Ukraine-Konferenz und G7-Gipfel: Die doppelte Botschaft an Putin
Zwei Großtreffen, ein Vorurteil: Da kommt eh nichts bei rum. Doch der G7-Gipfel und die Ukraine-Friedenskonferenz haben zumindest die Chance auf Frieden vorangebracht.
Im Schweizer Bürgenstock haben 92 Staaten und mehrere internationale Organisationen nach einem Weg zum Frieden für die Ukraine gesucht.
G7-Gipfel sind aus der Zeit gefallen – und bei der Friedenskonferenz zur Ukraine kommt eh nichts raus. Bevor die beiden internationalen Großtreffen dieser Woche eröffnet wurden, standen die Urteile über sie längst fest: Relikt einer Welt, die es nicht mehr gibt (G7), Vorbote eines Friedens, den es noch lange nicht geben wird (Ukraine). Doch dieser Pessimismus könnte sich als verfrüht erweisen. Denn beide, das Treffen der sieben wirtschaftlich stärksten demokratischen Industrienationen der Welt im süditalienischen Apulien wie die Konferenz im schweizerischen Bürgenstock, sind – näher betrachtet – Ausdruck einer globalen Machtverschiebung, aus der etwas Positives entstehen könnte. Wahrscheinlich noch kein Frieden in der Ukraine, aber vielleicht ja ein Weg dorthin.
Die G7-Staaten haben erkannt, dass ein exklusiver Club der Reichen, der mit seinen Entscheidungen und Absprachen globale Auswirkungen hat, nicht mehr in eine Zeit passt, in der immer mehr Länder in Asien, Südamerika und Afrika größere wirtschaftliche Bedeutung erreichen, neues Selbstbewusstsein entwickeln – und ihr Mitspracherecht einfordern. Bundeskanzler Olaf Scholz war vor zwei Jahren der Erste, der als Gastgeber eines G7-Treffens Konsequenzen daraus zog und fünf Regierungschefs aus dem sogenannten Globalen Süden ins bayerische Elmau hinzubat.
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die diesjährige Gipfel-Gastgeberin, hat nun den Kreis der Regierungschefs aus dieser Region auf zehn erweitert – und den Papst auch noch dazu eingeladen. Ihr oft kritisiertes Legitimitätsproblem haben die G7-Staaten also durch informelle Erweiterung verringert, man kann sogar sagen: Die G7 können überleben, weil sie sich abschaffen – als exklusiven Club jedenfalls. Die Anpassung an eine sich verändernde Welt war halt schon immer die beste Überlebensstrategie. Frag nach bei Charles Darwin. Oder bei Markus Söder.
Diese Öffnung verleiht dem wichtigsten Ergebnis des G7-Gipfels umso mehr Gewicht: Die Ukraine erhält 50 Milliarden US-Dollar an Krediten, teilweise finanziert durch im Westen eingefrorene russische Vermögen, um Putins Truppen weiterhin Widerstand leisten zu können. Die Botschaft, die damit an den Großmachtfantasien nachjagenden russischen Präsidenten gesendet wird, ist klar: Wir stehen auch weiterhin fest an der Seite der Überfallenen. Und: Deinen Plan, auf Zeit zu setzen und zu glauben, die Solidarität mit der Ukraine werde mit jedem neuen Kriegstag ein bisschen schwächer, kannst du dir abschminken. Wenn es stimmt, dass Putin nur die Sprache der Stärke versteht, wird er hier genau hingehört haben. Entschiedenheit ist also die erste von zwei Großsignalen dieser Global-Meeting-Woche.
Auch an der Friedenskonferenz in der Schweiz kann man viel herummäkeln: dass weder der Aggressor, die Russen, noch dessen wichtigster Partner, die Chinesen, dabei war. Dass weitere Länder, die noch Einfluss auf Moskau haben, wie etwa Brasilien, Indien und Südafrika, nicht mit ihren Regierungschefs, sondern lediglich mit Hintersassen vertreten waren. Dass US-Präsident Joe Biden sich nach seinem G7-Besuch in Italien in der Schweiz von seiner glücklosen Vizepräsidentin Kamala Harris vertreten ließ und eine Wahlkampfspendengala in Hollywood vorzog. Dass das Ablesen zwei- bis dreiminütiger Statements vom Blatt wenig mit der komplizierten Suche nach einem Ausweg aus einem Konflikt zu tun hat, bei dem der Begriff Stellungskrieg nicht nur die militärische, sondern auch die politische Lage beschreibt. Und dass, zu schlechter Letzt, im Vorfeld die Erwartungen so heruntergeschraubt worden waren, dass man sich fragte, woher die Teilnehmer noch ihre Motivation schöpfen sollten.
Und dennoch: Wenn 92 Staaten von Kenia über Ecuador bis zu den Philippinen plus ein knappes Dutzend internationaler Organisationen sich zusammenfinden, um einen Krieg in Europa zu beenden, zeigt dies nicht nur erste Konturen einer neuen Welt. Es wird auch ein dynamischer Prozess in Gang gesetzt, der möglicherweise erstarrte Zustände aufbrechen kann.
Im Abschlusskommuniqué der Konferenz werden immerhin mehrere Schritte hin zu einem Friedensprozess markiert, die auch zu Wolodymyr Selenskyjs Zehn-Punkte-Plan gehören. Darunter fällt etwa der Verzicht auf Drohungen mit Nuklearwaffen sowie auf Angriffe auf Atomkraftwerke, die Garantie, dass die Ukraine, eine der Kornkammern Europas, über sichere Seewege Lebensmittel exportieren kann, sowie die Rückkehr der nach Russland entführten Kinder in die Ukraine. Das ist deutlich mehr als jene "diplomatische Nullnummer", die der Schweizer Konferenz prognostiziert worden ist.
Gegenüber Russland gab es zusätzlich eine Doppelbotschaft. In der Abschlusserklärung wird die Regierung in Moskau zur Achtung der "territorialen Integrität" der Ukraine "innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen" aufgefordert. Dass Putin am Eröffnungstag in Moskau ein Angebot unterbreitet hatte, das nach Verhandlungsbereitschaft klang, de facto aber einer Kapitulationserklärung der Ukraine gleichkäme, konnte diese entschiedene Schuldzuweisung der Bürgenstocker Weltgemeinschaft nicht verhindern. Die zweite, versöhnlichere Botschaft lautet: Wir sind prinzipiell verhandlungsbereit – das ist das andere Großsignal dieser Woche der Großkonferenzen.
Eine ganze Reihe von Staats- oder Regierungschefs haben entweder in ihren Redebeiträgen oder am Rande der Konferenz – darunter auch der Bundeskanzler – signalisiert, dass nach einer Reihe weiterer Vorverhandlungen eine Nachfolgekonferenz Sinn mache, an der auch Russland teilnehmen könne. Als mögliche Orte wurden bereits Saudi-Arabien und die Türkei genannt. Klar war aber auch: Der Weg dorthin ist noch weit.
Aus der Kombination aus Entschiedenheit (G7-Gipfel) und Gesprächsbereitschaft (Schweiz-Konferenz) erwächst nun – um ein Sprachbild des Kanzlers aufzugreifen – ein "zartes Pflänzlein Hoffnung" auf Frieden. Das muss noch reichlich bewässert werden. Auch von den Neuen im Garten der Weltpolitik. Aber vielleicht liegt genau darin ja die Chance auf eine Lösung.