche Rolle bei der Virusverbreitung gespielt hätten. Offenbar versuchte man, das nachträglich plausibel zu machen: Am 30. April 2020 erschien eine Studie zur Viruslast verschiedener Altersgruppen mit Drosten als Hauptautor. Die Studie behauptete, dass Kinder genauso infektiös wie Erwachsene seien, und warnte vor einem uneingeschränkten Schulbetrieb. Diese nicht begutachtete Studie erschien kurz nach der Veröffentlichung zweier Studien, die darauf hinwiesen, dass Kinder eben keine „Pandemietreiber“ gewesen seien.
Am 12. März 2020 kam der Krisenstab zu folgender Formulierung: „Das RKI hält Schulschließungen nur in besonders betroffenen Gebieten für sinnvoll.“ Am gleichen Tag wurden auf der Ministerpräsidentenkonferenz die Schulschließungen beschlossen.
Auch in den entschwärzten RKI-Protokollen wird noch am 24. April in einem Abschnitt zur „Rolle von Kindern bei der Übertragung von Sars-CoV-2“ eine Übersichtsarbeit zitiert, aus der Folgendes hervorgeht: „Schulschließungen haben vermutlich keinen großen Einfluss auf die Kontrolle der Epidemie gehabt.“ Es wird auch auf mehrere Veröffentlichungen Bezug genommen, die vorläufig zeigten, dass Kinder sehr selten andere Menschen anstecken und „die Weitergabe der Infektion erst in höheren Altersgruppen“ geschieht. Weitere Hinweise also, die die Erkenntnisse vom Februar 2020 bestätigten.
Der Virologe Alexander Kekule hielt die nicht begutachtete Studie mit Drosten als Co-Autor nach Bekanntwerden eklatanter Mängel sowie nach massiver Kritik anderer Wissenschaftler an der Auswertung von Daten als nicht mehr haltbar.
Ende April bis Anfang Mai 2020 entschieden die verschiedenen Bundesländer, die Schulen für Kinder und Jugendlichen wieder zu öffnen.
Im Mai 2020 veröffentlichten mehrere zuständige deutsche Fachgesellschaften eine Stellungnahme, die klarstellte, dass Sars-CoV-2 für Kinder ungefährlicher sei als Influenza und Kinder „keine herausragende Rolle in der Ausbreitungsdynamik spielen“. Das bekam auch das RKI mit. Sieben Tage nach Veröffentlichung der Stellungnahme hielt das Institut in den Protokollen fest, dass „erste Anrufe zur Stellungnahme der Fachgesellschaften zu Schulschließungen an das RKI“ eingingen.
Am 30. November 2020 wurde in den RKI-Protokollen festgehalten: „Schulen sind eher nicht die treibenden Quellen, und Schulschließungen würden die Lage wohl noch eher verschärfen, allerdings müssten auch die Hygienekonzepte strikter umgesetzt werden.“
Aber trotz dieser Erkenntnisse wurden Mitte Dezember 2020 abermals bundesweit Schulen und Kitas geschlossen. Deutschland wird dann mit Polen zusammen die längsten Schulschließungen in Europa anordnen und damit immense und lang anhaltende psychische Schäden verursachen.
Sogar das Bundesverfassungsgericht bewertete Schulschließungen noch im November 2021 als zulässig und berücksichtigte dabei eine mangelhafte und zu spät eingereichte Stellungnahme der Charité, unterzeichnet von Christian Drosten.
Auch die Maskenpflicht bei Schulkindern wurde im RKI thematisiert. Im Herbst 2020 erließen alle Bundesländer Verordnungen, die Schüler und Schülerinnen zum stundenlangen Tragen von Masken zwangen. In den RKI-Protokollen heißt es an einer nun entschwärzten Stelle vom 21. Oktober 2020: „[Die] Maskenpflicht für Grundschüler [wird] kritisch diskutiert wegen evtl. Langzeitfolgen; Einzelschicksale: Depressionen, Suchtmittelkonsum steigen.“
Die eventuellen Langzeitfolgen sollten Realität werden. So heißt es in einer Evaluation der Maskenpflicht vom Facharzt für Hygiene und Umweltmediziner Günter Kampf: „Alltagsmasken führen bei Kindern in unterschiedlicher Häufigkeit zu verschiedenen gesundheitlichen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Unwohlsein oder Atemnot. Durch mehrmaliges Tragen entsteht ein höheres Kontaminationsrisiko der Maske, das Bakterien mit einer Antibiotikaresistenz einschließen kann.“
Die Fachleute im Krisenstab diskutierten fast seit Anbeginn des Corona-Geschehens kontrovers über den pandemischen Umgang mit Kindern. Doch trotz aller Zweifel und teils wider besseres Wissen folgten dann all die fragwürdigen, größtenteils medizinisch sinnlosen Maßnahmen zulasten der Kinder – Schulschließungen, Testen, Masken. Alles bei näherer Betrachtung nur schwer mit der UN-Kinderrechtskonvention zu vereinbaren.
Die Begründung lautete stets, dass Kinder und Jugendliche in signifikanter Weise am Infektionsgeschehen teilnehmen würden. Viele Maßnahmen waren viel gesundheitsschädlicher als das kindliche Risiko einer schweren Covid-Erkrankung oder die mögliche Virusübertragung an andere.
Wann wird dieser historische Verrat an den Kindern und Jugendlichen aufgearbeitet und wann übernehmen die zuständigen Entscheidungsträger und anderweitig Beteiligte dafür die Verantwortung?
Bastian Barucker, Jahrgang 1983, ist ausgebildeter Wildnispädagoge und lehrte auch an verschiedenen Hochschulen. Seit vier Jahren arbeitet er aufgrund des Corona-Geschehens als freier Journalist und Publizist. Sein Buch „Auf Spurensuche nach Natürlichkeit“ erschien im Sommer 2022 beim Massel-Verlag.
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