„Sie glauben, dass Menschen, die nicht arbeiten, faul sind“, fährt die junge Frau Lindner an

An der Berliner Humboldt-Uni diskutiert Christian Lindner (FDP) vor Studenten über die Rettung der Rente. Mehrmals erhebt eine junge Frau, die laut eigener Aussage eigene Erfahrungen mit dem Bürgergeld gemacht hat, wütende Vorwürfe gegen den Finanzminister. Lindner reagiert sarkastisch.

„sie glauben, dass menschen, die nicht arbeiten, faul sind“, fährt die junge frau lindner an

Finanzminister Christian Lindner (FDP) und seine Kritikerin Anna-Josephin Richter, die gerade ihr Abitur nachholt Liesa Johannssen/REUTERS; Friedrich Steffes-Lay

12.15 Uhr, der Hörsaal der Wirtschafts-Fakultät der Humboldt-Universität ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Dem Erscheinungsbild der Gäste nach zu urteilen, dürfte die ETF-Sparplandichte hoch sein: Viele tragen Anzug, im Flur werden an einem Stand der Unternehmensberatung McKinsey Flyer verteilt. Eine studentische Initiative hat zum „Humboldt-Symposium“ geladen; unter dem Titel „System in Schieflage“ diskutiert Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mit mehreren Ökonomen über die Rettung der Rente.

Ein Heimspiel? Als in der Vorstellungsrunde Lindners Name verlesen wird, gibt es vereinzelt Jubelrufe. Doch zum Wohlfühltermin wird die Veranstaltung dann mitnichten.

„Wer glaubt, dass er im Jahre 2060 noch arbeiten muss?“, fragt der Moderator eingangs die Studenten. Die Mehrzahl der Hände schnellt in die Luft. Illusionen über den Zustand der Rente macht sich hier keiner. Auch nicht auf der Bühne: Obwohl der Ökonom Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, oft anderer Meinung ist als Lindner, sind sich beide einig, dass die Deutschen in Zukunft mehr und länger arbeiten müssten.

Uneinigkeit gibt es bei der Frage, wie der demografischen Herausforderung begegnet werden soll. Schließlich soll die Zahl der Erwerbstätigen nach Schätzung des Instituts für Wirtschaft Köln bis 2060 von 47 Millionen auf 30 Millionen fallen. Ökonom Oliver Ehrentraut, ebenfalls auf der Bühne, kritisiert die Rentenpolitik. Die „scheue sich ein Stück weit, auch mal Menschen wehzutun“. Denen, die kein Problem mit dem Auskommen im Alter haben, müsse man sagen, dass es nicht immer nur mehr werden kann. Als er später über Sozialpolitik spricht, fällt wiederholt Ehrentrauts Mikrofon aus, sodass er das seines Sitznachbarn hingestellt bekommt. „Umverteilung“, kommentiert Lindner süffisant.

Als es um Spielräume im Haushalt für Investitionen in Bildung und Infrastruktur geht, kommt der Finanzminister in Fahrt. Er skizziert drei Blöcke: Verteidigung, abzuzahlende Zinsen für aufgenommene Schulden und Sozialausgaben. Während er bei Verteidigungsausgaben mit eher mehr Ausgaben rechne, sehe er beim Bürgergeld Sparmöglichkeiten. „Wir haben in Deutschland zu viele Menschen, die arbeiten könnten, es aber nicht tun.“

Für diese Aussage erntet Lindner vereinzelt Buhrufe. Eine junge Frau aus den hinteren Reihen empört sich lautstark: „Immer auf die Niedrigen hetzen, was ist denn das? Einfach mal ‘ne Vermögensteuer einführen“, ruft sie wütend dazwischen.

„Ich betrachte Solidarität als keine Einbahnstraße“, entgegnet Lindner. „Arbeit ist doch keine Zumutung! Arbeit strukturiert den Alltag! Arbeit vermittelt das Gefühl, dazuzugehören.“

Als die Diskussion auf der Bühne schließlich offiziell für Fragen der Zuschauer geöffnet wird, liegt der Fokus klar auf dem Finanzminister – trotz Bitten des Moderators, auch den geladenen Experten Fragen zu stellen.

Eine Zuschauerin stellt eine persönliche Frage: „Wenn Sie sagen, dass Arbeit keine Zumutung ist – haben Sie mal Erfahrungen in der Pflege gesammelt?“

„Sprechen wir über die Kranken- oder die Altenpflege?“, fragt Lindner zurück.

„Generell. Meine Mutter bekommt nur eine sehr kleine Entlohnung vom Staat, dafür dass sie für ihre Mutter die Pflege übernimmt“, sagt die Zuschauerin.

Lindner kontert, die Löhne seien in den vergangenen Jahren durch neue Tarifverträge gestiegen; das Problem liege vielmehr bei der Arbeitslast durch zu wenige Pflegekräfte. Das solle auch durch Fachkräfte-Einwanderung verbessert werden. Davon weicht Lindner auch nicht ab, als die Zuschauerin noch zweimal auf höhere Vergütung pocht.

