Europas Zukunft - Expertin erklärt, warum Frankreichs Schicksalswahl unangenehm für Deutschland wird
Frankreich, Paris: Die Vorsitzende der französischen rechtsextremen Nationalen Sammlungsbewegung, Marine Le Pen (l), neben Jordan Bardella Thomas Padilla/AP/dpa
Inmitten politischer Unsicherheit und bevorstehender Wahlen in Frankreich wirft Ulrike Franke, Expertin für deutsche und europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, einen differenzierten Blick auf die möglichen Auswirkungen der Schicksalswahl auf die deutsch-französischen Beziehungen.
Wie viel Sorgen sollte uns die anstehende Wahl in Frankreich bereiten?
Durchaus einige. Wir durchleben hier in Frankreich Wochen der großen politischen Unsicherheit. Die Wahl zum Parlament kommt überraschend – Präsident Emmanuel Macron hatte sie nach der verlorenen Europawahl ausgerufen – und mit dem kurzmöglichsten Vorbereitungszeitraum anberaumt. Die aktuelle Regierung, die von Macrons Partei geleitet wird, hat kaum noch Zustimmung. Stattdessen haben sich an dem sehr rechten und dem (sehr) linken Rand die Kräfte mobilisiert. Es erscheint gut möglich, dass Oppositionsparteien an die Macht kommen. Das hieße eine „Co-habitation“ für die nächsten drei Jahre – also eine Regierung und Premierminister aus einer anderen Partei als der Präsident. Das ist eine sehr seltene Konstellation in Frankreich.
Kann man schon abschätzen wer gewinnen wird?
Tatsächlich nicht. Natürlich gibt es Umfragen, aber die sind aus zwei Gründen wenig sicher. Erstens hat Frankreich eine Wahl in zwei Runden. Im ersten Wahlgang können alle Parteien ihre Kandidaten ins Rennen schicken. In die zweite Runde kommt nur, wer mehr als 12,5 Prozent der Stimmen auf sich vereint. Das können zwei Kandidaten sein, oder auch drei oder gar vier. Das macht Vorhersagen schwierig.
Zweitens hat sich auf der linken Seite des Spektrums ein neues Wahlbündnis formiert, der „Nouveau Front Populaire“, also „Neue Volksfront“. Dieses Bündnis ist noch keine zwei Wochen alt und besteht ausschließlich, um die Rechte von der Macht fernzuhalten. Hier kommen Parteien vom ganz linken Rand, wie die Kommunistische Partei, oder die „France Insoumise“, zusammen mit gemäßigteren Kräften wie der Sozialistischen Partei PS, welche zuletzt mit Francois Hollande den Präsidenten gestellt hat.
Dieses Wahlbündnis hat die Wahlkreise Frankreichs dahingehend aufgeteilt, dass sie sich keine Konkurrenz im ersten Wahlgang machen. Sie schicken also nur einen Kandidaten oder Kandidatin ins Rennen, um zu garantieren, in die Stichwahl zu kommen. Nur ist überhaupt nicht garantiert, dass ein Wähler der PS bereit ist, für einen linksradikalen Kandidaten zu stimmen, nur weil er oder sie in dem Wahlkreis der Kompromisskandidat ist. Dasselbe gilt andersherum. Und wo diese Wähler landen, ob bei Macron oder bei dem rechten Rassemblement National, das weiß keiner.
Wer hat die besten Chancen bei der Wahl? Das „Rassemblement National“ unter Marine Le Pen?
Das ist richtig. RN hat die Europawahl mit über 30 Prozent gewonnen - doppelt so viel, wie Macrons Partei bekommen hat. Sie sind populär und liegen in den Umfragen vorne. Im Übrigen ist es gar nicht die in Deutschland bekannte Marine Le Pen, die als Premierministerin vorgesehen ist. Sie wartet wohl auf die Präsidentschaftswahl in drei Jahren. Eher soll der 28 jährige Jordan Bardella Premier werden. Aber ob es für eine absolute Mehrheit reicht, ist ungewiss – und Bardella hat schon angedeutet, nur mit einer absoluten Mehrheit regieren zu wollen. Es bleibt also unsicher.
Muss sich Deutschland auch Sorgen in Außen- und Sicherheitspolitik machen,sollte eine neue Regierung an die Macht kommen?
