Demokratie unter Druck, Angst vor dem Crash
Mit den Wahlen an diesem Sonntag in Frankreich steht auch das liberale Europa auf dem Spiel. In Frankreich könnte der Populismus einen nächsten Erfolg feiern, in Großbritannien wiederum scheint der Populismus-Spuk — vorerst — vorbei. Ein Ergebnis bitterer Lehren aus dem Brexit.
Die Frontfrau der französischen rechtsnationalistischen Sammlungsbewegung (RN), Marine Le Pen, und RN-Parteichef Jordan Bardella fordern das Lager von Emmanuel Macron bei der Wahl zur Nationalversammlung heraus
Frankreich hat die Wahl. Es geht um Europa. Es geht um Populismus. Es geht um die Demokratie. Ein Präsident, ein Wort. Entschlossen hat Präsident Emmanuel Macron nach dem klaren Sieg der französischen (europakritischen) Rechtspopulisten bei der Europa-Wahl die Nationalversammlung aufgelöst und Neuwahlen angesetzt. An diesem Sonntag steht die erste Runde an, Stichwahlen zwei Wochen später. Er will retten, was unter Demokraten zu retten ist. Ein riskantes Manöver, doch Macron, dessen pro-europäisches Lager weniger als die Hälfte der Stimmen des rechts-nationalistischen Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen verbuchen konnte, verbindet den Wahlaufruf geschickt mit einer Vertrauensfrage an seine Landsleute. Welches Land hättet ihr gerne? Die Französinnen und Franzosen wüssten genau, was das Beste für ihr Land sei. Hoffentlich wissen sie das wirklich.
Macron, der bei der nächsten Präsidentenwahl 2027 in Frankreich nach dann zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten nicht wieder gewählt werden kann, will schon jetzt die Brandmauer gegen einen noch stärkeren Rechtsruck hochziehen. Denn wenn es in drei Jahren RN-Frontfrau Le Pen tatsächlich gelingen sollte, als erste Präsidentin in den Elysée-Palast einzuziehen, müsste sich Europa erst einmal gründlich neu sortieren. Le Pen hat gelernt und begriffen, dass sie es von Rechtsaußen vermutlich nicht an die Staatsspitze schaffen kann, sondern in Richtung Mitte steuern muss. Entsprechend hat sie sich vom Kurs der Hardcore-Nationalisten der deutschen AfD schnell distanziert. Ob es ein Akt echter Überzeugung war, ist eine andere Frage. Es war auf jeden Fall politisches Kalkül, kühl eingesetzt. Denn sie hat ihr Ziel: Madame la Présidente. Le Pen wird bei Giorgia Meloni interessiert beobachtet haben, wie eine Postfaschistin dennoch Anerkennung im Kreis der europäischen Staats- und Regierungschefs gefunden hat. Außenpolitisch gilt Meloni als berechenbar und verlässlich, innenpolitisch hat sie weitgehend freie Hand.
Macron sorgt sich zu Recht um die Fünfte Republik, auch darum, dass die politische Mitte marginalisiert werden könnte. Neben dem Druck von rechts durch Le Pen und ihre Mitstreiter ist das neue französische Linksbündnis Nouveau Front Populaire der andere Teil der Zange, in die sich die Mitte-Parteien genommen sehen. Nichts ist einfach, und sollten in Frankreich womöglich eine Staatskrise und eine Finanzkrise Hand in Hand gehen, dann droht Europa ein schwerer Unfall. Ein europäischer Crash.
Doch auch der Populismus ist – als politisches und gesellschaftliches Phänomen – zeitlich befristet. In den USA haben die Wählerinnen und Wähler 2020 – knapp – Donald Trump abgewählt, auch wenn er nun eine Renaissance sucht. Tropen-Trump Jair Bolsonaro ist in Brasilien Geschichte. In Großbritannien spüren die Menschen längst, dass der Brexit einem politischen Roulette folgte. Nun hat Labour wieder die Chance auf die Macht. Doch Großbritannien ist raus – aus der EU. Macron will, dass Frankreich ein Stabilitätsanker für die EU und ein Europa bleibt, dass schwer unter Druck geraten ist. Dafür braucht es keine Welle. Denn Populismus macht, was populär ist, also gerne Abnehmer findet. Doch Vox populi ist nicht immer gut fürs Volk – und schon gar nicht immer vernünftig.
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