Handelspräsident: "Wir sind der Mistkübel für Überproduktion aus China"

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Der Einzelhandel wittert nach vier Jahren Krise Morgenluft. Starker Wind rauschte vor allem durch den Modehandel.

Handel ist ein Abbild der Gesellschaft, sagt Stephan Mayer-Heinisch, Präsident des Handelsverbands. Als Querschnittsmaterie zwinge dieser einen dazu, sich mit allen gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen auseinanderzusetzen. Konsum nennt er Lebensqualität. "Hören wir auf zu konsumieren, sind die letzten Spatzen tot."

STANDARD: Wirtschaftsforscher sehen die Konsumlaune steigen. Ist die Durststrecke des Handels vorbei?

Mayer-Heinisch: Es gibt Anzeichen dafür, dass die ersten Schwalben gelandet sind. Eine Schwalbe macht aber noch keinen Sommer. Einige Unternehmen bekommen die Nase wieder über Wasser. Die Frage ist, wie nachhaltig diese Erholung ist. Gott behüte, was passiert, wenn der nächste Energiepreisschock droht, sollten die Gaslieferungen aus Russland ausbleiben.

STANDARD: Viele Löhne und Gehälter sind heuer kräftig gestiegen. Davon sollte der Handel doch spürbar profitieren?

Mayer-Heinisch: Dieses Geld ist, anders als viele Konsumforscher meinen, nicht in den Handel geflossen. Aber auch Wahlforscher tippen nicht immer richtig. Was gut läuft, ist der Diskont. Ich erinnere an den Lipstick-Effekt: Mit kleinem Geld lassen sich kleine Freuden bereiten. Immer noch schwer tun sich investitionsintensive Branchen wie der Möbel- und Sporthandel. Bei E-Bikes etwa ist die Party vorbei. Die Lager sind krachend voll. Hier bahnt sich ein Umbruch in der Technologie, in der Produktion und im Handel an.

STANDARD: An Kaufanreizen fehlt es nicht. Wie stark rühren billige chinesische Onlineshops den Markt um?

Mayer-Heinisch: Die Panzerknacker sind schon da. Temu und Shein liefern 300 Millionen Pakete pro Monat. Tiktok will Ende des Jahres in den Markt einsteigen und hat dafür 135 Millionen Adressen. Vor unseren Haustüren spielt sich eine Revolution ab, vergleichbar mit dem Start des E-Commerce 2008. Wir sind der Mistkübel für Überproduktion aus China. Auf dem Weltpostmarkt gilt China immer noch als ein Entwicklungsland und genießt daher präferierte Tarife. Das muss man sich erst einmal vorstellen!

STANDARD: Eben noch war Amazon der Gottseibeiuns des Handels. Angesichts der neuen Rivalen dünkt sich der Konzern geradezu harmlos.

Mayer-Heinisch: Die Bäume wachsen nicht in den Himmel. Das gilt auch für Amazon. Nicht umsonst stehen seine Lager in Polen leer. Wer wie viele schlechte Taten vollbringt, ist immer eine Frage der Relation. Die bösen Buben sind Temu und Shein. Sie liefern direkt vom Produktionsband zu Kunden, schalten den Zwischenhandel aus und halten ihre Preise damit radikal niedrig. Vorschriften rund um Verbraucherschutz, Produktsicherheit, Datenschutz, Abfallwirtschaft, Umwelt und Steuern werden umgangen. Konsumenten, die mit ihnen ein Problem haben, können sich beim Salzamt beschweren.

STANDARD: Die EU-Kommission hat einzelne Regeln für Temu verschärft. Reagiert sie ausreichend auf die Hilferufe des europäischen Handels?

Mayer-Heinisch: Wir reden seit einem Jahr – und nichts passiert. Würden Temu und Shein mit den gleichen Waffen kämpfen wie unsere Händler und siegen, gratuliere ich herzlich. Doch dem ist nicht so. Wir fordern nichts anderes als die gleichen Rahmenbedingungen für alle. Andernfalls werden Strukturen in Europas Einzelhandel irreparabel zerstört. Millionen Pakete aus China bleiben nicht ohne Folgen.

STANDARD: In Österreich ist die Zahl der Insolvenzen im Handel im ersten Halbjahr um 21 Prozent gestiegen.

