Eine Ukrainerin geht zur Armee: An vorderster Front
War Programmleiterin des Pinchuk Art Centre und Mitbegründerin des Techno-Clubs K 41 in Kiew: Hanna Vasyk
Ich bin Hanna. Ohne Uniform würde ich ganz ähnlich aussehen wie Sie. Ich habe einen Master in Politikwissenschaften und einen Doktor in Philosophie. Ich bin viel gereist und war in 41 Ländern. Fünfzehn Jahre lang hatte ich Führungspositionen in der Kreativindustrie, ich habe den größten ukrainischen Techno-Club gegründet und an Universitäten Vorträge gehalten.
Aber ich bin auch eine Frau, die als Armee-Sanitäterin an einem der härtesten Abschnitte der ukrainischen Front gearbeitet hat. Beim Dorf Werbowe in der Region Saporischschja. Ich bin eine Frau, die gerade bei einem Kampfeinsatz mit den Luftangriffstruppen war. Ich bin eine Frau, die Dutzende Verwundete evakuiert und viele Verwundete mit zerschmetterten oder abgerissenen Gliedmaßen behandelt hat.
Musste schießen lernen: Hanna Vasyk in Kiew.
Ich kenne die Pfeiftöne des Todes
Wie viele von uns war ich täglich im Geschosshagel, jeden Tag fielen zehn 500-Kilo-Fliegerbomben. Ich kann alle Klänge des Todes am Pfeifton erkennen: Mörser, Grad-Raketen, Smertsch-Raketen, lasergesteuerte Kab-Bomben, Panzer (die übrigens keine Pfeifen haben).
Ich bin eine Frau, die die Vitalfunktionen von Kameraden geprüft und sie für tot erklärt – und entschieden hat, andere Schwerverletzte mitzunehmen. Sanitätsfahrzeuge haben nämlich begrenzten Platz. Ich bin eine Frau, die Kameraden begraben hat. Viele von ihnen.
Für Sie sehe ich gesund aus. Ich habe beide Arme und Beine. Bis jetzt. Aber ich habe unsichtbare Verletzungen. Posttraumatische Belastungsstörungen. Eine Gehirnerschütterung, ein geplatztes Trommelfell.
Der Platz in der ersten Reihe beim wichtigsten Ereignis der ganzen Welt kostet seinen Preis. Dies ist, was ich bezahle. Bisher nicht übertrieben viel. Denn Tausende von uns haben schon den höchsten Preise bezahlt – und es reicht nicht aus.
Als der Große Krieg losging, war ich auf Reisen in Uganda. Ich flog nach Berlin, um warme Kleidung zu holen, dort bekam ich gute Jobangebote. Aber ich ging zurück in die Ukraine. Ich machte eine Militärausbildung für Zivilisten, absolvierte neun Kurse für Armee-Sanitäter, kaufte ein Gewehr und feuerte meine ersten 1000 Schuss ab. Davor hatte ich nie geschossen und wusste nicht, was ein Tourniquet ist (ein Stauschlauch zum Abbinden von Wunden).
Vielleicht fragen Sie sich, warum ich eine so irrationale Entscheidung getroffen habe, das sichere Deutschland zu verlassen und die guten Jobangebote abzulehnen?
Ich sage Ihnen warum. Weil, wenn die Ukraine nicht gewinnt, alles andere für mich bedeutungslos sein wird. Weder unsere Kultur noch unsere Nation wird es geben, wenn wir verlieren. Und auch die ganze demokratische Welt und ihre Werte werden bedeutungslos sein. Wenn wir verlieren, wird das der Beweis dafür sein, dass die Demokratie und all ihre Werte unecht sind. Darum werde ich bis zum Ende kämpfen. Damit ich weiß, dass ich alles getan habe, um zu beweisen, dass diese Werte nicht unecht sind.
Ohne Uniform würde ich ganz ähnlich aussehen wie Sie. Schauen Sie mich an. Leute, die mich gekannt haben, sagen, meine Augen seien jetzt anders. Aber es sind nicht nur die Augen. Ich bin jetzt ein ganz anderer Mensch. Ich habe meine Karriere, meine Beziehung, meinen Wohlstand, meinen Komfort und meine Gesundheit geopfert. Aber meinen Freiheitswillen habe ich nicht geopfert. Und mein Recht zu kämpfen. Darum mag ich mein neues Selbst. Es fühlt sich unglaublich gut an, für unsere Freiheit und Zukunft zu kämpfen.