Erschreckender AfD-Erfolg: Keine Ausreden mehr
Kolumne
Erschreckender AfD-Erfolg: Keine Ausreden mehr
Demonstration gegen die AfD, hier in Bochum
Menschen wählen ganz bewusst die AfD. Das hängt mit der Normalisierung rassistischer Denkweisen zusammen. Die Kolumne
Das war kein Rechtsruck. Das sind keine Protestwähler. Und bitte nicht mehr militärisch mit „Siegeszug“ der AfD titeln, liebe Medienschaffende. Sprache hat Wirkung und Schlagzeilenhascherei ist Teil der populistischen Maschinerie, mit der sich dieses Land seit Jahren nach rechts bewegt.
Mehrmals wurde es seit der Europawahl gesagt, aber noch einmal: Das Ergebnis ist keine Überraschung. Rechts geht für viele klar, weil das in vielen europäischen Ländern Programm ist. Nach über zehn Jahren mit der AfD wird es Zeit anzuerkennen, dass Menschen diese Partei bewusst wählen, weil sie eine pluralistische Demokratie ablehnen. Das hat mit der Normalisierung rassistischer, antisemitischer und sozialdarwinistischer Denkweisen zu tun. Wie uns anschaulich die menschenverachtende Party auf Sylt gezeigt hat.
Viele haben sich darüber empört, viele andere hatten kein Problem mit den Gesängen. Sie sind schließlich von der Meinungsfreiheit gedeckt. Sylt ist überall, und Schlimmeres, wie die rassistisch-gewaltvolle Attacke einer Gruppe auf zwei ghanaische Mädchen in Grevesmühlen zeigt.
Mit unserer Gesellschaft ging es in Schüben und diskursiven Wellen immer weiter nach rechts. Es passiert, bildlich gesprochen, in einem Zug, in den auch konservative Stimmen, Mitglieder „etablierter“ Parteien und manche Medienschaffende und desillusionierte migrantisierte Menschen eingestiegen sind. Sie alle machen mit bei der Inszenierung eines Kulturkampfes. 75 Jahre Grundgesetz, schon das ist vielen zu woke. Die Würde des Menschen ist antastbar und Menschenrechte? Drauf gepfiffen! Klingt nach Verschwörungstheorie? Habe ich extra so getextet. Weil Populismus gut funktioniert und wer davon profitiert, zeigt das Wahlergebnis.
Wir wissen jetzt, dass Polarisierung zu höherer Wahlbeteiligung führt. Dass sich die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht als rechts und populistisch zusammenziehen lassen und menschenverachtende Skandale kein Nachteil sind, weil sich eine Wagenburg-Mentalität bei den Anhänger*innen etabliert hat. Sprich: Es wird sich verschanzt und es hilft, an die Berichterstattung „alternativer Medien“ zu glauben. Apropos Medien. Die sind kritisch betrachtet insgesamt schnell dabei, einen einseitigen Diskurs mit voranzutreiben. Wenig überraschend, dass nach dieser Wahl diese erbärmliche innenpolitische Debatte über straffällige Ausländer und ihre Abschiebung so viel Aufmerksamkeit bekommt.
Es ist bitter, dass unzählige Politiker*innen Abschiebungen nach Afghanistan fordern und dabei ein Land und seine Gefahren schnick schnack schnuck neu bewerten. Aber hey, ich sagte ja, 75 Jahre Grundgesetz und wer gibt noch was auf Menschenrechte. Darum zum Schluss ein Appell an die vielbeschworene schweigende Mehrheit.
Wie wäre es, sich dem rassistisch-pauschalisierenden Frame von Muslimen als Bedrohung entgegenzustellen und differenzierte Geschichten aus unserer Migrationsgesellschaft beim Medium ihrer Wahl zu fordern? Den Fokus darauf zu richten, dass seit Generationen hier lebende afghanische Familien nach 20 Jahren gescheiterter deutscher Außenpolitik Angst haben, weil Nachbarn ihnen Hasspost in den Briefkasten stecken und ihnen die Abschiebung wünschen?
Am Tag der Europawahl wäre eines der Opfer des Anschlags von Hanau, der Deutsch-Afghane Said Nesar Hashemi, 26 Jahre alt geworden. Der Terror ist auch ein deutsches Problem. Genau wie sein Antisemitismus. Und nein. Weder die Jugend noch der Osten alleine sind Schuld am Erfolg der Rechten. Ihr Wahlverhalten ist vielmehr das Symptom eines bundesdeutschen Problems fehlender Aufarbeitung. Es breitet sich weiter aus, wenn wir nicht wehrhaft sind. Darum gilt es, die Mutigen zu unterstützen.
Hadija Haruna-Oelker
ist Politikwissenschaftlerin,
Autorin und Moderatorin.