Neues Einbürgerungsgesetz: Warum ich Deutsche werden und Russin bleiben will
Einbürgerungsfeier – frisch Eingebürgerte singen die deutsche Nationalhymne. (Symbolbild)
Den 27. Juni hatten sich viele Zuwanderer wie ich – Migranten also – im Kalender rot angestrichen. Nun ist das längst erwartete neue Einbürgerungsgesetz, das die doppelte Staatsbürgerschaft ermöglicht, fünf Monate nach dem Beschluss des Deutschen Bundestags endlich in Kraft getreten. Die Freude ist bei den Interessenten groß – doch inwiefern ist die deutsche „Urbevölkerung“ bereit, die einstigen Fremden als neue Mitbürger willkommen zu heißen?
Denn die scharfe Kritik an der Reform der Ampel-Regierung bleibt. Die Befürchtung ist, dass das Gesetz von rechtsuntreuen oder schlecht integrierten Antragstellern durch eventuelle Schlupflöcher missbraucht werden könnte, denn die Mindestaufenthaltsfrist wurde gekürzt und andere Anforderungen wurden zum Teil vereinfacht. Diese Besorgnis ist durchaus berechtigt, wenn man die tödliche Messerattacke in Mannheim oder das Erstarken der AfD im Osten bedenkt.
Doch wie pauschalisierend kann die ablehnende Haltung sein? Die CDU geht noch weiter und will die doppelte Staatsbürgerschaft im Fall einer Regierungsbeteiligung wieder zu einer Ausnahme machen, beschränkt auf „Staaten, die unsere Werte teilen“, wie der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU), der Berliner Zeitung sagte. Nach dieser Logik würden nicht die Integrationsleistungen einzelner Kandidaten zählen, sondern ihre Abstammung und Herkunft wären entscheidend in der Frage, ob die Menschen sich nur als Deutsche identifizieren sollen oder nicht. Die CDU meint in erster Linie wahrscheinlich arabische Länder mit autoritären Regimen, doch auch Russland hält sich als kriegsführendes, autoritäres beziehungsweise schon totalitäres Land nach der Logik nicht an die europäischen Werte – eine Sondersituation.
Dabei sind die Fälle doch so unterschiedlich. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, gefördert durch die Globalisierung, zeigen zudem, dass man in Deutschland rechtstreu leben und sich als beides identifizieren kann: Griechin und Deutsche, wie meine vor kurzem eingebürgerte Kollegin Katerina Alexandridi es so schön beschrieben hat, oder als Italiener mit einer deutschen Seele, wie der Kollege Francesco Becchi sich sieht – es ist die neue Normalität. Und es gehört auch längst zur Realität, dass viele Ausländer Deutschland zu ihrer Wahlheimat gemacht haben, wo sie fleißig arbeiten, Steuern zahlen und die sie gerne auch mitgestalten möchten, in ihrem Herkunftsland aber weiterhin eine Familie und ja, zum Teil auch ihr Herz haben und deswegen ihre ursprüngliche Identität und ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit nicht komplett aufgeben wollen.
Ich selbst komme aus einem russischen Dorf und hatte ab der fünften Klasse Deutsch als erste Fremdsprache. In gewissem Sinne träumte ich schon immer von Deutschland, kam 2016 alleine für ein Masterstudium nach Berlin und kehrte vor viereinhalb Jahren wieder in die Bundesrepublik zurück, um hier zu bleiben. Ich fühle mich zunehmend auch als Deutsche – sprachlich, mental, beruflich. Ich habe mir mein Leben hier hart erarbeitet, nie Sozialhilfe bezogen und sehe es kritisch, wenn Ausländer nach vielen Jahren immer noch kein Deutsch sprechen. Für mich war das immer eine Selbstverständlichkeit, eine Frage des Respekts gegenüber dem Land und den Menschen hier. Deswegen freue ich mich auf die Möglichkeit, Deutsche auch auf dem Papier zu werden, eine „von uns“, ich will dazugehören. Das neue Einbürgerungsgesetz kommt mir deswegen sehr gelegen, weil ich dabei nicht zwangsläufig auf meinen russischen Pass verzichten muss, wie es bis vor kurzem noch der Fall war.
Man kann es unterschiedlich sehen. Einige Bekannte von mir wollen wegen der russischen Invasion in der Ukraine ihre Pässe buchstäblich „verbrennen“, weil sie mit Russland nichts mehr verbindet. Sie wollen mit dem Staat nichts zu tun haben und pfeifen dabei auf das Land. Ich stattdessen versuche, den Staatsapparat vom Land zu trennen, kritisch, aber weitsichtig zu bleiben und strategisch zu denken – in der Hoffnung, dass die besseren Zeiten noch kommen werden. Ich bin noch jung genug, um daran zu glauben – abgesehen davon, dass alle meine Verwandten in Russland leben. Ich bin auch Russin, und daran wird sich nichts ändern.
Diese beiden Identitäten verflechten sich auf eine spannende Weise in mir und ergänzen einander. Ich kann Russen aus der deutschen Perspektive und Deutsche aus der russischen Perspektive kritisieren. Ich verteidige Deutschland gegen die unberechtigte Kritik der Russen und umgekehrt – und das erfüllt mich trotz der schwierigen deutsch-russischen Geschichte mit Freude. Dass Russen und Deutsche einander wieder als Bedrohung sehen, bricht mir das Herz. Die doppelte Staatsbürgerschaft steht für mich deswegen ein bisschen auch für die Hoffnung auf ein friedliches, respektvolles Miteinander in der Zukunft.
Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! [email protected]