Deutschlandticket: Zahlreiche Gebiete stellen sich laut grünem Verkehrsminister auf Aus für Fahrschein noch 2024 ein
Der Streit um das Deutschlandticket droht zu eskalieren. Mancherorts wird offenbar schon ab Herbst 2024 ohne den Fahrschein geplant, weil Geld fehlt. Das Bundesverkehrsministerium beruhigt.
Deutschlandticket: Zahlreiche Gebiete stellen sich laut grünem Verkehrsminister auf Aus für Fahrschein noch 2024 ein
Der Vorstoß von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), das Deutschlandticket ab kommendem Jahr teurer zu machen, provoziert heftigen Widerstand: Das Ticket könnte sogar schon in diesem Jahr in einigen Gebieten abgeschafft oder stark verteuert werden, warnte der Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, NRW-Landesminister Oliver Krischer (Grüne) am Dienstagnachmittag.
In einem Schreiben Krischers an Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesverkehrsminister Volker Wissing (beide FDP) heißt es: »Ich sehe die große Gefahr, dass in Kürze ein unüberschaubarer Flickenteppich mit Gebieten, in denen das Deutschlandticket fortgeführt werden kann, und anderen, in denen aus Finanzgründen darauf verzichtet werden muss, entsteht. Um dies zu verhindern, bliebe nur die Möglichkeit, den Preis des Deutschlandtickets sehr kurzfristig massiv zu erhöhen.« Anfang nächster Woche könnte es zu einer Sonder-Verkehrsministerkonferenz kommen.
DER SPIEGEL fasst die wichtigsten News des Tages für Sie zusammen: Was heute wirklich wichtig war - und was es bedeutet. Ihr tägliches Newsletter-Update um 18 Uhr. Jetzt kostenfrei abonnieren.
Das Schreiben, über das zuerst das »RedaktionsNetzwerk Deutschland« (RND) berichtet hatte, lag der Nachrichtenagentur dpa vor.
Im April hatten die Landesverkehrsminister verkündet, dass der Preis für das Ticket 2024 nur stabil bleiben könne, wenn 2023 dafür nicht genutzte Gelder auf das Folgejahr übertragen werden. Das hatten die Länder mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) einige Monate zuvor vereinbart. Der Bund solle dazu unverzüglich das Regionalisierungsgesetz ändern.
Das sei immer noch nicht geschehen, kritisierte Krischer, der mit seinem Schreiben offenbar den Druck auf dem Bund erhöhen will. Der Verkehrsbranche fehle das wichtige Signal des Bundestags noch vor der Sommerpause, dass der Bund sich an seine Zusagen halte. »Mich erreichen immer mehr Hilferufe von Aufgabenträgern, die die aktuelle Finanzierungssituation als unzureichend und daher unsicher ansehen. Viele Aufgabenträger haben daher Beschlüsse gefasst, die eine Beendigung des Deutschlandtickets zumeist im Herbst 2024 vorsehen.« Dies sei auch nachvollziehbar. Als Aufgabenträger werden etwa Verkehrsverbünde, Landkreise oder zuständige Landesverkehrsministerien bezeichnet.
Ohne die restlichen Mittel aus 2023 reiche das Geld nur aus, um das Deutschlandticket bis etwa Ende September 2024 zu finanzieren, warnte Krischer.
Wissing wartet auf Freigabe durchs Kanzleramt
Das Bundeskabinett müsse Änderungen des Regionalisierungsgesetzes noch vor der Sommerpause beschließen, so Krischer. »Ohne einen solchen Schritt würde die Haltung des Bundes zu notwendigen Preiserhöhungen des Deutschlandtickets noch in 2024 führen und zu einer deutlichen finanziellen Belastung von mehr als 11 Millionen Kundinnen und Kunden.
In einem Antwortschreiben Wissings an Krischer heißt es, eine Formulierungshilfe für einen Gesetzentwurf sei fertiggestellt und mit dem Finanzministerium abgestimmt. »Die Sache liegt zur Freigabe beim Bundeskanzleramt.«
Das Deutschlandticket für derzeit 49 Euro im Monat kann seit dem 1. Mai 2023 bundesweit im Nah- und Regionalverkehr genutzt werden. Gut elf Millionen Tickets wurden zuletzt monatlich verkauft. Das Geld von Bund und Ländern wird benötigt, um Einnahmeausfälle bei Verkehrsbetrieben durch den im Vergleich zu früheren Angeboten günstigen Fahrschein auszugleichen.
Fahrgastverband: maximal zehn Euro mehr
Der Preis für 2025 wird derzeit ebenfalls noch debattiert. Man müsse sich aus finanziellen Gründen zwischen einer Verlängerung des Deutschlandtickets und anstehenden Investitionen in die Bahn entscheiden. Man könne nicht beides haben, hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner vor wenigen Tagen erklärt. Im aktuellen Haushaltsstreit lotet die Ampelregierung derzeit aus, wo künftig gespart werden soll.
»Wenn es eine Erhöhung gibt, dann maximal um zehn Euro«, erklärte Detlef Neuß, Bundesvorsitzende vom Fahrgastverband Pro Bahn gegenüber dem SPIEGEL. Er wolle gar keine Erhöhung und 59 Euro seien die oberste Grenze. »Mehr ist nicht zumutbar und würde die Wirkung des Tickets untergraben.«
Neuß rechnet bei einer Erhöhung von 20 bis 30 Euro damit, dass wieder mehr Menschen auf das Auto umsteigen könnten. »Auch wenn das dann immer noch günstiger als Autofahren wäre, nutzen das viele als Argument, das Ticket abzubestellen«, glaubt er. Autofahrer würden selten alle Kosten mit einrechnen – inklusive Versicherung, Wartung und Kraftstoffe seien Autos immer die teurere Variante.
Bund und Länder subventionieren das Angebot pro Jahr mit jeweils 1,5 Milliarden Euro. Eine Preisgarantie seitens des Bundes und der Länder gibt es nur noch für dieses Jahr. Pro-Bahn-Sprecher Neuß hält das Entweder-oder-Argument von Lindner für falsch: »Wir brauchen beides und sollten Investitionen und Ticketpreis nicht gegeneinander ausspielen.« Er schlägt vor, bei anderen Posten zu sparen, etwa beim Dienstwagenprivileg. »Allein das kostet uns jährlich 5,5 Milliarden – da sind die 1,5 Milliarden für das Deutschlandticket ein Schnäppchen dagegen«, so Neuß.
Auch Sozialtickets für Einkommensschwache könnte er sich vorstellen. Allerdings müsse »Schluss sein mit dem Flickenteppich«. Die Zuschüsse für finanziell schwach aufgestellte Bürger müssten aus den Sozialkassen des Bundes bezahlt werden. Das zusätzliche Geld dafür könne man sich ebenfalls von der Abschaffung umweltschädlicher Subventionen besorgen, so Neuß.