Mayer-Heinisch: Der Handel wird von zwei Seiten in die Zange genommen. Auf der einen Seite von unfairem Wettbewerb, auf der anderen von dramatisch gestiegenen Kosten für Energie, Personal, Mieten und Material. Starker Wind ist vor allem durch den Mode- und Schuhhandel durchgerauscht. Die beste Therapie wäre eine Stärkung des Eigenkapitals über eine steuerliche Gleichstellung zu Fremdkapital. Der Handel rettet sich lieber selbst, als um Geld zu betteln. Eigenkapital ist das Blut, das durch seine Adern fließt.

STANDARD: Experten warnten infolge der Corona-Krise vor noch nie dagewesenen tektonischen Verschiebungen im Einzelhandel. Wurde da vielerorts nicht auch maßlos übertrieben?

Mayer-Heinisch: Der Tod findet nicht am Wiener Stephansplatz statt. Aber gehen Sie durch die Spiegelgasse oder die Mariahilfer Straße und zählen Sie die leeren Geschäfte. Das Sterben des Handels passiert schleichend. Und es ist mitten in der Wiener Innenstadt angekommen. Viele kleine Geschäfte stehen leer, länger, als ich es je erlebt habe, sogar am Graben. Davor darf man die Augen nicht verschließen.

STANDARD: Kaum ein anderes Land in Europa hat eine höhere Dichte an Verkaufsflächen als Österreich. Viele Unternehmen expandierten über Jahre auf Teufel komm raus. Dass sich der Markt bereinigt, war doch absehbar?

Mayer-Heinisch: Dass der Handel in den 80er- und 90er-Jahren stark gewachsen ist, gab vielen Leuten Brot. Er ist nicht umsonst Österreichs größter Arbeitgeber. Dass es keine Kohlenhändler mehr gibt und an jeder Ecke Spielzeuggeschäfte, ist völlig in Ordnung. Eine Stadt machen jedoch nicht nur Gasthäuser lebendig. Sterben die Händler, sterben die Ortskerne, und die Jungen wandern ab. In Gemeinden wie Liezen kommen einem die Tränen.

STANDARD: Kann Künstliche Intelligenz Ihre Branche neu beleben?

Mayer-Heinisch: 80 Prozent der Europäer fürchten sich vor der KI, der Rest sieht sie als Chance. In den USA ist es umgekehrt. Ich bin überzeugt davon, dass sie in der Kommunikation mit Kunden viel Positives bringen wird. Dafür braucht es aber finanziell liquide Unternehmen. Die Geschwindigkeit der Veränderung hat dank neuer Technologien nie dagewesene Dimensionen erreicht.

STANDARD: Wo ließe sich die KI im Konsum praktisch einsetzen?

Mayer-Heinisch: Ich übertreibe: Ist Regen vorausgesagt, kommen am nächsten Tag Gummistiefel in die Auslage. Legt ein Kreuzfahrtschiff mit Japanern an der Donaulände an, stehen sofort Mitarbeitende in Filialen, die des Japanischen mächtig sind. Der Mensch hat 4000 Jahre gebraucht, um zu werden, was er ist: ein soziales Tier, das gerne einkauft. Händler müssen die Emotionalisierung stärker vorantreiben. Ein Bildschirm wird nie freundliche Verkäuferinnen ersetzen.

STANDARD: Dafür braucht es angemessene Gehälter. Der nächste harte Lohnstreit der Sozialpartner im Herbst ist programmiert.

Mayer-Heinisch: Der Handel hat vier Jahre Krise hinter sich. Viele Betriebe sind finanziell, mental ausgemergelt. Beschäftigten muss aber mehr Netto von Brutto bleiben. Wir müssen endlich anfangen, Lohnnebenkosten scheibchenweise zu senken.

STANDARD: Würde das nicht massiv auf Kosten des Sozialstaates gehen?

Mayer-Heinisch: Wieso soll der Handel als personalintensive Branche für den Rest der Bevölkerung den Familienausgleichslastenfonds zahlen? Das gehört in ein Gleichgewicht gebracht. Arbeit bei uns im Handel muss sich stärker lohnen.

STANDARD: Stetes Reizthema sind auch längere Öffnungszeiten. Gehört das strenge Korsett gelockert?

Mayer-Heinisch: Der Föderalismus sollte hier stärker auf lokale Bedürfnisse reagieren. Keiner wird an Skiorten im Sommer länger aufsperren wollen. Ein Geschäft im 15. Wiener Bezirk tickt anders als ein Shop am Flughafen. Ist Bedarf da, soll früher geöffnet werden dürfen. Warum scheren wir in Österreich immer alles über einen Kamm? (Verena Kainrath, 24.6.2024)

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