Can, Andrich oder Groß gegen Ungarn?: Warum die Besetzung der Doppelsechs vielleicht noch nicht ganz geklärt ist
Emre Can hat einen Traumstart mit der Nationalmannschaft bei dieser EM hingelegt. Trotzdem dürfte er gegen Ungarn erst mal auf der Bank Platz nehmen. Dafür drängt ein anderer in die Startelf.
Emre Can erzielte gegen Schottland den fünften Treffer für das DFB-Team.
Den ersten Anruf hatte Emre Can noch verpasst. Als Julian Nagelsmann ihm am Mittwochmorgen schrieb, er solle doch schnell mal zurückrufen, erreichte Can wiederum den deutschen Bundestrainer nicht. Irgendwann klappte es aber doch mit der Kommunikation der Beiden, sodass der Nagelsmann Can von seiner kurzfristigen Nachnominierung in Kenntnis setzen konnte. „Ich war zu Hause in Dortmund mit meiner Frau, wir wollten gerade anfangen mit dem Frühstück“, erzählte Can am Sonntag. „Dann habe ich einen Anruf von Julian bekommen und dann hat er mich gefragt, ob ich Bock hab, mit dabei zu sein.“
Auf eine ohnehin „verrückte Story“, wie Can es beschreibt, setzte der deutsche Fußball-Nationalspieler zwei Tage später noch einen obendrauf, indem er den 5:1-Endstand gegen Schottland im Eröffnungsspiel der Europameisterschaft erzielte.
Ich habe zehn Tage nichts gemacht, aber das hat mir sehr gutgetan.
Emre Can, deutscher Nationalspieler
Der Spieler von Borussia Dortmund hat keine einfache Saison hinter sich. Damit, dass er zehn Tage nach der Finalniederlage in der Champions League gegen Real Madrid doch noch zur EM fahren und sogar ein Tor erzielen würde, habe er in keinster Weise gerechnet. „Ich habe überhaupt nicht an Fußball gedacht und zu null Prozent erwartet, dass ich dabei sein darf“, sagte Can. „Ich habe zehn Tage nichts gemacht, aber das hat mir sehr gutgetan.“
Ihm sei es nach der Niederlage im Finale von Wembley ähnlich schwergefallen, auf positive Gedanken zu kommen, wie seinem Teamkollegen Marcel Sabitzer. Der österreichische Nationalspieler hatte sich vor der EM eine Auszeit genommen hatte, um sich auch auf mentaler Ebene zu erholen. Schließlich sei Can aber bereit gewesen für das Turnier. Was er am Freitag nach seiner Einwechslung zehn Minuten vor Schluss eindrucksvoll unter Beweis gestellt hatte.
Dass er nun ein Kandidat für die erste Elf beim zweiten Gruppenspiel am Mittwoch gegen Ungarn ist, denkt der 30-Jährige indes nicht. Auch wenn sein Anspruch grundsätzlich immer sei, auf dem Platz zu stehen. Doch auch Can weiß, dass neben Toni Kroos derzeit Pascal Groß und Robert Andrich im defensiven Mittelfeld Deutschlands den Vorzug erhalten.
Während Kroos unangefochten ist, könnte die Entscheidung für Nagelsmann auf der Position neben ihm womöglich schwieriger geworden sein nach dem Auftakt gegen Schottland. Denn dort zeigte Groß nach seiner Einwechslung zur Halbzeit einen überzeugenden Auftritt.
Er profitierte dabei von einer gelben Karte, die Andrich nach einer halben Stunde für einen deutlich zu hart geführten Zweikampf gesehen hatte. Nagelsmann entschied sich zur Pause, den Spieler von Bayer Leverkusen vorsichtshalber auszuwechseln. Und Groß nutzte anschließend seine Chance. Er zeigte sich deutlich aktiver im eigenen Ballbesitz als sein Vorgänger und bot sich immer wieder als Anspielstation vor der Dreierkette im Aufbau an.
Deutschland braucht noch mehr Variation im Spielaufbau
Groß, der bei Brighton & Hove Albion in der Premier League unter Vertrag steht, spielte mehr als doppelt so viele Pässe (67) wie Andrich (28) und kam dabei auf eine starke Quote von 97 Prozent angekommener Bälle. Er machte den Aufbau des deutschen Teams zudem etwas variabler, indem er sich auch mal auf die Position des linken Innenverteidigers fallen ließ und diese Aufgabe im Ballbesitz nicht nur Toni Kroos überließ.
Diese Variation könnte ein wichtiges Element im zweiten Gruppenspiel am Mittwoch sein, wenn mit Ungarn ein Gegner wartet, mit dem sich die deutsche Nationalelf in der Vergangenheit regelmäßig schwertat. Nagelsmann und seine Spieler gehen zwar von einer den Schotten ähnelnden Spielweise beim kommenden Gegner aus, das Zweikampfverhalten dürfte dabei aber deutlich körperlicher sein.
Zumal die Ungarn nach der 1:3-Auftaktniederlage gegen die Schweiz am Samstag schon jetzt mit dem Rücken zur Wand stehen. „Die Ungarn spielen grundsätzlich von der Ordnung ähnlich wie die Schotten, aber auf eine andere Art und Weise“, erklärte Nagelsmann. „Sie sind mit sehr viel Freigeist unterwegs, gerade Dominik Szoboszlai als Schlüsselspieler.“ Der Spieler von des FC Liverpool blieb gegen die Schweiz ebenso wie der Rest der ungarischen Mannschaft weit unter seinen Möglichkeiten.
Umso wichtiger dürfte es sein, sich mit Ball nicht ganz so ausrechenbar zu machen und das Spiel völlig auf Toni Kroos auszurichten. Zumal die Ungarn die beiden deutschen Sechser deutlich mehr unter Druck setzen werden als die Schotten und das deutsche Team mehr als einen Plan haben sollte, sich aus Drucksituationen zu befreien.
Auf wen fällt also die Wahl von Julian Nagelsmann? Während Groß mit Ball etwas stärker einzuschätzen ist, hat Andrich physische Vorteile. Der Leverkusener müsste allerdings aufpassen, keine zweite gelbe Karte zu sehen, um nicht beim letzten Gruppenspiel gegen die Schweiz gesperrt zu sein.
Emre Can, der ähnlich gute Spielanlagen wie Andrich und Groß mitbringt, dürfte jedenfalls erstmal nur ein Platz in der Reserve zukommen. Eine Rolle, die er bereit ist, anzunehmen. „Ich werde immer für die Mannschaft da sein und von der Bank aus das Beste geben.“