Eine andere Fragestellerin wird philosophisch: Im Grundgesetz sei die Würde des Menschen festgehalten, nicht die Würde des arbeitenden Menschen. Ob man nicht auch ein Recht auf ein Leben in Würde habe, wenn man einfach nicht arbeiten möchte? Schmunzeln im Raum.

„Wer nicht arbeiten möchte, der soll nicht arbeiten“, kontert Lindner trocken. Er halte es jedoch nicht für richtig, dass andere mit ihrer Arbeit für diese Entscheidung aufkommen müssten. „Da mögen manche ein anderes Gerechtigkeitsgefühl haben“, sagt Lindner. Dem Applaus des Publikums nach zu urteilen sind die meisten Zuschauer seiner Meinung. Die Studentin ist nicht überzeugt: „Für mich ändert die Antwort daran auch nichts.“

„Ein herzliches Willkommen an die Juso-Hochschulgruppe“

Zum Schluss stellt die Zwischenruferin dann noch ihre Fragen. WELT stellt sie sich später als Anna-Josephin Richter vor. Ihr Anliegen gerät zu einer Wutrede: Es seien nur circa 15.000 Leute, die nicht arbeiten, weil sie nicht arbeiten möchten. Mutmaßlich ist das ein Verweis darauf, dass die Jobcenter 2023 in 15.777 Fällen Bürgergeld-Bezieher mit Sanktionen belegten, weil sie einen Job oder eine Ausbildung abgelehnt hatten.

Der Rest seien Kinder und Menschen, die aufstocken müssten, weil die Mindestlöhne zu niedrig seien, so Richter. „Glauben Sie wirklich, dass Arbeit mit 12,84 Euro die Stunde lohnenswert ist?“, fährt Richter den Finanzminister an. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie für so einen mickrigen Lohn arbeiten gehen würden.“ Der gesetzliche Mindestlohn soll zum 1. Januar 2025 auf 12,82 Euro steigen.

Dann wird Richter grundsätzlich: „Sie sind so populistisch, dass Sie immer wieder auf kleinere Leute runtergehen müssen“, fährt Richter den Finanzminister an. „Das haben wir bei den Bauernprotest-Demos gesehen, wo Sie auf einmal über Asylanten gesprochen haben.“

„Und kommen wir mal zur Kindergrundsicherung“, fährt Richter fort – hier schaut Lindner auf seine Uhr –, „Sie möchten das Geld nicht in die sozialen Bereiche stecken, weil Sie glauben, dass Menschen, die nicht arbeiten gehen oder in Bürgergeld-Bezug sind, faul sind.“

„Ein herzliches Willkommen an die Juso-Hochschulgruppe“, kontert Lindner sarkastisch. „Ich freue mich, dass ihr auch den Weg hierhin gefunden habt.“ Er verteidigt sich: Zum Bürgergeld habe er sich nur im Zusammenhang mit Spielräumen im Haushalt geäußert. Auf den Vorwurf des Populismus im Zusammenhang mit Migration entgegnet er: „Meine Überzeugung ist: Jede Gesellschaft hat das Recht zu entscheiden, wen sie aus welchen Gründen aufnimmt.“ An einer anderen Stelle stellt er klar: „Ohne Kontrolle des Zugangs brechen Gesellschaften zusammen.“

Richter äußert sich nach dem Auftritt des Finanzministers enttäuscht. „Ich habe angesprochen, dass er immer auf Kleinere geht. Mit seiner Antwort hat er meinen Punkt nur bestätigt und mich indirekt beleidigt“, sagt sie WELT. SPD-Mitglied sei sie tatsächlich mal ein halbes Jahr lang gewesen, dann sei sie ausgetreten. Mit dem Bürgergeld habe sie selbst Erfahrungen machen müssen, weil sie gerade ihr Abitur nachhole.

Weil der Kontakt zu ihren Eltern abgebrochen sei, müsse sie ihren Lebensunterhalt alleine finanzieren. „Ich wollte nicht noch Teilzeit neben der Schule arbeiten, um ein gutes Abitur schreiben zu können. Dementsprechend bin ich dann in den Leistungsbezug gegangen, der mir ja auch zusteht“, sagt Richter.

Als sie noch in der Gastronomie und im Supermarkt gearbeitet habe, habe sie während einer Krankheitsphase vor einigen Jahren etliche Sanktionen erfahren, obwohl sie den Behörden ihren Arztbrief zugesendet habe. Sie habe sich 2020 mit damals 19 Jahren in eine Schublade gesteckt gefühlt, in der ihre persönlichen Berufswünsche gar nicht erst abgefragt worden seien; sie habe sich als faul abgestempelt gefühlt. Richter würde gerne im sozialen Bereich arbeiten, in Politik oder Journalismus. Stattdessen habe das Jobcenter sie in eine Ausbildung zur Bäckerin stecken wollen.

Lindner selbst verlässt den Saal 20 Minuten vor Ende der Veranstaltung, er müsse dringend los. Da ist er schon länger geblieben, als es sein Zeitplan laut eigener Aussage eigentlich zulässt. „Der Flieger wartet nicht.“

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