Ja. Eigentlich sagt man, dass es in Frankreich der Präsident ist, der über die Außen- und Sicherheitspolitik bestimmt. Das nennt sich „domaine reservé“, also reservierter Bereich. Macron ist noch bis 2027 gewählt, man könnte also meinen, es würde sich in diesem Bereich wenig ändern, egal wer an die Regierung kommt. Nur ist es beim näheren Hinsehen die französische Verfassung da nicht so eindeutig. Der Präsident ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, und über den Einsatz der französischen Atomwaffen bestimmt nur er oder sie. Aber gleichzeitig heißt es in der Verfassung, dass der Premier Minister für die Landesverteidigung verantwortlich ist.
Innerhalb der EU fährt der Präsident zu den Treffen des europäischen Rates, wo viele wichtige Entscheidungen getroffen werden. Aber alle Minister – auch die Außen- und Verteidigungsministerposten – sind von der Regierung besetzt. Sie fahren dann zu den EU Ministertreffen. Das könnte zu widersprüchlichen Signalen und schizophrener französischer Außenpolitik führen. Das Parlament hat zudem, ähnlich wie in Deutschland, die Entscheidung über das Budget. Alles was Geld kostet, braucht also eine Mehrheit im Parlament. Es könnte für Macron sehr schwierig werden, die Außen- und Sicherheitspolitik zu bestimmen.
Aber inwieweit sind denn die Positionen der möglichen neuen französischen Regierungen problematisch für Deutschland?
Auf der rechten Seite ist es klar: das Rassemblement National hat für eine Zusammenarbeit mit Deutschland nichts übrig. In ihrem 2022 Programm zur Verteidigungspolitik heißt es zum Beispiel, dass die Beziehungen zu Deutschland „weitgehend neu gestaltet“ werden. Man stellt eine „tiefe und unheilbare doktrinäre, operative und industrielle Meinungsverschiedenheit mit Berlin“ fest.
Die großen gemeinsamen Verteidigungsprojekte FCAS und MGCS, also das gemeinsame vernetzte Kampfflugzeug und der Kampfpanzer sollen sofort beendet werden. Aus dem integrierten militärischen Kommando der NATO will RN sich ebenfalls zurückziehen – und als russlandfreundlich, inklusiver finanzieller Beziehungen, ist RN schon lange bekannt. Die Beziehungen zu den USA indes sollen schwächer werden.
Auch wenn die Details unsicher sind, da die RN noch nie in Regierungsverantwortung war, und manche Positionen dieser Tage etwas verwässert werden, so scheint doch klar, dass eine RN Regierung die Zusammenarbeit mit Deutschland massiv zu beschränken versuchen würde. Frankreichs Engagement für die Ukraine und die NATO Ostflanke würden voraussichtlich mindestens zurückgefahren.
Wie sieht es auf der linken Seite aus?
Auf der linken Seite ist die Unsicherheit noch größer, wegen des oben beschriebenen Wahlbündnisses. Da kommen sehr unterschiedliche Positionen zusammen. „La France insoumise“ und die Kommunisten wollen zum Beispiel auch aus dem integrierten Militärkommando der NATO austreten und dann mittelfristig sogar aus der NATO. Die PS hat da gänzlich andere Positionen.
Jean-Luc Melenchon, der Anführer der France Insoumise hat sich in den letzten Jahre als deutschlandkritisch hervorgetan. Er beleidigte Angela Merkel auf Twitter mit den Worten „Maul zu, Frau Merkel! Frankreich ist frei“. 2018 schrieb er einen Artikel in Le Monde, in dem er Deutschland vorwarf, die Hegemonie in Europa an sich zu reißen, inklusive Militärmacht und dem Aneignen der französischen Atombombe. Raphaël Glucksmann, der Europakandidat der PS, der mit zentristischen Positionen ins Rennen ging und damit durchaus Erfolg hatte, sieht das sicherlich anders.
Was am Ende beim Nouveau Front Populaire rauskommt, die Außen- und Sicherheitspolitik betreffend, sowie zum Verhältnis zu Deutschland ist unsicher. Aber auch hier scheint klar: Macrons Positionen, von der Unterstützung der Ukraine, zur engen Verbindung nach Berlin werden mindestens geschwächt sein.